Als kürzlich in einer Kundenanfrage der Apfel bzw. seine kaum kompostierbaren Schalen sogar verdächtigt wurden, Regenwürmer zu vergiften, hatte ich genug. So genug, dass ich im letzten Newsletter gleich mal einen Teil der vielen Behauptungen zum Apfel zusammentrug, die mir in den letzten Jahren so über den Weg gelaufen sind.
Der Apfel muss wirklich für gar alles herhalten. Dass dieser Missbrauch in der Schweiz besonders verbreitet ist, dafür ist sicher Schillers Tell (das war übrigens ein Deutscher!) nicht ganz unschuldig. Und als jüngstes Resultat überwuchert dann in einer politischen Werbekampagne ein Apfelbaum die Schweiz, der seine Wurzeln nur und ausschliesslich im Ausland hat. Dass dann dieser Baum trotz der fehlgeleiteten Wurzeln wunderschöne Früchte trägt, ist vielleicht nicht ganz im Sinne der Plakatierer, aber verleiht dem Plakat eine zwar ungewollt ironische, aber doch kulturgeschichtlich spannende Note …
Ich enthalte mich hier natürlich eines politischen Kommentars, bin aber doch froh, dass kürzlich Sabine Reber in fast schon lutherischer Manier den Apfel vor der politischen Vereinnahmung in Schutz nahm: Hört auf mit dem Gerede und pflanzt halt einfach ein Apfelbäumchen!
Video #1441 Sabine Reber – Äpfel sind unparteiisch (Dialekt)
Aber wir Gärtner sind ja offen und international. Obwohl … wenn ich da an unsere hohen Hecken, an das unsägliche Gezerre um die autochthonen bzw. fremden Pflanzen, an das allzu oft leere und aktionistische Gerede über invasive Neophyten denke, so greifen auch hier 'fremdenfeindliche' Tendenzen um sich. Und dafür hat man in der Gartensprache – zumindest in der Schweiz – sogar ein eigenes Wort: Gärtli-Denken …
Aber zurück zum Apfel. Was ist an all den Apfelgerüchten dran.
Die Äpfel schmecken nicht mehr
Äpfel wurden nie in besserer Qualität angeboten als heute. Die moderne Lagertechnik ermöglicht es uns, auch im Frühling einen quasi erntefrischen Apfel zu geniessen. Das geht manchmal sogar zu weit: So gelagerte frische Äpfel können auch mal noch unreif und grün schmecken. Da lohnt es sich, die gekauften Äpfel einige Tage in der Fruchtschale, am besten zusammen mit Bananen und Birnen nachreifen zu lassen. Und schon entwickelt sich das volle Aroma … Man kann über die Technik und ihre Folgen (z.B. den Energieverbrauch) denken, was man will, aber die Äpfel sind alleine schon technikbedingt ganz eindeutig BESSER geworden.
Die Äpfel waren früher viel besser
Wirklich? Aber war früher nicht alles besser? Erliegen wir nicht immer wieder dem schleierhaften Charme, der Fata Morgana der Kindheitserinnerungen? Ist es nicht vielmehr das Setting der Erinnerung, der Garten bei der Grossmutter, der mostige Duft der heruntergefallenen Äpfel, das gemeinsame Erlebnis des Pflückens, das diese Erinnerung steuert? Objektiv (getestet in Blindverkostungen, in agronomischen Anbauversuchen) sind moderne Sorten besser als alte. Die alten sind nicht alt aufgrund der ungerechten Zeitläufte, sie sind alt, weil es heute bessere Sorten gibt. Denken Sie nur an den Zustand des menschlichen Beissinstruments vor 50 Jahren und heute? Da waren viel weichere, mehligere Äpfel gefragt, die heute fast jeder ablehnen würde.
Es gibt nur noch die langweiligen Golden Delicious
Halt. Macht mir meinen Golden nicht kaputt! Richtig ist, dass er lange Zeit bis in die 90er Jahre zu stark dominierte und auch in Lagen angebaut wurde, wo er nicht hingehört. Er, der Wärme und Licht braucht, wurde sogar in der DDR angebaut – entsprechend war da auch sein Ruf: Er wurde Grüner Schrecklicher (anstatt gelber Köstlicher) genannt. Mehr und mehr konzentriert sich die Golden-Anbaufläche heutzutage auf die klimatischen vorteilhaften, meist auch etwas erhöhten Lagen. Und da ist Golden wirklich köstlich: Textur, Saftigkeit, Biss und breites süsses Aroma machen ihn zu einem Erlebnis! Mein ganz persönlicher Tipp: die besten Golden Delicious stammen aus den höheren Lagen im Südtirol und im Trento (Marken Melinda und Marlene). Kaufen Sie da mal solche von der Bergsonne verwöhnte Golden und Sie werden begeistert sein.
Es gibt immer nur die gleichen 3-4 Sorten
Na ja, das war einmal. Es gab wirklich eine Zeit in den 80er bis Anfang der 90er Jahre, als die Apfelsortimente in den Läden sehr schmal waren. Aber heute ist die Vielfalt auch in den Supermärkten enorm. Hier ist es wichtig, nicht nur zu schauen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt angeboten wird, sondern die Breite zu erfassen, die übers Jahr zur Verfügung steht. Da kommen dann bei vielen Anbietern 20 und mehr Sorten zusammen.
Äpfel muss man schälen, denn die sind gespritzt
Mit der Schale verzichtet man auf die besten und wertvollsten Inhaltsstoffe. Ich persönlich halte das Schälen für eine Unsitte! Der Duft der Apfelschale, an der man vor dem Aufschneiden eines Apfels schnuppert, die Widerständigkeit im Mund gehört für mich untrennbar zum Apfelerlebnis – ja, manchmal auch die Schalenresten zwischen den Zähnen ;-)
Im integrierten Apfelanbau werden die Pflanzenschutzregeln gerade nach der Blüte peinlich genau eingehalten und kontrolliert. Und wer auf Nummer sicher gehen will, kann Bioäpfel kaufen oder noch besser, er baut die resistenten und schmackhaften Lubera Sorten im eigenen Garten an. Damit haben Sie Produktionsprozess und Esserlebnis ganz unter eigener Kontrolle!
Die Äpfel werden eh nur industriell angebaut und sind vollgepumpt mit Pestiziden
Auch hier: Grow your own. Viele haben die Möglichkeit, auf dem Balkon oder im Garten auch eigene Äpfel anzuziehen. Unsere Paradis- und Redlovesorten, unsere Maloni und Malini sind ganz gezielt für den extensiven Hausgartenanbau und für das maximale Geschmackserlebnis gezüchtet worden.
Die Landwirtschaft baucht immer mehr Pestizide, wie z.B. beim Apfel
Auch hier muss der arme Apfel immer wieder als böses Beispiel herhalten. In Tat und Wahrheit ist es so, dass der Pestizideinsatz im Apfelanbau in den letzten 40 Jahren stark abgenommen hat (und leider in einigen Nachzüglerbereichen wie im Getreideanbau stark zugenommen hat). Und auch hier: Pflanz jetzt endlich selber einen Apfelbaum!
Kürzlich schrieb uns eine Gärtnerin: Die Apfelschalen zerfallen im Kompost fast gar nicht und vergiften eventuell mit den Pestiziden die Regenwürmer
Meine Antwort: Hören Sie auf, die Äpfel zu schälen. Seit Eva ist der Apfel an allem Schuld. An gar allem.
Der Satz hat schon nach dem letzten Newsletter zu theologischen Diskussionen Anlass gegeben. Ich will hier auf keinen Fall Glaubensgefühle verletzen, will auch keine Theologie betreiben, aber lesen wir doch ganz einfach den Bibeltext:
Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.
Was wir daraus lernen können, oder auch nicht, wurde jahrhundertelang diskutiert. Hier und heute halte ich nur fest: Eva war die Pflückerin (sorry, es ist halt so, der Mann war da nur Mitläufer), aber vor allem, es war kein Apfel, sondern eine Frucht vom Baum, dessen Früchte gottmässig klug machen! Warum der Apfel in Kunst und Kultur dann in diese Rolle hineinschlitterte und die Leerstelle des Baumes der Erkenntnis füllte, wäre Stoff genug für mehrere Dissertationen. Dass er aber in diese Rolle hineinrutschte und zum Symbol für das Begehrliche, für das gleichzeitig Gefährliche und Gefährdete wurde, ist der kulturgeschichtliche Grund dafür, dass er bis heute immer wieder an allem Schuld sein muss.