Bei Lubera haben wir vor knapp 5 Jahren damit begonnen, bessere vielfältigere und krankheitsresistentere Kartoffeln zu züchten. Das Vorhaben scheint auf den ersten Blick einigermassen verrückt und widersinnig: Weltweit züchten dutzende von grossen Konzernen neue Kartoffelsorten. Macht es da Sinn, als Kleinunternehmen in die Kartoffelzüchtung einzusteigen? Diese Frage beleuchtet Markus Kobelt im untenstehenden Beitrag und er kommt zu einem eindeutigen Schluss: Ja, es ist nicht nur sinnvoll, sondern sogar notwendig neue Kartoffelsorten für den Hausgartenanbau und auch für den Nischenmarkt zu kreieren, weil es sie sonst nie geben wird.
Inhaltsverzeichnis
Der Blick zurück in der Kartoffelzüchtung – Wie Phytophthora infestans mehrere Kartoffelernten zerstörte
Vor über 170 Jahren (1845-1849) folgte die Kraut- und Knollenfäule Phytophthora infestans ihren Lieblingswirten, der Kartoffel und der Tomate nach Europa und zerstörte hintereinander mehrere Kartoffelernten. Millionen von Menschen starben, als Folge davon wanderten 2 Millionen Iren und auch viele Europäer nach Amerika aus. Ein ziemlich ungleicher transatlantischer Austausch.
Der Blick nach vorne – Nach 5 Jahren Projektzeit in der Kartoffelzüchtung
Der Blick nach vorne: Nach knapp 5 Jahren Projektzeit können wir in der Kartoffelzüchtung bereits schöne resistente Kartoffelsorten vorweisen, deren Resistenz auch auf mehreren Resistenz-Genen oder Resistenz-Mechanismen beruht (siehe unten den Reisebericht aus England). Kartoffeln, die bis in den Oktober hinein auf dem Feld grün und gesund bleiben, mit gutem Geschmack, und zunehmend auch in einer breiten Diversität der Formen und Farben.
Die Frage der Resistenz
Die Frage drängt sich auf: Warum konnten sich in den letzten 150 Jahren nie nachhaltig resistente Sorten für den Erwerbsanbau durchsetzen und warum gab es auch nur relativ wenig konsequente Resistenzzüchtung. Die Antworten sind komplex und können hier nur kurz skizziert werden; sie deuten aber doch darauf hin, dass es systematische Hindernisse gab und gibt, die die Resistenzzüchtung bei Kartoffeln schwierig bis fast unmöglich machen. Und: Nicht alle diese Hindernisse sind bei der Kartoffel selber zu suchen…
- Resistenzen werden durchbrochen, vor allem wenn sie relativ einfach strukturiert sind, nur auf einem Gen beruhen: Es sind in der Vergangenheit schon mehrfach Krautfäule-Resistenzen durchbrochen worden. Bei einer Massenkultur wie bei der Kartoffel ist die Gefahr solcher Durchbrüche auch besonders gross. Monokultur und Resistenz-Durchbrüche sind weitgehend zwei Seiten der gleichen Medaille. Dennoch zeigen unsere bisherigen Züchtungsergebnisse, dass die sichere oder sicherere Kombination mehrerer Resistenzen gut möglich ist und dass in Wildkartoffelsorten und -Arten genügend weitere Resistenzen vorhanden sind. Letztlich waren in der Kartoffelresistenz-Züchtung bisher einfach die Anstrengungen, die Investitionen zu wenig gross. Warum?
- Die normierende Kraft des existierenden Marktes trägt wohl die Hauptverantwortung für die fehlenden resistenten Kartoffeln: Der Markt verlangt für jeden Verwendungszweck hochspezifische Kartoffelsorten – hier können die Züchtungsunternehmen, die für den Grossanbau züchten, keine Kompromisse eingehen – eben diese Kompromisse gehen sie dann leider seit 150 Jahren bei der Resistenz ein. Man kann ja spritzen… Übrigens bekämpft auch der Bioanbau die Krautfäule ab Mitte Mai alle 5-10 Tage mit … Kupfer.
- Der Markt für Kartoffeln und für den Kartoffelanbau ist hochreguliert. Neben Subventionen, Marktstützungen, Direktzahlungen und anderen staatlichen Eingriffen gibt es in der EU und in der Schweiz auch offizielle und obligatorische Sortenlisten. Nur Sorten auf diesen Sortenlisten können angebaut werden. Was vielleicht ursprünglich als Hilfe für die Landwirtschaft gedacht war (eine ‘objektive’ Sortenempfehlung, die helfen soll die Ernährungssicherheit aufrechtzuerhalten), wird zu einem ‘bösartig effizienten’ Innovationshemmer: Neue resistente Sorten können und wollen zumindest aktuell den hochspezifischen Kriterien für den Gross-Anbau nicht genügen, also kommen sie nicht auf die Sortenliste; am Ende werden Resistenz-Züchtungsversuche gar nicht unternommen, weil man die Sorten ja nie verkaufen kann… Innovation wird nicht einmal mehr versucht, weil die regulatorischen Hürden zu hoch sind. Nebenbei: Das Instrument der Sortenlisten stammt aus der Kriegswirtschaft und hat vor allem in der Mangelwirtschaft des real existierenden Sozialismus überlebt. Die Agrarbürokratie gedeiht bekanntlich in jedem System… Gerade kürzlich wollte das Schweizer Bundesamt für (sic!) Landwirtschaft nach dem Vorbild der EU auch wieder Sortenlisten für Obst und Beeren einführen – zum guten Glück scheiterte das Projekt in letzter Minute am eigenen bürokratischen Unvermögen…
Wie steht es jetzt mit den Kartoffelzüchtungen von Lubera?
Unsere Züchtungsanstrengungen in der Schweiz in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftlichen Schule Rheinhof und in Wales mit David Shaw tragen Früchte – oder eher Knollen – wir zählen aktuell bereits ein halbes Dutzend von interessanten Sortenkandidaten. In ca. 3 Jahren sollten wir die ersten totalresistenten Sorten für den Hausgarten anbieten können. Wir hoffen inständig, dass wir eine Lösung finden, sie an den unsäglichen Sortenlisten vorbei für den Hausgartenmarkt vertreiben zu dürfen.
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist: Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Staat resistente Sorten wirklich verbieten könnte – der gleiche Staat, der sich gerade in Klimaschwüren und Diversitätsgelübden selber zu überholen scheint.
Oder leben wir etwa doch in Absurdistan, dem Überall-Staat, der die Unvernunft zum Prinzip erhoben hat? Das wäre dann wirklich ein Skandal.
Der gleiche Skandal wie die 170 Jahre alte Dauerkapitulation vor der Kraut- und Knollenfäule.
Gärtnern wir weiter!
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
Kartoffelzüchtung - Warum wir neue Kartoffeln züchten