Ich werde diese Woche einen Rosenzüchter in Frankreich besuchen – und habe mir vorgenommen, ein Gespräch über die perfekte Rose zu führen. Was wäre die perfekte Rose? Was stelle ich mir unter meiner perfekten Rose vor? Was wären die Anforderungen an die perfekte Rose für den Garten von Morgen? Kann man die perfekte Rose überhaupt züchten? Sind die gefragten Eigenschaften bei der Rose überhaupt vorhanden? Können wir uns– in der Rosenzüchtung und im Garten – auf den Weg zur perfekten Rose machen?
Inhaltsverzeichnis
- Die Rose als Metapher
- Die Geschichte und Bedeutung der Rose als Belastung
- Die Orientierungslosigkeit der Rosenzüchtung
- Die perfekte Rose als Kontrapunkt
- Die Sexualität der Rose
- Die perfekte Blüte
- Einmalblühend oder dauerblühend
- Blüten aus Seitenknospen
- Die ‘schnittlose’ Rose
- Blüte und Frucht
- Der Wuchs der Rose - der Körper der Rose
- Die Rose als Pflanze
- Der Duft – conditio sine qua non
- Die Sache mit der Gesundheit
- Farben
- Charme
- Die Perfekte Rose!
Natürlich ist in dieser Art von Fragen, in ihrem absoluten Anspruch (perfekt!) impliziert, dass es die perfekte Rose noch nicht gibt, wohl auch nie geben wird. Aber das versteht sich ja von selbst: Der Garten ist kein Paradies, die Natur schon gar nicht. Aber es ist erlaubt, ja sogar notwendig, vom Paradies zu träumen.
Entsprechend müsste der Titel dieser Überlegungen eher lauten: Auf der Suche nach der perfekten Rose. Und mit der Rose wäre es dann wie mit der Suche nach der verlorenen Zeit: Immer, wenn man meint, sie begriffen und ergriffen zu haben, entflieht sie gleich wieder. Etwas konkreter als die unkörperliche Zeit ist die Rose aber schon; entsprechend rechne ich mir schon einige Chancen aus, das Ziel mindestens anzunähern…
Die Rose als Metapher
Aber bleiben wir noch kurz beim Unkörperlichen, bei der Rose als Metapher. Die Rose hat eine Geschichte, die so schwer und belastet ist, dass die arme Pflanze unter ihren Bedeutungen fast zusammenbrechen muss. Die Rose ist DIE Blume des Menschen. Unser damals 3-jähriger Sohne nahm sich das – nach den Erfahrungen mit den Blumen und Dornen im Garten und bei Gartenreisen – zu Herzen und hielt sehr lang an einer vereinfachten Sprachregelung fest: Für ihn waren fortan ganz einfach alle Blumen Rosen… Die Rose begleitet den Menschen seit Tausenden von Jahren, sie wird als Metapher, als Bild für fast alles gebraucht: Unter ihrem Banner werden Kriege geführt, wobei praktischer Weise gleich beide Seiten die Rose für sich in Anspruch nehmen (Krieg der Rosen). Die Rose galt und gilt als Bild und Symbol der Welt (Rosa mundi), wobei man sich unweigerlich fragt, was man bittschön mit einer verblühenden Welt anfangen soll… Sie ist als Weisse Rose das unschuldige, leise und doch unübersehbare Zeugnis des Widerstands. Schliesslich und endlich ist die Rose immer wieder das Bild der Frau, eine Metapher für weibliche Schönheit und Sexualität und für die Liebe überhaupt.
Die Geschichte und Bedeutung der Rose als Belastung
Wie kann eine Pflanze mit einer solchen Belastung, einen solchen Bedeutungsüberhang umgehen. Ist da die Pflanze, ihre irdische Realität und biologische Potenz nicht so zugeschüttet von Bedeutung, dass eigentlich fast nichts mehr geht. Und zum Ballast der Metaphorik kommt dann die Geschichte noch dazu: Mindestens in den letzten 250 Jahren sind so viele Rosen gezüchtet worden, dass alles neue schnell einmal eine Wiederholung des alten ist – oder jedenfalls so erscheint. Was ist noch möglich an Neuem und Überraschendem in einer züchterisch so breitgetretenen Familie wie der Rose? Die vielen Namen der Rose, die von berühmten Persönlichkeiten geliehen sind, deuten auf die Krise hin: Was keine Identität und Berechtigung hat, holt sich diese von Dritten. Natürlich verstehe ich die Absichten dieses Marketings (eine Art Influencermarketing vor der Erfindung des Namens), aber als Anhängsel einer vergänglichen Persönlichkeit, die meist schon den Zenit der Karriere überschritten hat, zeigt das rosige Namedropping eine extrem kurze Halbwärtszeit. Es tönt schon ältlich und halb vergessen, bevor die ersten 10 Rosenjahre vorbei sind: Dolly Parton und Helmut Kohl als Rosennamen (beide wohl und aus unterschiedlichen Gründen mit sehr grossen Blüten) würden wir heute kaum mehr in unsere Gärten lassen.
Die Orientierungslosigkeit der Rosenzüchtung
Letztlich zeigt die Sorten- und Namensinflation nur an, was Sache ist: Es gibt zu viele neue Rosen und die Rosenzüchter produzieren das immer gleiche, jeder kopiert den anderen, bis kaum mehr Identität übrigbleibt. Das lässt dann auch einen singulären Rosenzüchter wie David Austin umso mehr erstrahlen, der ein ganzes langes Züchterleben lang seiner Vision der Rose (Alte Rose x neue Rose, gefüllt, duftend, mit Charme) konsequent, ja geradezu unnachgiebig gefolgt ist. Es gibt in jedem Falle zu wenig Rosen, die wirklich einzigartig sind und für sich selber sprechen. Und es gibt definitiv auch zu wenig Rosen und Rosengruppen, die über ein kohärentes und kontinuierliches Marketing zum Kunden, zum Gärtner gebracht werden. Wie soll man eine Geschichte erzählen, wenn es keine gibt – oder bei der Rose eher: Wenn alle Geschichten schon erzählt worden sind? Das Rosenmarketing, wie wir es bei Gartenrosen kennenlernen, ist schlichtweg armselig. Der Name einer Sängerin im Abend ihrer Karriere, vielleicht mit etwas lauer Rosenmetaphorik aufgehübscht, idealerweise mit dem Gewinn eines Rosenwettbewerbs oder eines Resistenztests irgendwo in der Welt garniert: Das soll dann mich und unsere Kunden überzeugen, diese Rosen zu pflanzen?
Ein weiteres Symptom der Krise: (Fast) jeder Rosenzüchter ist nur zu gerne bereit, eine Rose für irgendeinen auch nur einigermassen brauchbaren Namen herzugeben oder zu verkaufen, es hat sich ein regelrechter Taufmarkt etabliert (was kostet der Name der Rose) – eben weil diese Rosen keinen wirklich eigenen Namen verdienen, ihn nie und nimmer mit Inhalt füllen werden.
Die perfekte Rose als Kontrapunkt
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Sagt man. Vielleicht sollten man aber doch versuchen, dieser Falle des Gewöhnlichen und der Duplizierung zu entgehen, sich daran zu orientieren, was das Wesen der Rose ist, was eine perfekte Rose ausmachen könnte. Es ginge also darum, den vermuteten Fluchtpunkt vieler Rosengeschichten, Rosengruppen, Rosenmoden zu eruieren, zuerst in der Sprache eines Rosentraums, einer Vision – später vielleicht dann auch in der praktischen Sprache der Rosenzüchtung. Man möge mich nicht falsch verstehen: Als Züchter würde mich die Rose ungemein reizen, aber Lubera züchtet jetzt wirklich schon genug Pflanzenarten und so geht es mir eher darum, das Gespräch mit anderen Züchtern – eben echten Rosenzüchtern – zu suchen…
Unser Gesprächsgegenstand: Welche Eigenschaften zeichnen die perfekte Rose aus. Ich muss hier wohl noch präzisieren: Welche Eigenschaften zeichnen die perfekte Gartenrose aus. Denn hier geht es mir einzig und allein um die Gartenrose, die Rose die lebt und weiterblüht. Die Schnittrose stammt nur zufälligerweise von einer Pflanze. Sie könnte auch künstlich hergestellt sein. Der Unterscheid ist nur ein gradueller.
Was also wäre die perfekte Rosen für den Garten?
Die Sexualität der Rose
Die Rose ist weiblich. Das gilt für die wichtigsten Sprachen und für fast alle Bildverwendungen. Kaum je wird sie für etwas typisch Männliches mit metaphorischem Beschlag belegt, immer tendiert die Rose zur Weiblichkeit. Michael Pollan hat im phantastischen Rosenkapitel seines Gärtnerbuchs (Second Nature) darauf hingewiesen, dass wohl darum die meisten bekannten Rosenliebhaber und Züchter Männer waren…Aber ob das einer Überprüfung wirklich standhält? Historisch und sachlich bedingt waren und sind die Mehrheit der Gärtner halt Männer. Und natürlich haben diese den Blick auf die Rose, ja auch die Rose selber geformt. Aber auch Frauen spielen in der Rosenzüchtung und Rosengeschichte eine eminent wichtige Rolle. Zu erwähnen ist hier beispielhaft Kaiserin Josephine, die Ehefrau Napoleons, deren Rosengarten und Rosensammlung in Malmaison einen der Wende- und Anfangspunkte der neueren Rosengeschichte darstellt. Aber war Josephine nun die Treiberin der Rosenzucht, oder war sie die erste Rose unter Rosen?
Pollan beschreibt die männliche Erfahrung beim Betrachten einer Rose: Sei strahlt – fast immer –Sinnlichkeit aus, die im besten Fall eine fast schon sexuelle Dimension annimmt. Dabei ist es eine Ironie dieser Wahrnehmung, dass die Anziehungskraft, die Sinnlichkeit der Rose anzuwachsen scheint, je stärker die sexuellen Rosenorgane (Staubfäden, Stempel) von Blütenblättern gefüllt und verdeckt sind. Umgekehrt habe ich gerade in der letzten Zeit gefüllte neue Rosensorten gesehen, deren Blüten so seelenlos und packdicht gefüllt sind, dass sie – übrigens trotz intensiven Duftes – schon wieder langweilen. Irgendwie braucht also auch die gefüllte Blüte einen über sich hinausweisenden Schwung, eine schöne Form und vor allem auch etwas Tiefe, die das Unergründliche, das Ziel unserer Rosensehnsucht mindestens erahnen lässt. Es ist wahrscheinlich genau diese Tiefe und die Enthüllung des Verhüllten beim eleganten Öffnen der Blütenblätter, was den Reiz der schönsten einfachblühenden Rosen ausmachen kann. Sinnlichkeit und Sexualität sind bei der Rose irgendwie immer im Spiel.
Ich weiss, ich bewege mich da auf vermintem Gelände, immer auf dem Sprung als Rosensexist missverstanden zu werden, aber möchte doch festhalten: Die Sexualität der Rose ist eine ihrer wichtigsten Eigenschaften. Eine Rose, die keine Sexualität ausstrahlt, ist keine Rose.
Die perfekte Blüte
Zum guten Glück bewegen wir uns jetzt langsam aber sicher auf wegsamerem Gelände, wir und unser Gegenstand werden konkreter. Welche Rosenblüte ist perfekt? Die endgültige Antwort auf diese Frage ist bei der schieren Unendlichkeit der Rosenblüten und Blütenformen letztlich nicht zu finden. Aber die Anhaltspunkte für eine mögliche Definition der perfekten Blütenform haben ich schon im letzten Abschnitt gegeben: Die Rosenblüte braucht so etwas wie eine elegante Form; eine flache cupartige Blüte ohne Schwung kann noch so gefüllt sein, irgendwie weist sie nicht über sich selber hinaus, bleibt langweilig. Auch der Grad der Gefülltheit ist eine ziemlich unentschiedene Sache: Jedenfalls hab ich den Eindruck, dass übervolle, als Einheit und nicht als Sammlung von Petalen auftretende Rosenblüten entschieden an Charme einbüssen - letztlich fehlt dann auch die Tiefe, der mindestens spaltweise oder in einem bestimmten Reifezustand der Blüte auch offen ermöglichte Blick in die Tiefe, ins Innere der Blüte. Ja zugegeben, vielleicht sind wir da schon wieder angelangt, wo ich gerade erst diese Suche nach der perfekten Rose begonnen habe: bei der Sexualität der Rose…
Einmalblühend oder dauerblühend
Viel ist schon über dauerblühend/einmalblühend geschrieben worden. Sie kennen die Geschichte: Die alte europäische Rose war nur einmalblühend, brachte alle Blüten am letztjährigen Holz im Nachjahr zur Entwicklung, in einem Schub, in einem Höhepunkt, der nur wenige Wochen andauert. Als ich vor einigen Jahren den Rosengarten von Peter Beales in En England besuchte, irgendwann zur Unzeit, im Spätsommer, wurde mir dieser Unterschied schmerzlich und klar bewusst: Da ist im August und September nichts mehr, das blüht. Erst durch die Einzüchtung der Rosa chinensis, der chinesischen Teerosen entstanden dann dauerblühende, immerblühende Sorten, die im Gegensatz zu den alten Rosen auch am diesjährig entstehenden Holz blühen können: Die Rosentriebe wachsen, blühen und fruchten (allenfalls) im gleichen Jahr.
Was ist nun besser? Einmalblühend oder dauerblühend. Michael Pollan bemerkt in seinem eben schon zitierten bemerkenswerten Rosenkapitel (in Second Nature), dass die beiden Blühmechanismen eigentlich letztlich auf selbe rauskommen: Bei den einmalblühenden Sorten wird die Blüte einfach auf nächste Jahr aufgespart – die Knospen treiben noch nicht aus, keine Blüten am diesjährigen Holz - nur um sich dann am zweijährigen Holz in einem unglaublichen und konzentrierten Blütenspektakel zu entfalten, in einem Hochfest der Rose im Mai und Juni. Bei dauerblühenden Sorten – so Pollan - sei die gleiche Blütenfülle einfach mehr oder weniger gleichmässig auf 5 Monate verteilt… Klar wird, wo Michael Pollans Sympathien liegen: beim Spektakel. Ich teile seine Meinung insofern, als ich glaube, dass eine gleichmässige Blüte übers ganze Jahr langweilig ist, oder doch langweilig werden kann. Das immer Gleiche wird irgendeinmal nicht mehr gesehen. Dauerblüte auf gleichem Niveau verführt auch zu Rosenmissbrauch: Solche Rosen werden allzu schnell wieder flächenweise gepflanzt, stellen Farbklekse in der Rabatte dar und keine individuellen Rosen mehr.
Dennoch würde ich nicht so weit gehen wie Pollan und die einmalblühenden Rosen bevorzugen. Aufgrund ihres additiven Wuchstyps (immer neues Holz entsteht, das dann im nächsten Jahr blüht und fruchtet) werden sie sehr gross und man muss wie oben schon erwähnt nur mal einen grossen historischen Rosengarten mit einmalblühenden Rosen ausserhalb der Saison besucht haben, um zu wissen, dass das nicht die Krone der Rosenschöpfung gewesen sein kann. Also doch immerblühende Sorten? Ja, aber mit deutlichen Höhepunkten, z.B. mit zwei Blühspitzen im Juni und September. Nur so entgeht die Rose der Gefahr, allzu selbstverständlich genommen zu werden, nur so bleibt sie begehrenswert.
Blüten aus Seitenknospen
Noch ein unerfüllter Wunsch an die Blüte: Rosen blühen an einer Endknospe, der Trieb entsteht und blüht dann endständig; das stimmt für Strauchrosen, für Edelrosen, auch für Kletterrosen, jedenfalls für deren Seitentriebe. Und auch für dauerblühende Rosen aller Art. Wenn ich jetzt also einen Rosenwunsch frei hätte, so würde ich mir Rosen wünschen, die an den Seitenknospen direkt blühen. So ein bisschen kennen wir das von den Floribunda-Rosen oder ganz allgemein von Rosen, die Blütenbüschel produzieren. Diese Blütenbüschel verhalten sich aber sozusagen wie eine einzelne Blüte und entstehen ebenfalls am Ende eines Triebs. Also bitte einfach die Blütenbüschel so vorverlegen, damit der Trieb eigentlich ein einziges Blütenbüschel wäre. Dies würde dann die mögliche Blütendichte von Rosen nochmals stark erhöhen. Ich bin fast sicher, dass daraus eine eigene Rosengruppe entstehen würde, die Kombinierbarkeit mit anderen erwünschten Eigenschaften (perfekte Blüte, schnitt-los) ist vielleicht eher fraglich.
Die ‘schnittlose’ Rose
Die Rose als Gartenpflanze ist auf Gedeih und Verderb dem Gärtner ausgeliefert. Genauer: Seinem Schnitt. Eine einmalblühende Rose, die nie geschnitten wird, wächst ins Unendliche und verkahlt jämmerlich; eine dauerblühende Rose, die nicht geschnitten wird, produziert immer weniger neues Wachstum und vergreist – viel Blüten – wenig Wachstum- weniger Blüten – eine Spirale in den Rosentod.
Nun habe ich als Gärtner keine Angst vor dem Schnitt, ich erkläre den Schnitt dieser oder jener Rose mit Freuden allen Neugärtnern (weil es halt so handfest und meist auch einfach ist, das perfekte Thema für Artikel und Videos), aber es wäre doch ein Durchbruch, wenn die Rose weniger geschnitten werden müsste, wenn sie sozusagen einen langfristig wiedererkennbaren Körper aufbauen könnte, der nicht jährlich oder bei Bodendeckerrosen meinetwegen auch zweijährlich vom schneidenden Gärtner bis zur Unkenntlichkeit zurückgeschnitten werden müsste, um genügend Wachstum für genügend Blüten zu erzeugen. Beetrosen, Edelrosen und auch kompakte Strauchrosen und Bodendeckerrosen werden in den Gärten eher als Stauden kultiviert denn als wirkliche Gehölze. So lautet denn auch mein Cererum censeo beim Rosenschnitt: So stark runterschneiden wie immer möglich – das führt zu schönen Rosen. – Es spricht jedenfalls einiges dafür, die Rose als Pflanze mit Körber wiederzuentdecken. Die Strauchrose (gerade auch von David Austin) geht in die richtige Richtung.
Was wäre also notwendig, um so eine schnitt-lose Rose zu ermöglichen? Ein basitoner Wuchs, der aus der Basis immer wieder neue Triebe macht, eventuell Sorten, die nicht veredelt, sondern vegetativ und wurzelecht vermehrt werden, ohne Abstriche an Winterhärte und Wachstum; Blüten oder mindestens blühende Seitentreibe am älteren Holz, eventuell auch Blüten an den Seitenknospen. Am Schluss wäre dann ein Schnitt wie bei einem Blütenstrauch möglich, wo nur von Zeit zu Zeit ältere Triebe rausgeschnitten werden müssen, um für eine gewisse Verjüngung zu sorgen.
Blüte und Frucht
Es ist anzunehmen, dass die vegetative Regeneration der Rose aus sich selber heraus (und mit möglichst wenig Schnitt) darauf angewiesen ist, dass die Blüten keine oder nur wenig Hagebutten ansetzen. Tendenziell wären dies eher mehr oder weniger gefüllte Sorten, mit reduzierten Befruchtungsorganen und weniger Bienenflug. Umgekehrt wäre aber gerade auch im Sinne der Differenzierung und Abwechslung (eine Rose – 2 Saisons!) eine Rose interessant, die zunächst möglichst spektakulär blüht (vielleicht Mai bis Juli), und dann langsam und kontinuierlich vom Blühen zum Fruchten wechselt, um die Saison über und über bedeckt mit Früchten abzuschliessen.
Der Wuchs der Rose - der Körper der Rose
Wenn immer David Austin oder auch sein Lehrer Graham Stuart Thomas über die Edelrosen, die vorherrschende Rosenart für zwei Drittel des 20. Jahrhunderts schreiben, dann ist die Geringschätzung bei aller englisch vornehmen Zurückhaltung (sprich nie schlecht über Dritte, sonst fällt es auf Dich zurück) doch immer zu spüren: Edelrosen sind armselige Pflanzen ohne Körper (und wohl auch ohne Seele). Fast zufälligerweise entstehen da einige möglichst lange Triebe, an deren Ende sich eine Knospe ausformt. Und die Edelrose hat nicht nur keine Körper, sondern eigentlich auch keine Blüte, da diese als Knospe schon ihren Höhenpunkt erreicht hat. Danach folgen bei der Edelrose nur noch Chaos und Zerfall, die geöffnete Blüte ist sofort verblüht.
Zurück zum Körper der Pflanze: Den gibt es bei sehr vielen modernen Rosen, ganz speziell bei der Edelrose gar nicht, die Pflanze wird jeden Winter wieder bodeneben runtergeschnitten (was für viele Gärtner auch befreiend einfach ist).Ich habe einige Abschnitte weiter oben solche Rosen mit Stauden verglichen. Ausgewachsen stehen dann die Blüten auf den deplatzierten Stängeln wie auf einem Stativ. Die Blüte hat sich verselbständigt – und die Pflanze ist dabei… vergessen worden.
Die Rose als Pflanze
Die Rose ist eine Rose ist eine Rose. Das ist richtig so, aber genau besehen besteht die Rose halt aus mindestens 3 Teilen, von denen 2 gleich benannt sind: Die Rose Rosenblüte, die oberirdische Rosenpflanze (ebenfalls Rose) und die Rosenwurzel (Unterlage) , auf die Gartenrosen meist veredelt werden. Es wäre eine eindeutige Vereinfachung, wenn Rosen auch in unserem Klima über Steckhölzer oder Steckling vermehrt werden könnten, trotzdem genug wiederständig wären und auch genug Wachstum mit immer neuen Basistreiben mit sich brächten. Wenn die Edelsorten stärker wachsen und gleichzeitig auch stärker blühen als die Unterlagen und die Unterlagen-Sorten-Kombinationen, dann wird die Unterlage obsolet. Ähnliches erleben wir jetzt gerade in der Lubera Tomatenzüchtung, wo unsere Selektionen meist viel stärker wachsen als veredelte Tomaten, und überdies noch genetische Resistenzen gegen die wichtigsten Tomatenfeinde aufweisen – diese Sorten werden die veredelten Tomaten über kurz oder lang ersetzen. Ich wiederhole es noch einmal: Auf die Unterlage zu verzichten, wäre schon eine schöne Sache: Dies würde nicht nur die Rosenvermehrung einfacher und billiger machen, sondern auch ein basitones Wachstum und damit eine Verjüngung der Rose aus sich selber heraus ermöglichen.
Der Duft – conditio sine qua non
Man kann es ausdrücken und beschreiben, wie man will: Die Rose hat Sexappeal. Sie zieht die Blicke auf sich, in sich hinein. Sie erhalten eine Rose, sie sehen eine Rose, sie nehmen die Anziehungskraft wahr – und dann nähert sich Ihre Nase unweigerlich dem Innersten der Rose: Auf der Suche nach der Essenz, nach dem Duft. Eine Rose ohne Duft mag eine Blume sein, sie ist keine Rose wirkliche Rose. Die Wahrnehmung einer schönen Rose ohne Duft ist wie …Sex ohne Höhepunkt.
Die Sache mit der Gesundheit
Was nützt kranke Schönheit, was bringt ein intensiver Duft, der weiter unten von fallenden kranken Rosenblättern dementiert, ja konterkariert wird. Rosen müssen gesund sein, mindestens so wie vergleichbare Blütensträucher. Ihre Prominenz und Geschichte reichen nicht mehr als Entschuldigung für fehlerhaftes Verhalten, für sommerliche Rosensträucher mit mickrigen einsamen Blüten und ohne Blätter. Natürlich gehört zur Gesundheit ein vitaler, sich selber erneuernder Wuchs, der möglichst ohne die Stimulanz eines Sommerschnitt auskommt. Von dieser Gesundheit der Rose ist schon lange die Rede, viele Züchter streben sie an, aber meiner Meinung nach ist sie zu wenig ganzheitlich angestrebt worden: Eine weitgehend duftlose, langweilige, immergleiche Bodendeckerrose ist eben eigentlich keine Rose. Wenn man sich die Rosengruppen und Rosenfamilien anschaut, die in den letzten 30 Jahren qua Resistenz Erfolg hatten, so hat sie dieser Erfolg meist selber wieder eingeholt: Flowercarpets und in den USA die Knockout-Roses fehlt der Charme der Individualität. Und wenn einmal der Reiz nicht fehlte, so machte halt die ubiquitäre und massenhafte Verbreitung diese Rosenfamilien langfristig kaputt: Im Erfolg liegt dann gleich auch der Kern des Niedergangs. Dazu kommt, dass der monokulturartige Anbau so sicher wie das Amen in der Kirche Krankheiten heranzüchtet, die jede Resistenz irgendwann durchbrechen werden.
Farben
Ich bin da nicht gerade farbenblind, aber doch gleichermassen offen für alles. Es gibt Rosenästheten fast aristokratischer Art, die bei Mischfarben, bei sehr grellen Farben und bei gestreiften Rosen gleich das Lied des Niedergangs anstimmen. Dem stimme ich nicht zu: Alles ist möglich, alles ist erlaubt, die neue Rose soll ihre farblichen Möglichkeiten voll ausspielen können. Persönlich bin ich ein Fan der gestreiften, der fröhlichen Rosen, und die Persischen Rosen mit der dunkeln Mitte ermöglichen ganz neue Farb-, Licht- und Schattenkombinationen, die die Tiefe der Blüte verstärken, und so wohl auch Rosenblüte als Ganzes nochmals sinnlicher wirken lassen. Noch etwas: die Rose nur zwischen Weiss und Rosa zu sehen, hat etwas Versnobt-Aristokratisches, Altertümliches. Rosen in allen möglichen und unmöglichen Farben demokratisieren die Rose – hoffentlich ohne sie gewöhnlich zu machen.
Charme
Mit der Ausnahme der Sexualität der Rose habe ich bis jetzt alles einigermassen nachvollziehbare Veränderungen und Verbesserungen angesprochen, die zur perfekten Rose führen könnte. Fehlt da noch etwas?
Den nicht unerheblichen Rest, das was man eigentlich nicht beschreiben kann, was aber doch in fast jedes Rosenurteil einfliesst, hat David Austin Charme genannt. Er geht sogar so weit, dass er in der Züchtung die Rosen neben allen objektiven Kriterien (Wuchs, Gesundheit, Blütentyp, Farbe etc.) auch mit einem Charmefaktor (z.B. von 1-9) beschreiben lässt.
Was heisst Charme: All das, was einen anspricht, was man aber nicht direkt auf Blütenform, Duft (na ja, vielleicht doch), Farbe, Wuchs zurückführen kann. Das Ganze, das mehr ist als die Summe der Einzelteile und der einzelnen Eigenschaften. Das was eine Rose nie langweilig werden lässt. Natürlich ist der Charme der Rose nicht ganz von ihrer Sinnlichkeit, ihrer Sexualität zu trennen, aber er geht doch in eine andere Richtung: eine Rose kann auch fröhlich, lustig, unbeschwert oder auch dominant sein…
Die Perfekte Rose!
Auch wenn ich David Austin zugestehe, noch so gerne zugestehe, dass es so etwas wie den schwer definierbaren Charmefaktor gibt, so bin ich doch auch ziemlich sicher (halt so sicher wie man sicher sein kann), dass neben Rosen-Charme die erwähnten anderen Faktoren, mindestens einige von ihnen, notwendig sind, um eine Perfekte Rose mindestens anzunähern:
Die perfekte Rose hat Sex: Eine Rose muss Sex ausstrahlen. Vielleicht ist auch das Wort Sinnlichkeit zutreffender.
Die perfekte Rose blüht ausdauernd, mit Höhepunkten.
Die perfekte Rosenblüte selber muss zeitlich über eine längere Zeit schön sein, sich auch in verschiedenen Phasen der Entfaltung attraktiv zeigen. Dabei kann die Blüte relativ einfach sein oder auch gefüllt. Wichtig ist eine bestimmte Eleganz und Individualität der Blüte, die durchaus auch unterschiedliche Grade der Blütenentwicklung auf einem Strauch betrifft. Denkbar ist auch die Kombination von zwei Saisons: eine für die Blüte, eine für die Früchte (Hagebutten).
Die perfekte Rosenblüte hat Tiefe – und Charme…
Die perfekte Rose duftet.
Die perfekte Rosenblüte entsteht am diesjährigen Holz, idealerweise auch direkt aus Seitenknospen. Allenfalls blüht sie auch am alten Holz.
Die perfekten Rosenblüten können in allen Farben und Farbkombinationen auftrumpfen. Das macht einen Teil der Vielseitigkeit der Rose aus.
Die perfekte Rose ist nicht nur eine Blume, die perfekte Rose ist auch eine Pflanze und hat einen Pflanzenkörper.
Die perfekte Rose wächst Bastion: Die Rose erneuert sich aus der Basis oder verzweigt möglichst tief, idealerweise wird sie auf eigener Wurzel vermehrt.
Die Rose kommt auch ohne Schnitt aus – mindestens auf den Sommerschnitt kann man verzichten und der Winterschnitt wird weniger radikal - es werden nur regelmässig einige ältere Äste rausgeschnitten.
Die perfekte Rose ist gesund – bei Pflanzung zusammen mit anderen Pflanzen und in Kleingruppen so gesund, dass man nicht daran denkt, Chemie einzusetzen. Diese Gesundheit ist verlässlich, zeitlich und geographisch.
Die perfekte Rose unterscheidet sich. Im Aussehen, im Wuchs, in der Verwendung und in der Pflege.
Der Name der perfekten Rose ist wichtig, aber er spricht möglichst selber (und nicht durch den Namen anderer).
Die perfekte Rose braucht kein Zertifikat, auch nicht 3 oder noch mehr Zeugnisse zu Schönheit, Duft, Gesundheit, Wuchs. Sie funktioniert und hat darüber hinaus auch noch Charme und Sexappeal.
Die perfekte Rose als Produkt oder Produktgruppe ist nicht einheitlich, sondern immer wieder anders, sie erfindet sich immer wieder neu in der Kombination der einzelnen Eigenschaften
Nachbemerkung: Gibt es die perfekte Rosen schon? Natürlich nicht! Darum fiel es uns auch einigermassen schwer, Bilder zu diesem Artikel zu finden… Wie man auch im Text lesen kann, sieht Markus Kobelt die Züchtung von David Austin am nächsten bei seinem Ideal: als einziger Rosenzüchter seiner Zeit hatte David Austin eine kohärente Vision der perfekten Rose und setzte sie konkret und konsequent über 60 Jahre um. Wir streuen also – als eine Art Hommage an David Austin - Bilder in den Text, die wir vor einigen Jahren anlässlich eines Besuches in der Rosenzüchtung von David Austin gemacht haben. Sollten wir oder andere Rosenzüchter nun David Austin kopieren? (In Klammern: Das haben fast alle Rosenzüchter schon längst gemacht, wenn auch nicht richtig...) Antwort: Nein, das ist nicht zielführend. Aber lernen von David Austin können wir schon: Um die perfekte Rose auch nur anzunähern braucht es auf jeden Fall eine Rosenvision und dann einen sehr langen Atem.