Nach einem Interview und einem Rundgang durch die Züchtung fragte mich die NZZ-Journalistin Angelika Hardegger kürzlich, was mich denn eigentlich antreibe. Ich war – ziemlich untypisch – für einen längeren Moment sprachlos. Ich stand sogar auf und wechselte den Platz. Eine typische Übersprunghandlung. Natürlich habe ich etwas geantwortet. Muss man ja. Aber ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern (vielleicht lese ich das dann in Angelika Hardeggers Artikel ;-). Da war eine Antwort, aber ich wusste sie nicht. Ich versuche nun die verspäteten Worte dafür zu finden. Achtung: Das wird ziemlich persönlich. Aber das darf ja auch einmal sein...
Inhaltsverzeichnis
Optimismus
Als Kind war ich gar nicht optimistisch. Ich wusste schon vor den Kämpfen und Auseinandersetzung mit Nachbarskindern, dass ich verlieren würde (interessanterweise habe ich trotzdem gekämpft). Im Kindergartenalter starben meine Grosseltern. Wie könnte es möglich sein, jemals erwachsen zu werden, wenn die Grosseltern schon sterben? Unvorstellbar!
Meine Perspektive war ziemlich eng – und kurz. Angst. Meine Mutter hat das erkannt, auch gemerkt, dass sie da nicht helfen konnte. Sie schickte mich – in den 70er Jahren – in den ersten Schuljahren zu einer Kinderpsychologin und Spieltherapeutin. Ich durfte schiessen, was das Bubenherz begehrt: Pfeil und Bogen, Revolver, alles, was eigentlich nicht erlaubt war. Ich lernte zu fluchen (ich hatte der Sonntagsschullehrerin geglaubt, dass man das nicht dürfe). Und las stundenlang Comics – wohlgemerkt: in den Therapiestunden. Die Perspektive öffnete sich. Der Optimismus wuchs, ziemlich ungehörig. Einige Lehrer und Lehrerinnen haben das unsanft erfahren. Einige haben sich sogar darüber gefreut.
Optimismus ist lernbar. Es ist der bewusst-unbewusst ausgerichtete Blick auf das berühmte halbvolle Glas, gespeist von den inneren Kräften und Wünschen. Natürlich ist es durchaus heilsam, dass es den Pessimismus auch noch gibt, den nicht minder sturen Blick auf das halbleere Glas. Bei mir lasse ich ihn nur kurzzeitig zu. Aber ich lasse ihn an mich heran, bin manchmal auch froh um den Perspektivenwechsel, um die Korrektur. Allerdings: Pessimismus ist allerhöchstens das Salz in der Suppe, darf aber die Bouillon und die Suppeneinlage nie dominieren. Wenn man abschmeckt, ist das mindestens beim Kochen eine bewusste Entscheidung.
Ohne Optimismus hätte ich nie eine Firma gegründet, nie mit dem verrückten Projekt einer eigenen und immer grösser werdenden Pflanzenzüchtung angefangen. Ich meine mich zu erinnern, dass mir die Idee zum Züchten während einer Grippeerkrankung kam.
Optimismus ist für mich auch: Der Glaube, das Vertrauen auf die Pflanze. Pflanzen sind materialisierter, ja sogar lebendig gewordener Optimismus. Sie wachsen sogar und mit Vorliebe da, wo sie nicht wachsen sollten.
Hoffnung
Hoffnung ist die kleine, ziemlich unterschätzte Schwester des Optimismus. Die Hoffnung rechnet sozusagen den pessimistischen Blick in die optimistische Gestimmtheit mit ein: Ja, theoretisch könnte vieles, ja fast alles schiefgehen. Und es geht auch schief, Murphy‘s Gesetz schlägt manchmal unbarmherzig zu. Aber es wird schon werden. Murphy hat auch unrecht: Definitiv geht nicht alles schief, was schief gehen könnte. Hoffnung ist Vertrauen in die Zukunft, Vertrauen darauf, dass es immer eine Zukunft gibt. Und dass es gut und besser wird. Tendenziell zumindest.
Hoffnung zeigt sich in der Pflanzenzüchtung. Dass da unter Dutzenden von Kreuzungen, unter Tausenden von Sämlingen einer ist, der besser und anders ist. Und dass ich ihn dann auch sehe. Vielleicht.
Wissen und Wissenschaft können da unterstützen und helfen, aber sie ersetzen die Hoffnung nicht. Wir sind aktuell gerade dabei, unsere Züchtungsprojekte zu digitalisieren, mehr Daten zu erfassen. Wir probieren Markergestützte Züchtungsmethoden aus (wo genetische Analysen eine Vorselektion auf gewünschte, genetisch genau definierte Eigenschaften ermöglichen). Ich bin überzeugt, dass wir das tun müssen. Aber auch hier: Ich hoffe, dass diese Methoden so funktionieren, wie angedacht ;-)
In der Züchtung behalte ich mir eine Grundskepsis gegen Züchtungsmethoden vor, die Hoffnung mit (vermeintlicher) Sicherheit ersetzen, die z.B. aktiv ins Genom eingreifen, Eigenschaften vorprogrammiert einsetzen und ersetzen wollen. Der Ersatz von Hoffnung durch Wissenschaft ist ein gefährlicher Trugschluss: Man ist so gar nicht mehr in der Lage, die Kollateralschäden zu berechnen. Und noch viel schwerwiegender: Die Gentechnik (die Spezialisten mögen mir hier die undifferenzierte und auch ungerechte Pauschalisierung verzeihen) läuft Gefahr, auf unendliche Chancen zu verzichten, weil sie den Zufall und damit die Hoffnung ausschliessen will. Immerhin kann das auch ändern, besser werden. Meine Hoffnung: Dass die Hoffnung zuletzt und damit gar nicht stirbt.
Resilienz
Aufstehen, wenn man niedergeschlagen wird. Widerstände überwinden. Gäbe es keine Niederlagen, Misserfolge, Widerstände, so müsste man sie erfinden. Genau genommen, mit optimistischen Augen gesehen, sind Misserfolge keine Niederlagen. Ich habe mich im Verdacht, dass ich geradezu eine Vorliebe für Resilienz habe. Als Kind habe ich sogar gekämpft, wenn ich ganz sicher wusste, dass ich verlieren würde. Gekämpft auch ohne Optimismus. Das sieht dann – unter uns Erwachsenen – manchmal ein bisschen nach Querulantentum aus, wenn ich etwa ziemlich verbissen für die Freiheit verfolgter und verfremter fremder Pflanzen kämpfe. Ich hoffe in diesem Kampf, der manchmal ziemlich aussichtlos scheint, dass er vielleicht gar nicht nötig wäre, weil Pflanzen schon ihrem Weg finden, weil sie die Resilienz geradezu für sich gepachtet haben.
Warum ich dann trotzdem kämpfe: Weil man an Widerständen wächst, weil‘s Freude macht und Kraft gibt. Als Gründer von Lubera darf ich es ja auch aussprechen: Ich habe halt Lust darauf!
Resilienz ist – da bin ich nicht ganz sicher – vielleicht auch lernbar. Man muss den Stier gezielt an den Hörnern packen. Der Gefahr, dem Problem, ja sogar der Niederlage in die Augen sehen… und handeln. Selbstverständlich macht man dabei auch ein gerütteltes Mass an Fehlern.
Arbeit
Das ist jetzt ziemlich heikel. Ich habe die Lektion erst in meinen 20ern gelernt, bei der physischen Arbeit im Obstbau. Bäume pflanzen, schneiden, ernten, immer wieder, jedes Jahr. Hoffnung und Optimismus reichen nicht, sie müssen – verdammt nochmal – abgearbeitet werden. Die Hoffnung materialisiert sich nur über Arbeit, da gibt es – von Zufällen und Genies abgesehen – keine Abkürzung. Junge Männer scheinen das eher später zu lernen als Frauen. Die Idee, der Gedanke ist nichts wert, solange er nicht aufgeschrieben und formuliert ist (ja schreiben ist auch Arbeit, ziemlich unendlich viel Arbeit, so wie die Kultur von Obstbäumen). Auch der Volksmund weiss es: Von Hoffnung alleine kann man nicht leben.
Zurück zu unserem, zu meinem konkreten Beispiel: Pflanzenzüchtung: Der Wert entsteht da nur durch jahrelange, manchmal jahrzehntelange Arbeit. Der gute Gedanke, der Geistesblitz für eine spezielle und alles ändernde Pflanzenkreuzung ist nur der Ausgangspunkt für jahrzehntelange Arbeit. Wir hoffen, dass vielleicht etwas dabei herauskommt. Nach 30 Jahren weiss ich: Es kommt immer etwas heraus, wenn auch nicht immer das, was ich mir ursprünglich vorgestellt habe.
Dementi?
Vielleicht treibt mich das wirklich an: Optimismus, Hoffnung, Resilienz und Arbeit. In dieser oder in umgekehrter Reihenfolge. Aber es könnte auch ganz anders sein. Selbsterklärung ist ein ziemlich gefährliches Eis, auf das man sich nur kurzzeitig und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hinauswagen sollte. Abstandregeln einhalten und Sicherheitsleinen nicht vergessen… Darum: Glauben Sie nicht alles, was ich Ihnen da erzählt habe ;-). Natürlich bin auch sehr bequem, manchmal faul, selten verzweifelt und häufig ängstlich. Und selbstverständlich ist es (immer) viel zu früh, um ein Fazit zu ziehen. Eines aber dürfen Sie mir glauben: Hoffnung, Optimismus und Arbeit sind definitiv lernbar. Bei der Resilienz bin ich wie gesagt nicht so sicher. Natürlich können Sie es auch selber ausprobieren. Aber wahrscheinlich haben Sie das längst getan.
Optimismus ist lernbar! 100% ja!