Veredelte Gemüsesorten bewähren sich dieses Jahr besonders gut und werden immer beliebter. Gerade für den Stadtbalkon sind sie eine Bereicherung, da auf wenig Platz mehr Tomaten, Auberginen oder Melonen geerntet werden können.
Falls sich jemand wundert, warum die Tomaten auf dem Nachbarbalkon so viel mehr Früchte tragen, oder warum dem da drüben trotz dem miesen Frühling buschiges Basilkum und die schönsten Auberginen wachsen - nicht verzweifeln. Der gärtnert nämlich auch nur mit Wasser und Dünger. Aber mit einiger Wahrscheinlichkeit hat er diesen Frühling veredelte Setzlinge gekauft. Diese sind bei den professionellen Anbauern längst Standard. Nun setzen sie sich auch im Hobbybereich durch. "Viele Konsumenten kommen mit der Etikette vom letzten Jahr ins Gartencenter und wollen die gleiche Sorte wieder kaufen," erzählt mir Patrik Schlüssel von Greenplant Pflanzenhandel. Mir ging es genauso. Ich habe die letzten Jahre veredelte Tomaten, Gurken und Peperoni ausprobiert und war begeistert. Nachteile sehe ich nebst dem Preis nur zwei: Man kann diese High-Tech-Pflanzen natürlich nicht selber weitervermehren. Und die Sortenauswahl ist nicht so gross wie bei herkömmlichem Saatgut. Aber dafür haben wir ja die Pro Specie Rara. Meiner Meinung nach hat beides seine Berechtigung, und auch wenn mein derzeitiger Balkon in der Bieler Altstadt winzig ist, findet neben den neuen Supertomaten auch noch eine seltene Mariannas Peace ihren Platz … hurra, nach drei Monaten Chüderlen bei schlechtem Wetter will sie nun tatsächlich doch gedeihen! Der neuste Schrei in meinem Miniparadies aber ist eine veredelte Wassermelone - ja huch, so was gibt es inzwischen! Die Früchte sind zwar noch nicht gerade fussballgross, aber wir haben ja auch erst Juli, und das kann noch werden, ich bin zuversichtlich! Jedenfalls sorgt sie schon allenthalben für heisse Diskussionen. Da ist eben diese Schnittstelle im unteren Bereich des Stieles, an der die Wurzelunterlage eines Feigenblattkürbis und das Edelreis der Wassermelone mit einem Clip aus Plastik zusammengesteckt wurden. Sonst deutet nichts darauf hin, dass das Pflänzchen manipuliert worden ist. Ausser natürlich der Preis: veredelte Setzlinge kosten einiges mehr als die aus Samen vermehrten. Dafür sind auch die Vorteile nicht von der Hand zu weisen: Sie sind robuster und krankheitsresistenter, was gerade im Biogarten, und insbesondere in einem verregneten Frühling ein enormer Vorteil ist. Der Ertrag ist bis zu doppelt so hoch, und man kann im Herbst länger ernten. Geschmacklich ist auch nichts einzuwenden, es werden ja nur die besten F1-Hybriden aufgepfropft.
"Gegen die Natur," munkeln nun aber einige, oder mutmassen gar, es handle sich um Gentech. Manchen Leuten ist im Garten offenbar alles Neue suspekt. Aber beim Veredeln werden keine neuen Sorten hergestellt. Es sind vielmehr Klone von bewährten Züchtungen, die auf diese Weise sortenecht weitervermehrt werden. Eine veredelte Pflanze ist eine Chimäre, ein Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Geweben besteht und dennoch ein einheitliches Individuum darstellt. Die Technik ist seit der Antike bekannt, beim Obst und bei den Rosen macht man das seit jeher. Im gewerbsmässigen Gemüseanbau sind die veredelten Setzlinge auch längst Standard.
Um das Potential dieser Superpflanzen voll auszukosten, heisst es nun weiterhin: regelmässig giessen, düngen, Tomaten ausgeizen. Und vor allem müsst ihr sie gut aufbinden, damit ihre Zweige dann die reiche Ernte auch tragen mögen und nicht abbrechen.
Natürlich könnte man nun auch Tomaten auf Kartoffeln veredeln, dafür sind die beiden Nachtschattengewächse eng genug verwandt. Tomoffeln wachsen meist sogar an. Aber die Kraft reicht ihnen dann nicht, um sowohl Knollen wie Früchte zu bilden, und so gehen sie vor Erschöpfung ein, bevor es viel zu ernten gibt. Vielleicht auch besser so. Irgendwie wäre das schon gspässig und auch etwas unheimlich, eine solche Chimäre auf dem Balkon zu ziehen. Auf meine erste Melonenernte aber freue ich mich nun sehr. Und nach diesem schauerhaften Frühling doch ordentlich Tomaten und Basilikum ernten zu können, das ist schlicht ein Genuss und eine Freude. Danke, liebe Züchter!