Kürzlich schickte mir ein Kunde ein Photo mit einem verunstalteten Redlove® Apfel. Auf ca. 2/3 der Apfeloberfläche war eine schorfige, sandpapierartig strukturiere, grau-braune Oberfläche zu sehen, die nichts mehr von der leuchtend roten Farbe der Redloves zeigte. Die naheliegende Frage des Kunden: Ist der Baum krank, was kann ich unternehmen, um meine Ernte und den Baum zu retten? Irgendwie scheint es so zu sein, dass wir bei Lebewesen (und das sind nun mal auch Apfelbäume) immer gleich mit dem Schlimmsten rechnen…
Inhaltsverzeichnis
- Woher stammt die Berostung des Apfels, ist das eine Krankheit?
- Warum berosten Äpfel, und warum macht diese Verhaltensweise eventuell Sinn?
- Was ist mit den Lederäpfeln, russet apples, die immer ganz oder teilweise berosten?
- Warum wählt der Mensch der frühen Neuzeit berostete Äpfel?
- Der Mensch und der Apfel
Woher stammt die Berostung des Apfels, ist das eine Krankheit?
Natürlich konnte ich den besorgten Gartenfreund beruhigen: Nein, das ist kein Schorf und auch keine Krankheit. Viele Äpfel (und übrigens viele andere Früchte auch) haben aber die Fähigkeit (oder je nach Perspektive auch das Laster) eine teilweise oder auch ganz rostige oder berostete Fruchtschale auszubilden. Besonders häufig geschieht dies nach nass-kaltem Wetter zur Blütezeit oder auch nach einem Frostereignis während der Blüte. Und ja, der Apfel wird – einmal reif – genau so köstlich schmecken wie der unberostete Redlove® Apfel. Die berostete Schale ist weder giftig noch krankmachend, sondern einfach aufgrund der Einwirkungen während der Blüte anders strukturiert.
Bild: Vergleich zwischen Berostung an einem Redlove (links) und echten Apfelschorf an einem Golden Delicious (rechts).
Schnell und buchstäblich über Nacht entwickelte sich aus der einfachen Frage und der kurzen Antwort ein längeres Gedankenspiel, das ich gerne mit Euch teile. Allerdings muss ich um ein bisschen Geduld bitten, weil am Anfang des Gedankenspiels kaum einsehbar ist, warum und zu welchem Zweck ich es anstelle. Aber so geht es halt dem Leser wie mir: Ich wusste ja auch nicht, wohin das Sinnieren über etwas so Belangloses wie die Schalenberostung beim Apfel führen könnte.
Warum berosten Äpfel, und warum macht diese Verhaltensweise eventuell Sinn?
Warum berosten die Äpfel nach einer Frosteinwirkung? Ganz sicher lassen sich dafür physiologische Gründe finden. Aber wir beginnen unsere Gedankengänge simpel und ohne zu viel Ablenkungen und Wissenschaft. Der Frost, das kaltnasse Wetter haben Folgen im Gewebe der jungen, kaum befruchteten Apfelfrucht – und dies führt dann zu dieser Berostung. Aber vielleicht ist das doch noch zu wenig weit gedacht? Ich beantworte damit nämlich nicht die entscheidende Frage – nämlich, was für einen evolutionären Vorteil es dem berosteten Apfel brachte, nach dem Frost grau-braun auszusehen. Hier wechsle ich jetzt, durchaus mit guten Gründen, ins Gebiet der biologischen Spekulation: Nach schlechtem und kaltem Wetter in der Blütezeit ist kein sehr grosser Ertrag zu erwarten. Damit könnten Äpfel einen Vorteil gewinnen, die die Eigenschaft haben, sich unscheinbar grau-braun zu färben und damit den grossen Säugetieren im Frucht-Urwald gar nicht aufzufallen. Das schlechte – oder sagen wir mal »spezielle« Aussehen könnte ein evolutionärer Vorteil sein und einige Samen retten, die in der Nähe keimen können. Aber natürlich kann man das auch ganz anders sehen (siehe unten).
Was ist mit den Lederäpfeln, russet apples, die immer ganz oder teilweise berosten?
Seit Shakespeares Zeiten und bis hinein ins beginnende 20. Jahrhundert war beim Apfel eine flächig berostete Sortengruppe bekannt und auch sehr begehrt, die russet apples, die im Deutschen häufig auch Lederäpfel genannt wurde. Letztlich waren und sind das Sorten, die fast immer und bis zu 100% diesen Rostbelag, diese rauhe Haut ausbilden (bei der der Kunde eingangs eine gefährliche Krankheit vermutet hat). Beispiele für russet apples sind Boskoop, Blenheim Orange, Egremont Russet, Golden Russet, Nonpareil, Kanada-Reinette, Graue Reinette. Es ist naheliegend, dass es sich sowohl bei den Sorten, die aufgrund des Blühwetters berosten als auch bei den immer berosteten Sorten um dieselbe genetische Prädisposition handelt, die einfach unterschiedlich stark ausgeprägt ist und unterschiedlich getriggert wird. Es könnte auch hier sein, dass es sich beim Rost um ein Tarnmanöver des Apfels handelt, um im genetischen Ursprungsgebiet des Apfels, in den Bergen und Tälern zwischen Kasachstan und China nicht von Wildpferden und Bären gefressen zu werden. Andererseits haben einige Autoren, die zum Ursprung des Apfels geschrieben haben, grad auch das Gegenteil behauptet: Nach ihnen waren es die grossen Säugetiere, die nach und nach im Ursprungsgebiet des Apfels unseren heutigen Kulturapfel geformt haben… indem sie über Samen verbreiteten, was sie beim Essen bevorzugten, was gross und farbig war. So gesehen könnte die Berostung auch ein evolutionärer Nachteil sein, da solche Früchte nicht so auffallen und entsprechend seltener gefressen und verbreitet werden. Immerhin gibt es aber die Berostung bis heute, sie muss also schon auch einige Überlebensvorteile geboten haben. Aber letztlich sind wir ja nur Menschen, und keine Bären und Pferde… schon gar nicht sind wir Apfelbäume. Was also können wir wissen? Wie kam es, dass in der Neuzeit, also in den letzten 300–400 Jahren russet apples so erfolgreich waren und relativ häufig selektioniert und vermehrt wurden? Wie kann das, was wir heute als Schaden oder Unfall sehen, einst ein Segen gewesen sein?
Warum wählt der Mensch der frühen Neuzeit berostete Äpfel?
Das ist nun wirklich eine schwer zu beantwortende Frage. Aber vielleicht muss man auch einfach die Perspektive wechseln, den Rost nicht als Beschädigung sehen, sondern als Auszeichnung. Berostete Äpfel sind sicher etwas Spezielles, sie unterscheiden sich. Und mit etwas Phantasie kann man die Farbe auch als Bronze- oder Goldüberzug interpretieren (wie es in der älteren pomologischen Literatur auch häufig geschieht).
Berostete Apfelsorten wie Egremont Russet werden auffällig häufig als süss und sehr aromatisch beschrieben, wobei meist das nussige Aroma hervorgehoben wird. Bezüglich des Aromas sehe ich aber kaum einen Zusammenhang mit der Berostung – höchstens dass vielleicht ein berosteter Apfel auch im 16. Jahrhundert besonders gut gewesen sein muss... damit er sich als Sorte durchsetzen konnte. Waren vielleicht die Apfelesser der frühen Neuzeit doch nicht so anders als wir?
Eine andere Erklärung bewertet die Nähe zur Birne. Oft werden russet apples als süss wie Birnen und in der Textur ähnlich wie eine feste, noch nicht schmelzende Birne beschreiben. Im 16. bis 19. Jahrhundert war nämlich nicht der Apfel, sondern die Birne die einheimische Leitfrucht – und so wirkt es schon plausibel, dass die Menschen Apfelfrüchte auswählten, die in Geschmack und Aussehen den vielfach berosteten Birnen ähneln.
Schliesslich gibt es aber doch noch einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen historischen Qualität der Rostäpfel und dem Rost selber. Die berostete Fruchthaut ist nämlich Wasser-durchlässiger als eine glatte, im Naturlager auch meist etwas fettig werdende Fruchthaut. Damit wird die berostete Frucht in der Tendenz schneller weich – oder aber erreicht die Konsistenz, die bis zur Erfindung des modernen Zahnapparats im 20. Jahrhundert am beliebtesten war: Die russet apples werden relativ schnell mürbe, also nicht ganz weich, aber doch leicht zu essen, wie gesagt vergleichbar mit einer Birne kurz vor dem schmelzenden Höhepunkt. Um es nochmals etwas klarer auszudrücken: Es könnte in modernen Zeiten seit dem 16. Jahrhundert für berostete Äpfel in den Augen der Konsumenten und Anbauer ein Vorteil gewesen sein, dass sie ideal auch mit einem nicht mehr voll funktionsfähigen Zahnapparat gegessen werden konnten. Und genau passend zu dieser Hypothese erleben wir Modernen die Lederäpfel (ein anderes Synonym der russet apples) als trocken, zwar süss, aber eher feucht als saftig. Hätte wir solche Äpfel im Supermarkt gekauft, wären sie als mehlig längst schon im Kompost gelandet …
Der Mensch und der Apfel
Wo also treffen sich der Mensch und der Apfel? Der Apfel (die fruchttragenden Pflanze) zeigt ihr Angebot, die Diversität, die sich aufgrund ihrer Geschichte ergibt. Und der Mensch wählt aus, was er in seiner gegenwärtigen Situation für das beste Angebot hält. Die letztere Beurteilung kann aber sehr schnell ändern (jedenfalls ‚schnell‘ im Vergleich zur langen Geschichte des Apfel). Mich würde die Gemeinschaft der Apfelzüchter wohl vollends für verrückt halten, wenn ich jetzt mit der Züchtung von berosteten Äpfeln, russet apples, beginnen würde. Da müssten wir denn schon in Richtung »Gold« selektionieren…
Wobei, vielleicht muss ich mir das doch noch überlegen: Denn die Berostung würde wohl insgesamt den Frucht-Waste verringern, weil kleine Makel in der Schale gar nicht mehr sichtbar wären. Und ANDERS als die aktuellen Äpfel sind die Rostäpfel ganz bestimmt…was man von den meisten Neuheiten auf dem Apfelmarkt und im Supermarkt nicht sagen kann.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
berostete Äpfel