Der Begriff "Fruchtgemüse" siedelt eine ganze Gruppe von essbaren Pflanzen irgendwo zwischen Gemüse und Frucht an. Gemüse und Frucht, wie bitte soll denn das zusammenpassen? Was bedeutet genau der Begriff "Fruchtgemüse", welche Pflanzen werden dazugezählt und was ist das Gemeinsame dieser Pflanzengruppe? Ganz offensichtlich sind fast alle sogenannten Fruchtgemüse von sehr weit her bei uns eingewandert. Vielleicht ist dies auch einer der wichtigsten gemeinsamen Nenner der so unterschiedlichen Pflanzen der Fruchtgemüse. Im Lubera-Shop kannst du aus einem riesigen Sortiment von 5000 Pflanzen deine Lieblingssorten kaufen.
Inhaltsverzeichnis
- Der Begriff "Frucht"
- Der Begriff "Gemüse"
- Das Fruchtgemüse und das höchste Gericht
- Ein untauglicher Definitionsversuch zur scharfen Trennung von Früchten und Gemüsen
- Fruchtgemüse (Tomaten, Chili, Paprika & Co.): Weit gereist – und doch von hier (fast jedenfalls)
- Die Reise der anderen Fruchtgemüse
- Die Anpassung der Fruchtgemüse an unser Klima und an den Garten
Der Begriff "Frucht"
Betrachten wir zunächst einmal die Bezeichnung "Fruchtgemüse" etwas genauer, und beginnen wir bei der Frucht.
Für den Botaniker ist es logisch: Früchte entstehen aus Blüten, meist sind in ihnen dann auch die Samen zu finden. Nach dieser Definition wären Tomaten, Chili, Paprika, Auberginen, Gurken, Zucchini, Kürbisse, Wasser- und Honigmelonen und noch einige weitere Gemüsearten eindeutig Früchte, viele von ihnen sogar lupenreine Beeren. Beeren? Wie soll eine Tomate eine Beere sein? Genau das ist aber der Fall, wenn man die botanische Definition der Beere liest: «Als ’Beere' (von mittelhochdeutsch bër) gilt in der Botanik eine aus einem einzigen Fruchtknoten hervorgegangene Schließfrucht, bei der die komplette Fruchtwand (Perikarp) auch noch bei der Reife saftig oder mindestens fleischig ist.“ (Zitat Wikipedia).
Trotzdem bleibt ja ein Unbehagen, Tomaten, Chili & Co. als Früchte zu bezeichnen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass man Früchte eher mit der süssen Küche assoziiert, Gemüse dagegen mit herzhaften, salzig gewürzten Gerichten.
Der Begriff "Gemüse"
Ganz so eindeutig hat auch dieser Begriff nicht begonnen. ‚Gemüse‘ geht auf mittelhochdeutsch ‚Mus‘ zurück und meinte zunächst ganz allgemein Essen und Speise. Alles war Mus. Später dann begrenzte sich der Begriff mehr und mehr auf die aus Organen der essbaren Pflanzen zugerichteten Speisen, schliesslich sprang das Wörtchen auf diese Pflanzen selbst über, eben als ‚Ge-müse‘. Gemüse meint dann (im Gegensatz zum ‚Mus‘) auch eher essbare Pflanzen, von denen nicht die Früchte, sondern Stängel, Blätter oder Wurzeln gegessen werden.
Das Fruchtgemüse und das höchste Gericht
Die schillernde Wortgeschichte findet ihre Entsprechung und Fortsetzung in der Rechtsprechung, nicht selten sollte mit juristischen Mitteln festgestellt werden, ob ein Fruchtgemüse (Tomaten, Chili, Gurken und Co.) jetzt echt entweder den Gemüsen oder den Früchten zugeordnet werden sollte.
Schon 1893 gab es ein Urteil des höchsten amerikanischen Gerichtshofs zu dieser weltbewegenden Frage: Der Frucht- oder Gemüseimporteur John Nix wollte 1886 am New Yorker Hafen Tomaten importieren und der zuständige Zollbeamte Edward Hedden belastete ihm 10% Zoll für ausländisches Gemüse… Nix stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei Tomaten grundsätzlich und botanisch um Früchte (genauer Beerenfrüchte) handle, deshalb sei kein Zoll anzuwenden. Schliesslich landete der Fall Nix vs. Hedden 1893 beim obersten Gerichtshof, dem Supreme Court. Jurist Horace Gray entschied sich ziemlich pragmatisch und unbotanisch fürs Gemüse: Tomaten seien definitiv Gemüse. Seine Begründung: Tomaten würden zusammen mit anderem Gemüse und Fleisch oder Fisch zum Hauptgang serviert, meist würzig-herzhaft zubereitet. Die Früchte dagegen gehörten zum Nachtisch, zum Dessert, meist mit einer süssen Note. Hätte der honorable Richter gleich entschieden, wenn er die modernen extrem süssen Cocktailtomaten gekannt hätte?
Selbstverständlich nahm sich auch die EU des letztlich unlösbaren Problems an: Sie entschied 2001 anders als die Amerikaner vor über 100 Jahren, Tomaten seien zusammen mit Karotten und Süsskartoffeln als Früchte zu betrachten, mit denen dann folgerichtig und von der EU erlaubt auch Marmelade hergestellt werden könne.
Ein untauglicher Definitionsversuch zur scharfen Trennung von Früchten und Gemüsen
Ganz schlaue Lebensmittelsystematiker schlugen vor, als Früchte seien essbare Organe zu bezeichnen, die von mehrjährigen Pflanzen stammten, alles von einjährigen Pflanzen habe sich mit der Bezeichnung Gemüse zufriedenzugeben. Dieser Klassifizierungsversuch scheitert natürlich kläglich, wenn man nur schon ans Ewige Gemüse® denkt. Dazu kommt, dass viele Fruchtgemüse in tropischen oder subtropischen Herkunftsregionen durchaus mehrjährig wachsen und fruchten, was in gemässigten und nördlichen Klimaten natürlich nicht möglich ist.
Lassen wir es vorerst damit bewenden: Vielleich ist der Begriff Fruchtgemüse auch der alleinrichtige Kompromiss-Begriff, der beide Seiten des Jahrhunderte-lang wogenden Streits befriedigt.
Fruchtgemüse (Tomaten, Chili, Paprika & Co.): Weit gereist – und doch von hier (fast jedenfalls)
Aber was hält die Fruchtgemüse sonst noch zusammen, ausser dass sie weder ganz klar Gemüse noch auf den ersten Blick eindeutig Früchte sind. Die Fruchtgemüse sind – mindestens aus europäischer Sicht – nicht einheimisch und haben eine lange und weite Reise hinter sich. Dennoch sind unsere Ernährung und Essenskultur ohne sie fast nicht mehr vorstellbar…
Wohl jeder zweite Gemüsekonsument würde Tomaten ohne zu zögern als heimisch und einheimisch betrachten. Sie sind ja auch das ganze Jahr im Supermarkt zu kaufen und haben unsere Essgewohnheiten über Saucen, Suppen, baked beans, Ketchup, Spaghetti und Drinks bis in die feinsten Verästelungen durchdrungen. Der Italiener würde selbstverständlich die San Marzano Tomaten für sich reklamieren und die Bewohner Indiens oder Thailands könnten sich nicht vorstellen, dass Chili nicht einheimischen Ursprungs wären.
Aber alle Fruchtgemüse haben eine lange Reise hinter sich, die noch weiter erscheint, wenn wir sie aus mitteleuropäischer Sicht betrachten.
Chili und Paprika kamen mit den Portugiesen von Südamerika nach Europa, reisten aber gleich, ohne allzu viel Aufsehen zu erregen, weiter nach Afrika und Asien, wo sie ganz offensichtlich auf eine Küche und Esskultur trafen, die gerade auf ein leicht anzubauendes scharfes Gewürz gewartet hatte, das den fast unerschwinglichen Pfeffer ersetzen oder ergänzen könnte. Richtig nach Europa und Amerika schafften sie es zuerst als Sweet Pepper (Paprika ohne das scharfe Capsaicin) und dann im 20. Jahrhundert immer stärker über den globalen Einfluss der asiatischen Küche.
Christoph Columbus brachte die Tomate von Süd- und Mittelamerika nach Europa, aber hier wusste man zuerst kaum etwas damit anzufangen. Vielleicht eine Zierpflanze? Oder gar giftig? Und was sollte man mit einer so wässrigen und sauren Frucht. Die Anwesenheit von Tomatensäure kann jeder bestätigen, der einmal versucht hat, ohne zusätzlichen Zucker und mit ungeeigneten Tomaten eine Sauce einzukochen.
In Italien kam ganz offensichtlich zuerst die gelbe Tomate an, also war man schnell mit der Bezeichnung Goldapfel, pomo-doro zur Hand. Auf den Apfel und eine unheilvolle Rolle im Paradies verweist auch die Bezeichnung ‘Liebesapfel’, oder ‘Paradeiser’. Und so wurde in den ersten paar hundert Jahren die Tomate hin und her geschoben zwischen Giftpflanze und Aphrodisiakum, in den USA des 19. Jahrhunderts brachte sie es sogar zwischenzeitlich zur Berühmtheit als Heilmittel für fast gar alles. Aber langsam aber sicher, in den Gärten der südlichen Länder, aber auch über die Industrialisierung der Landwirtschaft in den USA (Tomatenkonserven, Tomatensuppe), begann sich die Tomate immer stärker in unsere Esskultur einzuschleichen, sodass wir uns einen Einkauf ohne Tomaten und einen Garten ohne Tomaten kaum mehr vorstellen könnten.
Die Reise der anderen Fruchtgemüse
Gurken starteten vor 3000 Jahren als kultivierte Früchte in Indien, kamen aber schon früh, vor 2000 Jahren über Griechenland ins alte Rom. Damit könnte man die grünen Erfrischer wohl fast schon als einheimisch bezeichnen.
- Auberginen, die aus dem tropischen Indien stammen, reisten im ersten Jahrtausend nach Christus mit den Arabern nach Europa, zuerst kamen sie natürlich im maurischen Spanien an.
- Die Kürbisse (und damit auch die unreifen Gartenkürbisse, die wir Zucchini oder Zucchetti nennen) teilten den Weg der Tomaten, aber in Europa ging es sehr lange, eigentlich bis ins 20. Jahrhundert, bis sie wirklich als Lebensmittel und nicht nur als Viehfutter ihren Platz fanden. Das ist doch etwas erstaunlich, da sie doch von ihren bescheidenen Ansprüchen her auf den ersten Blick von allen Fruchtgemüsen am besten ins mitteleuropäische gemässigte bis nördliche Klima gepasst hätten. In den USA ging der Angewöhnungsprozess (Squash) schneller vonstatten.
Die Wassermelonen stammen aus Afrika, die genaue Lokalisierung der Ursprungsformen ist etwas umstritten. Sicher aber ist, dass die Frucht der Wassermelone mehrmals domestiziert wurde. Schon vor über 4000 Jahren tauchte sie bei den Ägyptern in Grabzeichnungen auf, sie werden wohl auch vor allem die erquickende Wasserspeicherfunktion geschätzt haben, die so gut zu ihrem Klima passte. Später wurde es etwas ruhiger um die Wassermelone, aber um ca. 400-500 vor Christus wagte sie einen weiteren, dieses Mal nachhaltigen Vorstoss aus Nordostafrika in den mediterranen Raum. Die alten Griechen beschrieben sie unter anderem als harntreibende Heilpflanze. Auch bei den Juden konnte sie sich festsetzen und gelangte wohl über deren Handelsbeziehungen weiter in den mediterranen Raum. Noch eine spannende Geschichte zur Entwicklung der Wassermelone: Die ältesten Bilder zeigen sie mit einem gelb-orangen Fruchtfleisch, und je später sie abgebildet wurde, desto röter wurde die Wassermelone dargestellt. Des Rätsels Lösung: Natürlich selektieren die Anbauer intuitiv die süssesten Früchte, und bei den Wassermelonen ist die genetische Information für den Zuckergehalt mit dem Gen für rote Farbe gekoppelt…
Die Anpassung der Fruchtgemüse an unser Klima und an den Garten
Wenn wir die Herkunft der meisten Fruchtgemüse zusammenfassen, so waren und sind sie aufgrund ihrer Herkunft im tropischen oder subtropischen Süden (bei den Wassermelonen aus Wüstengebieten) vor allem für den europäischen Süden geeignet, wo sie sich auch zuerst festsetzen konnten. Für den Norden blieben sie Sehnsuchtsfrüchte, die man bestaunte und denen man wie den Tomaten zuerst einige 100 Jahre kaum über den Weg traute. Die Kultur und zuerst auch der Genuss waren nur Adligen und reichen Kaufleuten möglich, die Gewächshäuser oder Gewächshaus-ähnliche Installationen bauen lassen konnten. Bei der Tomate kam noch ein Malheur dazu: Der unfreiwillige und tragische Import der Braun- und Krautfäule (Phythophtora infestans) in der Mitte des 19. Jahrhunderts betraf nämlich nicht nur die Kartoffel, sondern auch die verwandte, ebenfalls zu den Solanaceae, den Nachtschattengewächsen gehörende, Tomate. Und da sich die Phytophthora im feucht-kühlen Boden und auf nassen Blättern am schnellsten vermehren kann, blieb die Tomate nördlich der Alpen weitgehend auf den geschützten Anbau beschränkt. Entweder im landwirtschaftlichen Gewächshaus, oder aber im Tomatenhaus im Garten, das die krankheitsverbreitende Feuchtigkeit von den diffizilen Tomatenpflänzchen fernhalten soll. Mit den Open Sky Tomaten aus dem Lubera Züchtungsprogramm wollen wir das nachhaltig ändern. Auch unsere anderen Fruchtgemüse, die wir in unserem Shop im Mai als Jungpflanzen verkaufen, bieten immer eine Auswahl, eine Selektion, die möglichst einfach, im Freiland in unserem Klima angebaut werden können. Dazu weiten wir übrigens aktuell gerade unser Tomatenzüchtungsprogramm auf weitere Fruchtgemüse-Arten aus…
Der Norden und die Fruchtgemüse, die ja von so weit her angereist kommen, bewegen sich langsam, aber sicher aufeinander zu. Zum einen wird unser Klima wärmer, aber das alleine würde wohl nicht genügen. Auch die Fruchtgemüse-Pflanzen verändern sich, indem sie resistenter, Kühle-toleranter und allgemein robuster und frühreifer werden. Natürlich hat dabei wieder der züchtende und auswählende Mensch seine Hände im Spiel. Aber es sind offensichtlich auch die begehrten Früchte der Fruchtgemüse, die ihn triggern…