Was das neue Jahr wohl bringt im Garten? Der grösste Trend dürfte im Bereich des Zwergobstes liegen. Möglichst platzsparend und balkontauglich sollen die neuen Nutzpflanzen sein. Dafür haben die züchterisch derart bearbeiteten Beeren und Früchte mitunter einen erstaunlich intensiven Geschmack.
Angenommen, im Jahr 2015 wacht Dr Lemuel Gulliver nicht auf einer fernen Insel auf, hingegen strandet er auf einem zeitgenössische Stadtbalkon. Und was er da fände, erstaunte ihn nicht weniger als seinerzeit die winzigen Menschen auf der Insel Liliput: Er sähe Zwerggemüse in allen Varianten, die dicht gedrängt auf Stadtbalkonen wachsen, gerade mal faustgrosse Salate, perfekt geeignet für den Einpersonenhaushalt, veredelte Tomaten und Gurken, die in einem kleinen Topf am Geländer Platz finden, Zucchini, die nicht mehr in alle Richtungen draufloswuchern und kleine Rüebli, die im Balkonkistli gedeihen.
Nachdem nun viele Jahrzehnte lang « grösser ist besser » galt, haben wir in den letzten Jahren zumindest in der Pflanzenzucht die Umkehrung erlebt, und beim Gemüse ist es inzwischen schon fast selbstverständlich, dass wir die meisten Sorten auch in Zwergform für den Balkon bekommen können. Und mit Sicherheit werden uns die Züchter auch im neuen Jahr mit neuem Naschgemüse verlocken, auf dass der Traum von der Selbstversorgung auf dem eigenen Stadtbalkon ein Stückchen näherrücke. Die grossen Neuheiten aber werden sich im neuen Jahr beim Zwergobst finden. Hier hat der Liliputtrend gerade mal erst richtig begonnen. Die meisten Leute wissen ja noch nicht einmal, dass sie Obstbäume auf ihrem Balkon ziehen könnten, geschweige denken sie dran, Himbeeren oder gar Brombeeren in Kistchen zu pflanzen. In den letzten Jahren konnte ich einige der neuen Züchtungen bei mir auf dem Balkon schon ausprobieren, und ich war gelinde gesagt hingerissen. Was besonders erstaunt an den kompakten Beerenpflanzen, ist das intensive Aroma, aber auch die Menge der Früchte. Es sind wahre Hochleistungsgewächse, und von einigen Herbsthimbeeren konnten wir diesen Winter bis zu Weihnachten (!) immer noch jede Woche eine kleine Handvoll reifer Beeren ernten. Ich hätte es selber nicht geglaubt, wenn mir jemand vor vier, fünf Jahren sowas erzählt hätte. Aber damit nicht genug, inzwischen warten englische Züchter mit Himbeerpflanzen auf, deren Ruten gerade noch 30 Zentimeter hoch werden! Sie lassen sich in Hängekörben oder Balkonkistchen kultivieren, und sollen Früchte tragen so gross und süss wie herkömmliche Himbeeren – wenn nicht sogar noch mehr und süssere! Ich bin gespannt, diese Neuheit, die einen enormen züchterischen Durchbruch darstellt, selber auszuprobieren.
Aber vor allem wird sich Herr Gulliver im Jahr 2015 wundern über die kleinen Fruchtbäume, die landauf landab in Töpfen und Kübeln gedeihen. Er wird sehen Pfirsichbäumchen, die ihm gerade mal bis zu den Knien reichen, über und über behangen mit Früchten so gross, wie er sie aus seinem bisherigen Leben kennt. Er wird sehen Kirschen klein wie Erbsen, die an winzigen Bäumchen wachsen, er wird sehen schmalste Apfelsäulen, gerade nur aus einem Stamm von einem Meter Höhe bestehend, an denen dutzendweise die prallsten, süssesten Äpfel reifen. Er wird Aprikosen sehen und Pflaumen, die im Topf auf dem Stadtbalkon reifen.
Das Beste an dieser Geschichte ist, wie gesagt: ich habe sie nicht erfunden. Ausser den 30-Zentimeter-Himbeeren konnte ich die genannten Liliputobstpflanzen alle selber schon probieren. Und ich bin begeistert. Dass wir auch auf engstem Raum nicht auf eigenes Obst und auf süsse Beeren direkt vom Balkon verzichten müssen, ist den Züchtern hoch anzurechnen. Und noch höher ist ihnen anzurechnen, dass sie die Pflanzen nicht nur kleiner und robuster machen, sondern zugleich das intensive, sortentypische Aroma hervorheben. Die Quadratur des züchterischen Kreises, sozusagen. Chapeau!