Mitteleuropäische Gärtnerinnen und Gärtner scheinen die Arbeit geradezu zu suchen, wenn nötig auch verzweifelt und händeringend. Von aussen betrachtet – und ich erlaube mir da mal die an allem unschuldige Aussenseiterrolle – erscheint der Garten als gigantische Arbeitsmaschine, die uns davon abhält…. ja von was denn abhält?
Unter anderem davon, den Garten zu geniessen.
Schaut man noch etwas genauer hin, sind durchaus auch einige fast schon ökonomisch zu nennende Gesetzmässigkeiten zu erkennen: Im Herbst, wenn offensichtlich wenig Arbeit vorhanden ist, wird diese gerade zu gesucht. Und im Frühling, wenn ebenso augenscheinlich viel zu viel Arbeit auf Erledigung wartet, wird diese verdrängt oder in hitzigen Diskussionen der Gärtnerin und des Gärtners so lange verschoben, bis sich das Problem selber erledigt hat, zumindest bis zum nächsten Jahr.
Ja genau, ich rede vom Schneiden. Wann bitte muss geschnitten werden?
Beim Schneiden zeigt sich genau die oben erwähnte Gesetzmässigkeit: Im Herbst wird das Schneiden verzweifelt gesucht (und leider auch gefunden), im Frühling schiebt man es so lange vor sich hin, bis die fortschreitende Vegetation der WASundWIEundWERweiserei ein gütliches und gnädiges Ende bereitet. Natürlich hat das Herbstscheiden seinen Ursprung nicht nur in der Arbeitsökonomie (wenn zu wenig Arbeit da ist, muss Arbeit gesucht werden, was sonst sollen wir denn tun?), sondern auch in dem uns Mitteuropäern angeborenen Ordnungssinn. Oder soll ich lieber von Alemannen, Elsässern, Rheinländern, Preussen und Hanseaten sprechen? (Sorry, auch die Österreicher auf beiden Seiten des Arlbergs zählen wir natürlich zur ordentlichen Gärtnersorte.) Liesse sich der Gartenordnungssinn am Ende an der gemeinsam gesprochenen deutschen Sprache festmachen… Oder ist es einfach der Macht-Mensch, der der Gartennatur seinen Stempel aufdrücken will?
Wie dem auch sei. Überall hierzulande wird im Herbst zum Rechten geschaut, und zwar ganz ohne nach links zu schauen. Unbedingt und nahezu kompromisslos. Wo kämen wir denn auch hin, wenn die Bäume ungehindert auch noch im Winter in den Himmel wachsen könnten? Unvorstellbar die Winterspaziergänge im Garten, wenn man mitten in der Kontemplation von überall her mit Dornenzweigen bedrängt würde. Die müssen alle weg, frühzeitig im Herbst. Und gerne noch ein bisschen stärker schneiden, mehr hilft mehr, man mag ja für zwei Jahre vorsorgen! Und wenn ER es nicht erledigt (typisch…), dann packt halt SIE an.
(Habe ich oben tatsächlich 'winterliche Gartenkontemplation' erwähnt? So ein Blödsinn: So was kommt uns natürlich gar nicht in die Tüte. Gemeint habe ich selbstverständlich das Schneeschaufeln – und zwar immer dann, und gerne auch mehrmals täglich, wenn die Schneeflocken mindestes 70% der Gartenwege bedecken. Ein Glück, dass unsere kundenorientierten Baumärkte dem Vernehmen nach schon ab diesem Herbst klimaneutrale Gartenschneekanonen anbieten werden.)
Aber jetzt wirklich im Ernst: Die grüne Tonne muss ja auch voll werden! Schliesslich zahlen wir dafür. Ein schlechter und untauglicher Gärtner, der seinen Grün-Container nicht wöchentlich stolz und prallvoll an die Strasse stellt, gerne 2 Tage vor dem Abholtermin: "Ha, ich hab‘s halt schon getan!"
Aber jetzt Hand aufs Gärtnerherz (wenn es denn mal den Kopf denken lässt): Ist der Herbst eigentlich die richtige Jahreszeit zum Schneiden. Darf man im Herbst schneiden? Muss man im Herbst schneiden?
Nein! Meinetwegen gerne auch dreimal Nein! DU SOLLST IM HERBST NICHT SCHNEIDEN. (Es würde übrigens nicht schaden, wenn Sie diesen Satz jetzt dreimal wiederholen.)
Warum NEIN?
- Erstens: Je mehr sich die Unsitte des Herbstschneides ausbreitet, desto früher wird geschnitten. Ist ja klar. Der besten Gärtner ist zuerst fertig… Mit dem Herbstschnitt wird bei vielen Pflanzen wertvolle Blattfläche, Assimilationsfläche entfernt, die Pflanze kann weniger Reservestoffe einlagern, ist weniger gut für einen harten Winter und für den Neustart im Frühjahr vorbereitet.
- Zweitens: Die Pflanzen schränken ihren Stoffwechsel im Winter notgedrungen ein, die Lebensfunktionen werden gerade bei laufabwerfenden Pflanzen auf ein Minimum reduziert. Dies heisst aber auch, dass die Pflanze im Winter nicht oder viel weniger in der Lage ist, Wunden zu schliessen und sich allenfalls gegen unerwünschte Eindringlinge, Pilze und Bakterien zu wehren. Schnittwunden vom Herbstschnitt sind offene Eintrittspforten für Pflanzenfeinde.
- Und drittens: Da gibt es manchmal ja noch etwas zwischen Herbst und Frühling. Man sollte jedenfalls den Winter nicht völlig verdrängen und vergessen, der bei Pflanzen auch zu Schäden und Erfrierungserscheinungen führen kann. An einer ungeschnittenen Pflanze kann ich diese Schäden dann im Frühling erkennen und schneidend oder eben nicht-schneidend gezielt darauf reagieren. Bei einer geschnittenen Pflanze ist diese Flexibilität vielfach nicht mehr möglich, weil zu viel schon weg ist – und im schlimmsten Fall, weil die geschnittene Pflanze einfach noch weiter zurückgefroren ist.
Ich höre schon die ersten verzweifelten Rufe: Wann bitte soll dann geschnitten werden? Wann darf ich schneiden?
Die Antwort ist ganz einfach: Eigentlich sollen fast alle Pflanzen (mit wenigen Ausnahmen; Steinobst z.B. nach der Ernte im Sommer) im frühen Frühling, in der zweiten Hälfte Februar und im März geschnitten werden. Dass verträgt sich übrigens auch gut mit der vertrackten Gartenarbeitsökonomie: Das Hacken und Düngen, das Pflanzen Kaufen und Pflanzen kann dann leicht nach dem Schneiden erfolgen.
Aber die Rosen kann ich im Herbst schon noch schneiden, das sieht ja wirklich schrecklich aus???
Bitte NEIN! Siehe oben Erstens bis Drittens. Sollte aber der Familienfrieden auf dem Spiel stehen, empfehle ich ihm oder ihr, ihr oder ihm als gartenrettenden Kompromiss zu erlauben, wenigstens die allerhöchsten Triebe sozusagen notfallmässig auf ein einheitliches Niveau zurückzuschneiden, so dass die Kirche im Dorf und der Gehweg ohne Stacheln bleibt. Gerade im Garten wollen wir ja pragmatisch bleiben.
Ach ja, Laub darf natürlich jederzeit gerechelt, zusammengewischt und in die besagte grüne Tonne geschaufelt werden. Das sieht auch wahnsinnig fleissig und nach Arbeit aus, so mit Besen & Schneeschaufel, dabei ist es ja (haha) federleicht… Solche Arbeit lob ich mir!
Und die Laubbläser? Wie bitte, ich höre gar nichts, könnten Sie bitte etwas lauter schreien! Ach ja, die Laubbläser, die sind natürlich auch gut. Es ist doch einfach eine wahre Freude, wie unsere Gärten ebenso verdientermassen wie unnötigerweise die Wirtschaft ankurbeln. Meine Gartenvision für die nächste Chelsea Flower Show: Der kombinierte Elektro-Gasgrill mit integriertem Kühlschrank auf Sonnenkollektorbasis (mit CO2 Nachhaltigkeitszertifikat) sowie der vermaledeite Laubbläser und der verdammte Kärcher für die Gartenplatten werden von den zehnmal gesegneten dornigen Brombeeren überwuchert. Wobei… geht ja gar nicht. DIE, ja nicht etwa die Laubbläser und Kärcher unserer Gartenwelt, sondern die alten dornigen Brombeeren, Rubus armeniacus, haben wir in der Schweiz sinnigerweise gleich verboten. Es ist wirklich zum Verzweifeln…
Zuletzt doch noch ein Trost: Den unglücklichen, fast arbeitslosen Gärtner ohne Schneeschaufel und Laubrechen und Laubbläser sei verraten, dass sie mit den entsprechenden Arbeiten auch gerne bis zu den Herbststürmen (oder bis zum übernächsten Winter) warten können.
Gärtnern Sie weiter.
Vom Schneiden und anderen Gartensünden
Lieber mal etwas 'unordentlich' lassen, ist wesentlich besser für Flora und Fauna!