Das war ja der Anfang der ganzen Geschichte. Karl Ploberger, der österreichische Fernsehgärtner, schrieb mir und wünschte den besten und richtigsten Kirschbaum für sein Spalier. Der eben nicht mehr krank werden soll, wie der Vorherige … Aber eigentlich konnte ich ihm mit gutem Gewissen nicht raten, nochmals ein klassisches Spalier ziehen, zu sehr wird da das natürliche Wuchsverhalten abgewürgt und gebremst. Und aus dem Wuchsstau heraus entwickeln sich dann direkt und indirekt all die Krankheiten, die auch einen erwachsenen Kirschbaum leicht zum Absterben bringen können.
Sollte ich da also Karls Wunsch einfach erfüllen oder aber nach einer besseren Lösung suchen?
Da kamen mir Beat Lehner und seine wunderschönen Kirschenanlage in den Sinn: lange Reihen, mit Plastikdach, um das Platzen der Kirschen zu verhindern, die Bäume mehr dunkelrot als grün, gigantische Erträge, doch gesunde Kirschbäume, nur ca. 3m hoch. Wie zum Teufel schafft das denn Beat, das sieht ja bei ihm ganz anders und besser aus als in den meisten Gärten? Beat, der Glückliche!
Zu Beat muss man wissen: Er hat wie ich einmal Obst- und Weinbau studiert, in Wädenswil am Zürichsee. Das konnte man damals noch. Genützt hat das Studium eigentlich nicht sehr viel, man gewann etwas Zeit für das Leben, aber eins ist doch geblieben, ist damals in uns eingepflanzt worden: Wir sind Ingenieure! Sie lachen? Wie soll ein Gärtner ein Ingenieur sein? Was ist überhaupt ein Ingenieur?
Der Ingenieur, das sei hier nur ganz kurz eingeschoben, hat einen grossen Vorteil gegenüber Sachbearbeitern, Künstlern und dem ganzen Rest: Er glaubt nämlich, dass es für jedes Problem grundsätzlich eine Lösung gebe. Selbstverständlich hat er Unrecht damit. Aber als Hypothese, Lebensgrundlage und Arbeitsmaxime ist der Ingenieurs-Glaubenssatz einfach unschlagbar: FÜR JEDES PREOBLEM GIBT ES MINDESTENS EINE, MEIST ABER MEHRERE LÖSUNGEN. Punkt.
Zurück zu unseren Kirschen: Da trafen sich also zwei Ingenieure, Beat Lehner und ich. Und Beat erklärte mir den Diagonalbaum und all die Probleme, die damit gelöst werden können. Einfach wunderbar! Technisch klar und logisch. Und eigentlich ganz einfach. Nur den Begriff des Diagonalbaums, den habe ich dann selber eingeschmuggelt.
Video: Die Erziehung des Diagonalen Kirschbaums Teil 1
Video: Die Erziehung des Diagonalen Kirschbaums Teil 2
Das Problem …
… ist der Kirschbaum selber. Er wächst halt einfach von Haus aus zu stark. Daran ändern grundsätzlich auch die neuen schwächer wachsenden Unterlagen nur wenig. Sie machen ihn nämlich noch anfälliger und labiler bei Wuchsstörungen, obwohl sie selbstverständlich die Grundlage dafür sind, dass einigermassen moderate Kirschbaumformen möglich werden. Aber das Grundproblem bleibt auch bei Unterlagen wie Gisela 5: Der Kirschbaum wächst einfach zu stark, wir versuchen das einzudämmen, mit Schnitt, mit zwanghaften Erziehungsmethoden, und gerade dadurch, dass wir das machen, kommt es zu Wuchsstörungen, die Pforten des Baums öffnen sich, Krankheiten dringen ein, Harzfluss tritt auf, Pseudomonas bricht aus … Irgendwie gelingt es uns nicht, aus dieser negativen Spirale auszubrechen, den Kirschbaum naturgemäss, nämlich seiner eigenen Natur gemäss, im Einklang mit seinen Wachstumsgesetzen zu erziehen. Und dann, ja dann spielt er verrückt.
Die Lösung
Wir spielen mit der Physiologie des Obstbaus, aber wir spielen nach den Regeln des Kirschbaums, nur nützen wir diese Regeln für unsere Ziele aus.
Wir wissen: Flache Äste sind fruchtbarer als steile, sie wachsen weniger stark und setzen mehr Früchte an. Nun wenden wir die Regel auf den gesamten Baum an: Wir pflanzen Ihn schräg, diagonal, mit einem 45 Grad Winkel. So wird er als Ganzes weniger wachsen und mehr und früher Früchte tragen, was dann wiederum nochmals zu weniger Wachstum führt. Ein wunderbarer Regelmechanismus, den wir eben auch zu unserem Vorteil ausnützen können. Und gleichzeitig hat der Baum trotz alledem den Raum, sich sehr lange ohne Schnitteingriffe auswachsen zu können, denn diagonal hat er ja eindeutig mehr Platz …
Massnahmen und Methoden
- Natürlich braucht es ein 3m hohes Drahtgerüst mit Rahmen oder bei Spaliererziehung ein ebensolches Gerüst an der Wand
- Der Baum wird wie gesagt im 45 Grad Winkel gepflanzt und er wird sehr hoch gepflanzt.
- Der Kirschbaum wird bei der Pflanzung und auch später nicht angeschnitten; idealerweise hat er schon Seitentriebe.
- Verzweifeln Sie nicht, wenn der Baum im ersten Jahr noch nicht sehr viel macht, nur schwache Seitentreibe mit Blattrosette bildet – das ist normal.
- Wenn der Jungbaum keine Seitentriebe hat, kann er im März geritzt werden. Etwa 2-3 mm oberhalb einer Knospe wird die Rinde 2+mm tief eingekerbt (geht natürlich nur mit dem Schweizer Armeesackmesser), der drauffolgende Saftstau zwingt die Knospe dazu, auszutreiben. Achtung: Nach dem Kerben muss der Haupttrieb, an dem gekerbt wurde unbedingt mit einem Kupferpräparat abgespritzt werden.
- Die Seitentreibe des Diagonalbaums werden, wenn möglich und notwendig, flach gebunden.
- Wenn dies nicht möglich ist oder wenn der Seitenast schon mehr als halb so dick ist wie das übergeordnete Element (in diesem Falle der schräge Stamm) muss das ganze Element entfernt werden.
- Das Entfernen von Ästen erfolgt in der Regel auf Stummel, nie wird auf Astring ganz weggeschnitten. Der belassene Stummel soll 20-40cm lang sein, so lang, dass er idealerweise nicht zurücktrocknet, sondern selber wiederum schwaches Seitenholz ausbildet, dass früher oder später fruchten wird.
- Hat es ausnahmsweise mehr als genug Verzweigung in der Nachbarschaft oder muss ein Ast aus strategischen Überlegungen doch ganz entfernt werden (schattiert andere Baumteile, sitzt ganz senkrecht auf dem Stamm etc.), dann wird er nicht geschnitten, sondern gerissen. Niemand kann das übrigens besser erklären als Beat Lehner in diesem Video.
Und wie bitteschön, soll das im Garten gehen?
Yepp, ich weiss. Damit sind wir wieder am Anfang der ganzen Geschichte. Karl Ploberger hatte mir ja gechrieben und wünschte den perfekten Baum für sein neues Spalier. Eigentlich ist der Diagonalbaum die neue perfekte Spalierform für Kirschen (und wohl auch Aprikosen, eventuell auch Pflaumen/Zwetschgen). Am Spalier, das mindestens 3m Höhe und 3 m Breite haben muss, werden die Steinobstbäume im 45° Winkel gepflanzt und gemäss Beats Prinzipien erzogen …
Oder denken wir uns ein Doppelspalier. Wir haben den 3x3m Rahmen. Auf beiden Seiten wird je ein Kirschbaum gepflanzt, die sich dann in der Mitte (ja genau wie bei Wilkinson Sword!) kreuzen. Könnte etwas dicht werden, aber sehr attraktiv! Und gleich schon hätte man auf 3m Spalier zwei Kirschensorten, die sich auch befruchten könnten!
Oder stellen Sie sich einen freistehenden Rahmen vor, 3m hoch, 3 m breit. Und hier wieder die gleiche Pflanzung, die gleichen Erziehungsmethoden. Auch ein ungeheuer attraktives Gartenelement, eine Trennwand und ein Eyecatcher zugleich!
Ha, und jetzt muss ich gleich unseren Betriebsleiter fragen, ob der Baum an Karl auch geschickt wurde. Eigentlich Regina und Kordia. Vielleicht sogar für ein Wilkinson Sword Experiment? Die Anleitung ist ja jetzt geschrieben. Und wenn‘s denn doch schiefgeht? Ja, DEN Artikel muss dann Karl schreiben!
Fachbegriff für Diagonal-Pflanzung
Guten Tag,
der Fachbegriff für die Diagonal-Pflanzung heißt Trabbosystem.
Freundliche Grüße
Lubera-Team