Obstbäume schneiden ist nicht schwer, damit beginnen aber sehr...
Der Schnitt der Obstbäume ist für viele Gartenfreunde und Hobbygärtner eine Angstpartie: Wann muss ich Obstbäume schneiden, was muss ich schneiden, muss ich überhaupt schneiden, schneide ich nicht gerade den falschen Ast weg, wird der von mir geschnittene Obstbaum auch genügend Früchte tragen undsoweiterundsofort... Markus Kobelt macht es Ihnen in diesem Beitrag einfacher, indem er erklärt, warum dieses Jahr besonders gut geeignet ist für den Obstbaumschnitt. Und warum der richtige Obstbaumschnitt gerade dieses Jahr, im Vorfrühling so wichtig ist. Wenn Sie diesen Beitrag übers Schneiden der Obstbäume gelesen haben, ist (fast) jedes Hindernis aus dem Weg geräumt und jede Frage beantwortet. Und dann geht es mit Schere und vor allem Säge an die Obstbäume...Schnitt für Schnitt.
Jetzt Obstbäume schneiden - weil es im Vorjahr fast keine Früchte zu ernten gab
Sie erinnern sich: Im April 2017 fiel - man kann es gar nicht anders sagen - fast flächendeckend in ganz Europa der Frost über die Obstbäume her - und vernichtete einen grossen Teil der Blüten und damit der Ernte.
Redloves in Blüte im April 2017, einige Tage, bevor der Frost die Blüten zerstörte
In der Folge gab es auch in den meisten Gärten in Herbst 2017 nur eine dürftige Ernte, in den einen Obstgärten waren die Apfelbäume ganz leer, in einigen Pflanzungen fiel das Steinobst gänzlich aus. Auf diese Situation kann, ja muss jetzt mit Schnitt reagiert werden. Nun werden Sie sich sicher fragen, wie ich zu dieser Aussage komme: Man soll die Bäume jetzt schneiden, ja sozusagen bestrafen, weil sie im letzten Jahr keine Früchte getragen haben? Wie soll das gehen, wie kann das erklärt werden?
Was macht der Obstbaum im Ertragsausfalljahr?
Ein Obstbaum legt seine Hände nie in den Schoss, er ist immer aktiv und reagiert auf die aktuelle Situation. 2017 wurde ihm also die Blüte zerstört, damit seine Möglichkeit, sich fortzupflanzen, für den Erhalt der Art zu sorgen. Wie wird der Obstbaum darauf reagieren? Er hat ja nun genügend Kraft, da er keine oder nur wenige Früchte zu ernähren hat, und er wird in der Folge auf Teufel komm raus Blüten fürs Folgejahr anlegen. Sonst hat er ja nichts zu tun, und dies ist das einzige Ziel, das jetzt für ihn wichtig ist. Er will ja überleben...
Fruchttrieb voller Blütenknospen, die schon im Februar deutlich zu erkennen sind: Der Baum hatte im Ausfalljahr genügend Zeit und Kraft, unendlich viele Blütenknospen anzulegen
Man könnte es auch so beschreiben: Der Obstbaum ist in seiner Überlebensangst nicht mehr ganz zurechnungsfähig und vernünftig, und er produziert dadurch viel mehr Blütenknospen, als eigentlich für einen normalen und guten Ertrag nötig wären. Er sorgt also schon vor, falls sich Väterchen Frost wieder an seiner Ernte vergreifen sollte. Man kann ja nie wissen...
Die Gefahr der Alternanz
Damit ist jetzt 2018 mit einer übergrossen Ernte zu rechnen. Nun fragen Sie mich natürlich zu Recht, was man denn dagegen haben könnte, für das Ausfalljahr mit einer übergrossen Ernte entschädigt zu werden? Nun, wenn die Bäume dieses Jahr ungehindert alle Blütenknospen zu Früchten entwickelt, bleibt keine Kraft mehr für die neuerliche Blütenknospenbildung, droht also der Überertrag 2018 ins Gegenteil umzukippen für 2019. Ohne den Eingriff des Gärtners, ohne den guten Obstbaumschnitt und ohne Ausdünnen würde sich die sogenannte Alternanz einstellen, die Situation nämlich, in der Obstbaum regelmässig nur jedes zweite Jahr gut und genügend trägt... Aber unsere Äpfel möchten wir ja jedes Jahr geniessen!
Obstbäume schneiden nach einem Ausfalljahr
Obstbäume schneiden - nach einem Ausfall Jahr - beinhaltet eine Chance, die man sonst beim Obstbaumschnitt eher nicht hat. Man kann schneiden, ohne dass der Obstbaum es spürt, ohne dass er auf Schnitteingriffe allzu stark reagieren kann. Denn der Obstbaum wird ja in diesem Jahr vollauf mit der Entwicklung seiner vielen Blütenknospen zu möglichst vielen Früchten beschäftigt sein. In so einem Jahr ergibt sich also die einmalige Chance, auch gröbere Schnitteingriffe vorzunehmen, vor denen man immer zurückgeschreckt war, weil man den Baum nicht böse machen wollte, weil man ihn nicht zu unnützem Wachstum anstacheln wollte. Ist ihr Obstbaum zu hoch, hat er überbaut und überdecken die oberen Äste den unteren Kronenteil? Laufen Äste quer und beschatten die darunter liegenden Früchte? Jetzt haben Sie die Chance, solche Fehlentwicklungen zu beheben, ohne dass der Baum aufmuckt. Und natürlich geht es beim Obstbaumschnitt nach einem Ausfalljahr auch darum, den Ertrag zu reduzieren. Neben den gröberen Einschnitten und Eingriffen, die ich gerade angetönt habe, wird man in einem solchen Jahr auch das Fruchtholz etwas beschneiden, das alte Quirlholz verjüngen und dabei das Ziel verfolgen, die Fruchtlast schon zum Vornherein etwas zu reduzieren.
Fruchtast mit altem Quirlholz voll von Blütenknospen. Dieses soll nach einem Ausfalljahr stark beschnitten werden, um eine Überbelastung zu verhindern.
Obstbäume schneiden nach einem Vollerntejahr - der umgekehrte Fall
Und was ist im umgekehrten Falle zu tun? Wenn also im Vorjahr die Bäume auf Biegen und Brechen voll hingen? Gefragt ist dann genau das Gegenteil: In einem solchen Jahr, im frühen Frühling nach einem Vollerntejahr soll der Schnitt möglichst zurückhaltend sein. Auf jeden Fall wird man kein Fruchtholz schneiden, wenn man voraussichtlich um jede einzelne Frucht froh sein wird. Und natürlich wird man sich mit Schnitteingriffen ganz allgemein zurückhalten, denn jeden Schnitt, so müssen wir uns im Klaren sein, wird der Baum erbarmungslos mit starkem Reaktionswachstum quittieren.
Das Paradox des Obstbaumschnitts
Eigentlich, so müssen wir einräumen - ist die ideale Situation gar nicht so schwierig zu beschreiben: Der Obstbaum würde sich in Gleichgewicht zwischen vegetativem Treibwachstum (Erneuerung) und generativem Fruchtertrag halten, und wir müssten gar nichts oder fast nichts machen, geschweige denn schneiden. Ein Zustand fast wie im Paradies... Der ideale Schnitt wäre dann gar kein Schnitt, weil sich alles im Gleichgewicht befindet. Denn immer, wenn wir schneiden, regen wir den Obstbaum zum Wachstum, zu einer Wachstumsreaktion an. Zu Ende gedacht: Mit Schneiden machen wir den Obstbaum nur kurzfristig kleiner und weniger voluminös, er beginne dadurch erst recht zu wachsen. Und genau diese Reaktion müssen wir immer im Auge und im Griff behalten, indem wir geschickt auf die Vorbelastung des Obstbaums reagieren: wenig Ertrag im Vorjahr = etwas mutiger schneiden; viel Ertrag im Vorjahr = weniger und vorsichtiger schneiden...
Wann Obstbäume schneiden
In dieses Kapitel gehört auch, dass wir konsequent empfehlen, im frühen Frühjahr zwischen Februar und April Obstbäume zu schneiden. Erfahrungsgemäss hat dann der Obstbaum etwas weniger Zeit, auf die Provokation des Schnitts zu reagieren, er ist im März und April bereits auf die neue Saison eingestellt und ist "programmiert". Natürlich gibt es auch noch weitere Gründe für den Frühjahrsschnitt: Gerade junge Bäume sind beim Herbstschnitt stärker dem Frost ausgesetzt und verlieren Reserven. Im Frühjahr ist an den dicker werdenden Knospen auch besser zu sehen, welche Äste wie reagieren werden und welche Knospen wohl Blütenknospen sein werden und welche nur Blätter hervorbringen.
Im Februar schon gut sichtbare Blütenknospen
Wie lange kann man Obstbäume schneiden?
Diese Frage wird so häufig gestellt, dass ich fast den Verdacht habe, es könnte darum gehen, von er lästigen Pflicht des Schneidens entbunden zu werden: Aua, jetzt ist es schon zu spät, jetzt dürften wir nicht mehr schneiden... Falls Sie solche verdeckten Absichten hegen, sei Ihnen Folgendes gesagt: Grundsätzlich ist es bis in die Blütezeit hinein kein Problem, Obstbäume zu schneiden. Man muss einfach berücksichtigen, dass bei beginnendem Saftstrom der Schnitt zu einer gewissen Schwächung führt, was ja aber häufig gerade erwünscht ist, um auch die Wuchsreaktion zu bremsen.
Reicht der Schnitt nach Ausfalljahren und der nicht-Schnitt nach Vollertragsjahren, um den Baum im Gleichgewicht zu halten?
Muss man überhaupt schneiden, wenn der Baum mit sich selber im Reinen und im Gleichgewicht ist? In einer idealen Welt nicht, aber diese Welt, auch diejenige des Obstbaums ist ganz selten ideal. Dennoch ist es so, dass bei einem auf Fruchtertrag und wenig Wachstum erzogenen Spindelbaum (Äste in die Waagrechte gebunden) nur noch wenig Schnittarbeit anfällt. Aber so ruhige Bäume sieht man leider in den Gärten eher selten😉 Häufiger sieht man leider, dass Bäume extrem stark wachsen, weil sie im falschen Moment zu stark geschnitten worden sind. Und genau dies kann man mit der genauen Beobachtung der Vorjahrserträge und des Vorjahreswachstums eines Baums verhindern.
Ist das Schneiden von Obstbäumen eine Kunst, oder gibt es Regeln?
Keine Angst. Auch wenn es viele Obstbauern gerne so sehen würden, ist der Obstbaumschnitt definitiv keine Kunst. Ich erinnere mich gut, wie ich als verkrachter Student im Obstbau zu arbeiten anfing, und wie ich nach 2-3 Einleitungstagen zusammen mit einem Lehrling den ganzen Betrieb von15 ha alleine schneiden musste - ohne Chef . Es war ein Versuchsbetrieb, ein Vorzeigebetrieb, aber der Betriebsleiter, mein Lehrer Christian Krebs hatte ganz einfach eine nachvollziehbare und auch lehrbare Methode entwickelt, wie Obstbäume zu schneiden sind (natürlich dann für jede Sorte wieder ein bisschen abgewandelt). Es gibt also Regeln, und diese werde ich in einem nächsten Artikel darzustellen versuchen.