In den letzten Tagen und Wochen wurden wir von einer regelrechten Flut von Fernsehfilmen, Meldungen und Zeitungsartikeln über Crispr eingedeckt. Grundtenor: Eine neue unproblematische Technik, für die alles und gegen die eigentlich nichts spricht. Anlass: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, ob Crispr-behandelte Pflanzen als GVO Organismen anzusehen sind (und entsprechend den strengen Regularien unterliegen) oder nicht. Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofes ist nun gefallen: Crispr Pflanzen sind GVO Pflanzen. Punkt. Die Reaktion der Medien: Kritik am Urteil, das die Möglichkeiten der Wissenschaft einschränke und den Fortschritt der Agronomie – vor allem bei der Ernährung von immer mehr Menschen – behindere. In folgenden formuliere ich einige Gedanken zu Crispr und wieder einmal ganz allgemein zu GVO-Techniken.
1. Was ist CRISPR?
Ehrlich gesagt, habe ich trotz der Artikelflut und trotz meiner züchterischen Aktivitäten nicht ganz begriffen, was Crispr ist und kann. Damit stehe ich wohl nicht ganz alleine. Und ich möchte sogar den Richtern unterstellen, dass es ihnen nicht ganz anders ging. Vielleicht ist Skepsis gegenüber nicht Verstandenem auch grundsätzlich gar nicht so schlecht. Wer weiss, was einem da untergejubelt wird. – Dennoch versuchen wir eine allgemeine Beschreibung: Crispr (mit einigen Buchstaben noch dazu) ermöglicht es, Sequenzen aus dem Genom eines Lebewesend auszuschneiden und andere Gensequenzen einzusetzen. Damit wird gentechnische künstliche Veränderung einfacher und gezielter und ist – immer: richtig angewendet! – mit weniger Gefahr von Kollateralschäden verbunden. Man weiss z.B. genauer, wo Gensequenzen landen und man kann die Gefahr von unkontrolliertem Genschutt, der ja auch etwas ganz Unvorhergesehenes bewirken könnte, stark einschränken. Kurzum: Crispr ist eine bessere Technik zur künstlichen Modifikation von genetischen Informationen. In diesem Artikel beziehe ich mich allerdings ausschliesslich auf die Folgen für die Pflanzenzüchtung, da ich nur davon ein wenig verstehe. Diskutiert wird Crispr natürlich auch für Anwendungen bei Tieren und Menschen.
2. Die Methode frisst ihren Gegenstand
Über Crispr sind bereits 10 000 und mehr wissenschaftliche Artikel geschrieben worden. Crispr entpuppt sich mehr und mehr als eine wissenschaftliche, methodische Sensation. Und wie häufig in solchen Fällen droht der Gegenstand der Methode, zum Beispiel eben die neu gezüchtete Pflanze, fast in den Hintergrund zu treten. Methoden und Methodendiskussionen sind für die Wissenschaft und ihren Betrieb offenbar so interessant und lohnend, dass die Methode ihren Gegenstand regelrecht auffrisst. Ich habe in den 80er Jahren mal eine Geisteswissenschaft, Germanistik studiert, und da war es genauso. Dass die Methode regelmässig den Gegenstand schlägt, hängt mit den Mechanismen des Wissenschaftsbetriebs zusammen: Bei der Arbeit an der Methode bleibt man unter sich und muss sich nicht mit der Aussenwelt auseinandersetzen. Natürlich spricht diese Beobachtung per se noch nicht gegen Crispr, da dies bei vielen wissenschaftlichen Methoden und bei der Wissenschaft ganz allgemein ein Problem ist, aber es ist doch immer gut zu unterscheiden: Was ist Schall und Rauch rund um die Methode, rund um das neue Spielzeug – und was kann und will die Methode wirklich bewirken. Und ehrlich gesagt macht mich ein solcher Methodenüberhang immer sehr skeptisch: Warum reden wir nicht mehr über die Sache selber? Was soll damit kaschiert werden?
Bild: Tomatenblüte
3. Innovation versus inkrementellen Fortschritt
Man darf nicht übermässig viel von Innovationen erwarten, sonst kann man sie auch ersticken. Aber eines ist sicher: Eine Innovation ist am besten ein wirklich neues Produkt. Für mich ist folgendes immer wichtig: Was ist wirklich neu, hat es so noch nicht gegeben und bringt in verschiedenen Hinsichten einen Fortschritt, eine Verbesserung – und was ist bloss eine Variante des Bestehenden. Gegen Varianten des bestehenden, gegen den langsamen Fortschritt der Mikroverbesserung habe ich gar nichts einzuwenden. Ich produziere ihn häufig und genug auch selber. Aber meiner Meinung nach ist er nicht wirklich innovativ. Aber dieser inkrementelle Fortschritt birgt eine grosse Gefahr in sich: Weil er einfacher ist, weil er systematisch zu erreichen ist und weil er sicher zu Resultaten führt, ist er ungemein beliebt. Aber bringt er uns wirklich weiter? Macht er das Produkt wirklich schöner, besser schmeckend, einfacher, resistenter, nahrhafter? Die grösste Gefahr des inkrementellen Froschritts besteht darin, dass er die Innovation frisst, dass er Geld und Ressourcen auf sich zieht, dass er dazu führt, dass wir den Drang, den Zwang verlieren, wirklich innovativ zu sein, Neues zu schaffen.
4. Warum sind Varianten des Gleichen so beliebt?
Warum also sind die Varianten des Gleichen so beliebt, zu denen der inkrementelle Froschritt führt. Die Antwort lautet ganz einfach: Weil es so am einfachsten ist. Eigentlich muss niemand etwas ändern. Das bekannte System funktioniert mit inkrementellen Fortschritten einfach noch etwas besser.
5. Führt Crispr zu Innovationen oder zu inkrementellen Fortschritten?
CRISPR selber verkauft sich ja als wissenschaftliche Revolution. Das mag für die Methode stimmen (über die Tendenz der Methoden, ihren Gegenstand aufzufressen, habe ich ja weiter oben schon geschrieben). Für die möglichen Züchtungsresultate von Crispr stimmt das natürlich gar nicht: Wie alle anderen gentechnischen Methoden produziert Crispr nur Varianten des gleichen, eine Sorte X mit einer zusätzlichen Eigenschaft, eine Sorte Y ohne einen bekannten Bauteil. Crispr produziert keine wirklich neuen Produkte, keine Innovationen. Crispr bedient die Logik des inkrementellen Fortschritts und des bestehenden Systems (Anbau, Vermarktung, Beratung …)
Bild: Emaskulierte Tomatenblüte
6. Warum ich über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht unglücklich bin
Ich weiss nicht ob der Europäische Gerichtshof das erkannt hat. Eher hat er wohl aufgrund der Gesetzes-Historie (wie vergleichbare Techniken behandelt werden) so entschieden. Vermutlich mag auch eine gewisse Technikskepsis mitschwingen, wahrscheinlich wie bei mir auch eine Portion Unverständnis. Dennoch bin ich mit dem Urteil zufrieden: Es verhindert für den Moment, dass die Methode ihren Gegenstand frisst, dass alles Forschungsgeld, alle Energie in eine Technik fliesst, die nur inkrementellen Fortschritt verspricht. Für mich war es einen ziemlich erhellende Erfahrung, als wir in einem Forschungsprojekt mit einer Universität und einer Forschungsanstalt mit Testkreuzungen bei bestimmten Apfelfamilien einen unerwartet hohen Prozentsatz von feuerbrandresistenten Sämlingen erzielten. Ausser uns war niemand wirklich an den Resultaten interessiert. Sie wiedersprachen der Theorie über polygene Resistenz und sie versprachen bei der wissenschaftlichen Weiterbearbeitung nur Mühe und Schwierigkeiten. Da waren gentechnische Forschungsprojekte vielviel interessanter. Und bei der nächsten Verlängerung des Forschungsprojekts floss dann alles Geld dahin, nicht zu den armen unwissenschaftlichen konventionellen Züchtern…
7. Das Wunder der traditionellen Kombinationszüchtung
Nur die konventionelle Kombinationszüchtung mit der wunderbaren freien und unkontrollierten Rekombination der Gene kann zu wirklich neuen Produkten, zu Innovationen führen. Danach allerdings wird es allerdings und wie schon erwähnt ziemlich mühsam und schweisstreibend. Dann laufe ich nämlich wie in den letzten Tagen bei über 30° durch unser Züchtungsfelder, 150m lang, und dann wieder zurück, und dann noch eine Reihe und noch eine, im ehrlichen Schweisse meines Angesichts und suche mit Augen und Sinnen die Pflanze, die wirklich alle gewünschten Eigenschaften vereint, die im besten Falle eine Innovation darstellt oder - noch besser – etwas ganz Überraschendes, Unvorgesehenes bietet.…. Darüber kann man kaum wissenschaftliche Papiere zu schreiben. Und der Moment, wo sich das Auge, die Gedanken des Züchters, sein Erfarhungs- und Wissenshorizont mit den Angeboten der gesichteten Pflanze treffen und irgendwie auch mischen, dieser Augenblick hat auch für einen Techniker wie mich etwas Geheimnisvolles, ist wohl eher Kunst als Wissenschaft.
Bild: Frischwachsende Tomate
8. Warum ich mit dem Crispr-Urteil auch nicht ganz glücklich bin?
Ich bin ein liberaler Mensch. Regulierungen sind mir zuwider. Sie sollen sich auf das Notwendigste beschränken. Und wenn Crispr wirklich wie behauptet so zielgenaue und kontrollierbare Eingriffe ins Genom der Pflanze erlaubt, könnte man das vielleicht doch breiter und freier zulassen. Andererseits ist Crispr ja nicht verboten worden, sondern bleibt nun gleichgestellt mit andren GVO-Methoden… Produkte, die mit Crispr erzeugt werden, können sich dann durchsetzen, wenn sie die Regularien einhalten und vom Konsumenten angenommen werden. Ohne Regularien wäre die Gefahr noch grösser, dass GVO Produkte den Menschen einfach aufgezwungen oder untergejubelt werden. Das würde dann wieder für die Regulierung sprechen… Sie spüren meine Unsicherheit….
9. Züchtung bei Lubera®
Wir bei Lubera® benützen keine GVO Methoden und auch keine Crispr Methoden. Alle unsere Sorten aus der eigenen Züchtung und auch in unserer Vermarktung stammen aus klassischer Kombinationskreuzung (Sorte A wird mit Sorte B gekreuzt), wobei wir manchmal natürlich auch versuchen, Pflanzen aus verwandten Arten zu kreuzen und wirklich Neues zu produzieren. Manchmal gelingts, manchmal nicht.
Es ist unser höchstes Ziel Neues zu schaffen, Pflanzen für den Garten einfacher, besser schmeckend, resistenter und wenn möglich auch noch schöner zu machen.
Natürlich laufen wir auch Gefahr, Varianten des gleichen zu produzieren. Aber wir haben immer die Chance auf Innovation.
Bild: Noch unreife Tomate
10. Sie, wir alle entscheiden…. Wirklich?
Jenseits aller Regulierungen entscheiden Sie, wir alle, was wir bekommen. Sollte man wenigstens meinen. Und wenn es auch nicht so ist und uns manchmal ein Frass vorgeworfen wird, den wir nicht bestellt haben, liegt es doch an uns, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren: Wir möchten nicht die Litanei des ewig Gleichen, das einfach leicht neu verpackt oder eben GVO mässig modifiziert worden ist, wir möchten Neues und Anderes. Und wir lieben die Diversität.
Stöbern Sie durch unser Gartenbuch.
Zielgenau und kontrolliert sieht anders aus
Das ist eben nicht der Fall. Mit Crispr versucht man zielgenau einen Teil kontrolliert zu ändern, und streut dabei noch völlig unkontrolliert an irgendwelchen nicht geplanten Stellen weitere Änderungen mit unbekannten Auswirkungen ein.
'Eine Studie zeigt: In Zellen von Mäusen und Menschen löst das molekularbiologische Werkzeug regelmäßig ungewollte Mutationen aus – und zwar entgegen bisheriger Annahmen von erstaunlich großem Ausmaß. Demnach kommt es zu großräumigen Veränderungen der DNA-Sequenz, die teilweise weit entfernt von der eigentlichen Zielstelle liegen.'
'Konkret kam es zu unerwünschten Einfügungen, aber auch zur Löschung von bis zu mehreren tausend Basen langen DNA-Sequenzen.'
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/genschere-mit-nebenwirkungen/
Das ist dann etwa so zielgenau und kontrolliert, wie wenn man mit einem Hammer auf einen Apfel haut. Der Apfel mag ja zielgenau und kontrolliert getroffen werden, aber was genau mit dem Apfel passiert und wohin der Rest fliegt und spritzt und dabei anrichtet, das weiß keiner.
Als ich letzte Woche bei einem holländischen Tomatenzüchter meine Skepsis erwähnte, wurde ich fast exkommuniziert.Ernster nahm ich die Kritik an meiner kritischen Haltung, die von einem ebenfalls anwesenden indischen Züchter kam: Er argumentierte aus der Warte eines Landes,das noch vor einer Generation weitverbreitet Hunger kannte und aus der Situation eines Züchters,der sich Gedanken über die Ernährung von immer mehr Milliarden Menschen macht...
Markus Kobelt