Zu unseren Hauptzielen bei der Züchtung neuer Pflanzensorten gehören Krankheitsresistenz/-Toleranz und degustative Qualität. Unsere neu gezüchteten Lubera Sorten (Lubera® Originale) sollen schmecken und gesund wachsen.
Was so einfach tönt, ist ziemlich schwierig zu bewerkstelligen…Und gelingt leider gar nicht immer. Zum Ersten scheint es so etwas wie eine 'natürliche' Abwehr von resistenten Sorten durch die Käufer zu geben, so dass man fast schon wieder von einer Resistenz sprechen könnte. Vor allem wenn man bei der Sorteneinführung die Resistenz der neuen Sorte betont, wird sie mit sehr viel Skepsis beobachtet. Als ich vor 30 Jahren die ersten schorfresistenten Apfelsorten in der Schweiz einführte, waren einige davon (Resi, Retina) durchaus auf dem Niveau der bestehenden Sorten, aber sie wurden weithin abgelehnt, global als 'zu sauer' eingestuft (was z.B. für Retina und Resi gar nicht zutraf…) Es muss da so eine Art Vorstellung geben, ein Denkmuster, dass Gesundheit/Krankheitsresistenz mit schlechter Qualität verbindet. Man kann übrigens marketingmässig diese offenbar 'gelernte' negative Assoziation nur umgehen, indem man konsequent nicht die Resistenz, sondern die Qualität betont. Häufig lässt man die Resistenz fast ganz beiseite, weil sie die falschen Denkweichen stellt.
Woher aber stammt diese negative Verbindung, die Vermutung, dass Resistenz grundsätzlich mit schlechter und ungenügender Qualität bezahlt würde. Ich bin unterdessen sicher, dass sie aus der Humanmedizin, genauer genommen aus der kindlichen Erfahrung der Medizin (und vielleicht auch des Essens) stammt. Was gesund ist, schmeckt ganz sicher nicht. Man denke nur an Spinat oder eigengeschmacksstarke Gemüse wie Fenchel. Und 'gesunde' Medizin schmeckt auf jeden Fall nicht, sie ist allenfalls notdürftig mit einem künstlich-süssenden Geschmacksschleier überdeckt, der das Würgen verhindert.
Wie könnte da eine resistente Gemüsesorte oder eine Apfelsorte schmecken?
Gibt es denn vielleicht auch einen sachlichen Grund für die Verbindung von Pflanzenresistenz mit schlechter oder ungenügender Qualität?
Es gibt mindestens einen Grund, der diese Assoziation stützt: Wenn neue Resistenzen in eine Pflanze eingezüchtet werden, so stammen diese häufig von alten, nicht oder nur teilweise domestizierten Wildsorten. Diese sind eben noch nicht vollständig auf den menschlichen Gaumen (oder genauer: auf den angenommenen Durchschnitt der menschlichen Geschmackansprüche) abgestimmt. Einige dieser Inhaltsstoffe (Säuren, Phenole, Bitterstoffe) können übrigens auch in den ursprünglichen resistenten Pflanzen akkumuliert worden sein, um Krankheiten oder Frassräuber abzuschrecken.
Es gibt aber auch einen Grund, der mindestens längerfristig auf das Gegenteil hinweisen könnte: Resistente Sorten haben es einfacher, gut zu sein und besser zu werden. Die Pflanzengesundheit erlaubt eine grössere und längere Assimilationsleistung, dadurch kann mehr Zucker produziert und in der Pflanze, in der Frucht eingelagert werden. Ein typischer solcher Fall in unserem Klima ist die Honigmelone. Wenn wir sie nicht deutlich resistenter gegen das bei uns zumindest in Bodennähe immer noch zu feuchte Klima machen, fällt es 99% der Sorten schwer, genügend Zucker zu produzieren, der dann für 12+ Brixgrade reicht (das ist die Qualitätsgrenze, die Honigmelonen erreichen sollten).
Mindestens längerfristig gibt es keinen sachlichen Grund, der Pflanzenzüchtung nicht zuzutrauen, degustative Qualität und Resistenz zusammenzubringen. Vor allem bei der landwirtschaftlich und auf den Grossmarkt ausgerichteten Züchtung kann dieser Prozess aber auch zu einer schleichenden geschmacklichen Gleichmacherei verkommen, indem Ecken und Kanten, interessante Geschmacksprofile mit Bitterstoffen. Säure und Schärfe abgeschliffen werden, um langsam aber sicher in einem süssen massentauglichen Einheitsbrei unterzugehen. Wie viele Male habe ich bei der Apfelzüchtung schon gehört, dass dieses oder jenes Parfüm oder dass das Nelkenaroma eigentlich gar nicht gehe… Unsere neuesten Redlove® Sorten finden bei Gärtnern und auch im Erwerbsanbau viel mehr Akzeptanz als unsere ersten Sorten, ganz einfach, weil sie sich vom Zucker/Säure-Profil her dem Mehrheitsgeschmack angepasst haben. Als Züchter finde ich unsere ersten Sorten weiterhin viel spannender. Allerdings muss ich auch zugeben, dass meine Säuretoleranz aufgrund des lebenslangen Beeren- und Fruchtessens abartig gross ist. ;-)
Bild: Rotfleischer Apfel Redlove® 'Jedermann's' – jede Frau (ja auch jeder Mann) findet ihn gut.
In der Praxis, beim Gärtnern, bei der Pflanzenauswahl und in der Züchtung und Pflanzentechnik zeigen sich Geschmack und Resistenz dennoch häufig als Gegensatzpaar, ganz einfach, weil es uns noch nicht gelungen ist, beide Qualitäten in einer Sorte angenähert ideal zu vereinigen. Heute war ich in unseren Johannisbeerzüchtungen und ass mich durch rosafarbene Johannisbeeren. Also die Nische in der Nische. Da produzieren und verkaufen wir eine Sorte, Rosa Sport®, die einfach ein phantastisch mildes Zucker/Säure-Profil hat, darüber hinaus auch viel Aroma. Wenn man neben der Säure ein typisches und ideales Geschmacksprofil von roten Johannisbeeren (so wie sie sein sollten) finden wollte, es würde so schmecken wie Rosa Sport. Aber die Sorte ist schwer zu vermehren (das haben wir zwar in jahrelanger Selektionsarbeit verbessert), vor allem aber ist sie mittel bis stark anfällig für eine breite Auswahl von pilzlichen Johannisbeerkrankheiten. Zwar reicht es meist so knapp bis zur Ernte, aber spätestens dann ähnelt der Strauch mehr einem moribunden Skelett als einer vitalen Pflanze. Wir testen nun neben Rosa Sport® ein ganzes Sortiment von anderen rosafarbenen Sorten, aus Ribes-Sammlungen stammend, von Kunden zugeschickt, oder auch aus der eigenen Züchtung. Und da gibt es mindestens zwei wunderschöne und vor allem auch gesunde Selektionen, tief-grün und gesund, nur offensichtlich nicht ganz so gut wie unsere althergebrachte Rosa Sport…
Heute Mittag fragte ich meine Frau, was sie denn als Gärtnerin vorziehen würde: Ein Johannisbeeraroma, das es bisher besser nicht gibt, oder eine gute Pflanzengesundheit. Meine Frau antwortete schnell und schlau: "Bitte, ich möchte beides!" "Gibt es nicht, vergiss es, du musst dich entscheiden", antwortete ich. Meine Frau entschied sich darauf mürrisch, aber eindeutig für den Geschmack, für Rosa Sport.
Bild: Wunderschöne, lange Trauben der Johannisbeere 'Rosa Sport'®.
Für was würdest Du dich entscheiden?
Ich werde in einigen Tagen nochmals ins Johannisbeerfeld gehen und nachprüfen, ob eine der zwei resistenteren Selektionen eventuell später reif ist als Rosa Sport und dann geschmacksmässig doch noch aufholen könnte. Die Hoffnung des Züchters, am Ende doch alles zu bekommen, stirbt zuletzt.
Ansonsten bleibt nur Züchtung: Die Kombination beider Sorten, gesund mal gut, und die Hoffnung, in nochmals 10 Jahren dieses zugegebenermassen nicht weltbewegende Problem gelöst zu haben.
Bei den erwähnten Honigmelonen geht es vielleicht etwas schneller. Ich bin gerade durch die Pflanzenreihen unseres Lubera® Züchters Raphael Maier gelaufen und habe gesehen, dass viele neue Selektionen und Sämlinge noch sehr gesund sind. Als Züchter hoffe ich jetzt auf möglichst viel Krankheitsdruck. Dass es in Buchs weiterhin alle 3 bis 7 Tage regnen möge und dass genug Feuchtigkeit in den Boden komme, so dass Mehltau und andere Blattkrankheiten sich verbreiten können. Denn nur bei idealen Bedingungen für die Krankheiten können wir gute und resistente Sorten finden.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt