Anfang März besuchte ich Great Dixter, einen der berühmtesten Staudengärten in Südengland. Er ist normalerweise im Winter geschlossen, aber am 2. März gab es eine spezielle Winteröffnung. Aber bitte, was will man im Winter in einem Staudengarten? Nun ja, es gibt schon einige Gründe, die für ein Staudengartenbesuch im Winter sprechen: Jetzt im Winter sind die Strukturen des Gartens, die Gartenräume, in Great Dixter die mächtigen Hecken und die geschnittenen Figuren viel deutlicher und prominenter zu sehen. Und dann gibt es für mich noch einen ganz persönlichen Grund, den mir bitte alle Staudenliebhaber verzeihen mögen: Mir sind nun mal die Gehölze einfach näher als die Stauden, im Sommer sehe ich in einem Staudengarten vor lauter Stauden die Gehölze nicht mehr, komme mir manchmal ganz verloren vor. Passenderweise habe ich schon mal vor einigen Jahren einen Artikel über einen Sommerbesuch in Great Dixter geschrieben: Der Garten ohne Gärtner. Sogar der Mensch, der aktive Gärtner und der Gärtner-Besucher verschwindet förmlich im Staudenmeer. Und nun also der Winterbesuch in Great Dixter. Während der Dauer meines Gartenrundgangs (Great Dixter ist als Garten eigentlich sehr klein, aber dicht und intensiv) kamen mir immer wieder zwei Wörter in den Sinn, die vielleicht geeignet sind, Garten und Gärtnern im Kern zu beschreiben. Und die natürlich ganz besonders gut zu Great Dixter passen. Kontinuität und Beständigkeit. Falls Sie noch keine Stauden besitzen, finden Sie im Lubera Gartenshop eine grosse Auswahl an Stauden.
Inhaltsverzeichnis
Zunächst Kontinuität
Man kann machen, was man will, der Garten geht weiter, die Jahreszeiten kommen und gehen, auch ein Staudengarten im Winter bleibt ein Staudengarten. Und Great Dixter wurde von Christopher Lloyds Eltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut und gestartet (nicht ohne Hilfe des Architekten Edwin Lutyens), ab den 60er Jahren kümmerte sich der bekannte Autor und Gärtner Christopher Lloyd um den Besitz, und seit seinem Tod 2006 ist sein Lehrling Fergus Garrett an der Reihe, der auch schon wieder als einer der kreativsten und einflussreichsten Gärtner der Gegenwart gilt. Und das bei einem Garten, der in den Grundzügen schon vor 100 Jahren geschaffen wurde. Und das bei Vorgärtnern, die alle auch schon ihren Gestaltungswillen zum Ausdruck gebracht haben… Gärtnern ist Kontinuität. Es ist Weitermachen, und doch auch anderes Probieren. Gärtnern ist alt und immer wieder neu.
Und dann Beständigkeit
Gärtnern braucht etwas Widerstandskraft. Nun ja, zuallererst gegen die eigene Bequemlichkeit. Zugegebenermassen ist das immer der grösste Kampf ;-) Dann aber auch: gegen den Himmel, gegen Wind und Wetter, gegen all die Frassfeinde, die es geben mag. Ist das wirklich ein Kampf? Das sollte es eben nicht sein. Beständigkeit ist nicht Kampf, sondern auch Aushalten, sich Einordnen, mit der Natur, mit den Pflanzen Mitgehen.
Und was bedeutet das nun für mich, werden sich vielleicht einige Leser fragen? Na ja, so genau weiss ich das auch nicht, kann ich auch gar nicht wissen. Aber keine Angst, Beständigkeit und Kontinuität bedeuten sicher nicht, dass Sie jetzt Tag und Nacht in Ihrem Garten zugange sein müssen, um etwas zu schaffen. Der Garten soll kein Gefängnis sein. Die Schönheit des Gärtnerns liegt auch darin, dass ganz langsam etwas entsteht. Denken Sie an die über 100 Jahre Great Dixter, an die alten und sogar die sterbenden Bäume, die genauso den Reiz des Gartens ausmachen wie die neuen exotischen Pflanzen, die Fergus Garrett im tropischen Garten pflanzt.
Am Ende ist es viel besser, im Garten immer mal wieder ein bisschen zu machen, hier etwas zu schneiden, dort etwas Neues zu pflanzen, als dass man meint, in hektischer Anstrengung den Garten hier und jetzt und für allezeit neu und fertig zu schaffen.
Sogar ER brauchte 7 Tage. Langsamkeit und Zeit sind mit die entscheidenden Dimensionen des Gartens. Und die gibt es nur dank Kontinuität und Beständigkeit.
Genau das meine ich auch mit meinem Lieblingsgruss:
Gärtnern Sie weiter!
Alte Bäume prägen Great Dixter. Ein Garten wie Great Dixter hat auch die Zeit dazu, Bäume alt werden zu lassen: Seit den ersten Gartenplänen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist auch einiges an Zeit vergangen. Und in Great Dixter können Bäume auch sterben, an verschiedenen Stellen im Garten sieht man Bäume (nicht diesen hier, der sich im Vollbesitz seiner Kräfte befindet, aber doch schon die ersten An- und Vorzeichen der Altersmüdigkeit trägt), die anderswo längst entfernt worden wären.
Das Haus von Great Dixter wurde von Christopher Lloyds Eltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus mittelalterlichen Teilen (rechts) und ganz neuen Gebäudeeinheiten (links) erstellt. Ein anderes Zeichen für Kontinuität, die dem Gärtnern eben auch eigen ist. Das ganze Jahr werden vor dem Eingang auf malerische und dekorative Weise Stauden und Gehölzkombinationen gezeigt, die temporär sind und auf eigenartige Weise mit dem alten Haus kontrastieren, es aber auch hervorheben. Jetzt im Winter und frühen Frühling: Koniferen, immergrüne Pflanzen. Koniferen sind als Kübelpflanzen unterschätzt. Es ist fast unglaublich, welche Farbkraft, aber auch welche Vitalität immergrüne Nadelgehölze im Winter, aber auch in der Vegetation als Hintergrund einer Kübelpflanzenkombination entfalten können.
50 Shades of Green wirken im Winter ziemlich sexy
Der Sunken Garden in Great Dixter, schon von Christopher Lloyds Eltern geplant und gebaut, immer wieder neu bepflanzt. Im Hintergrund der schönste Feigenspalierbaum, den ich kenne. Wenn Sie Ihren eigenen Feigenbaum kaufen möchten, empfehle ich Ihnen den Lubera Gartenshop.
Der Feigenspalierbaum als ornamentales Kunstwerk; über dieses Fächerspalier muss ich nächstens einmal einen eigenen Artikel schreiben. Hier kann sehr gut gezeigt werden, wie ein Spalier mit einer Hausfeige, einer zweimaltragenden Feige (hier eine Selektion von Brown Turkey) geschnitten werden muss. Einerseits muss das Gerüst erneuert werden, auch alte Äste muss man von Zeit zu Zeit zurückschneiden, um den ornamentalen Charakter zu erhalten, der im Fächer keine zu dominierenden und dicken Äste zulässt. Es geht auch darum, das Wachstum von neuem Frucht-Holz und auch von neuen Gerüstästen anzuregen. Mit dem gleichen Ziel, nämlich auch um neues einjähriges Fruchtholz zu erhalten, müssen auch einjährige Triebe teilweise zurückgeschnitten werden. Schliesslich und endlich darf aber auch eine schöne Portion an letztjährigen Ästchen erhalten bleiben, weil es nur da Blütenfeigen gibt, die bereits im Herbst gebildet wurden und nun im Frühling zu wachsen beginnen. So sichert sich der Feigengärtner die erste Ernte im Juli und August.
Alle Triebe sind ganz nahe an die Wand geheftet, und die kundigen Gärtner wissen auch warum. In einem Frostjahr, vor allem bei später Kälte im Februar oder März nach einem milden Winter kommt es auf jeden cm an: Holz ganz an der Wand übersteht den Frost unbeschadet, Äste, die nur schon 5 oder 10cm entfernt sind, erfrieren. Aber natürlich dient das Anheften auch dem Ziercharakter des Fächerspaliers, das gleichzeitig Natur und Kunst ist.
Von dem Spalier konnte ich mich kaum losreissen. Einfach zu schön, um wahr zu sein!
Und nochmals ein Detail der Brown Turkey Feige
Wir predigen seit Jahren, dass Feigen als Büsche und nicht als Stämmchen gepflanzt werden sollten - in unserem Klima - da so absolut sicher ist, dass sie auch nach einem verheerenden Frost wieder regenerieren. Schauen Sie hier, wie breit der Strauch geworden ist, der das Fächerspalier ausbildet. Vielleicht, ja vielleicht hat der Gärtner hier auch zu einem kleinen, aber erlaubten Trick gegriffen, und gleich von Beginn an zwei identische Sträucher nebeneinander gepflanzt, um genug Triebe für das Fächerspalier zu gewinnen.
Eine weitere schon ziemlich betagte Spalierschönheit in Great Dixter. Es wird berichtet, dass die Mutter von Christopher Lloyd dieses Spalier als faule und nutzlose Schönheit bezeichnete, wohl weil sie bei aller Schönheit - und auch der Exposition geschuldet - nicht allzu viele Früchte trägt. Aber der Baum blieb - nutzlos und schön - stehen.
Der Garten mit den Topiaries, mit den geformten Figuren, deren Aufbau teilweise 10 und mehr Jahre in Anspruch nimmt. Jetzt im Winter, ohne die ungemähte Wiese darunter, kommen sie noch mehr zur Geltung, wirken auf eine eigenartig anmutige Weise unbeholfen, zu gross, fehl am Platze, dominant - und doch eindrücklich.
Und dann die geschnittenen, über Jahrzehnte geformten Hecken, die manchmal fast kubistisch zusammengewürfelt, immer auch etwas bedrohlich daherkommen. Und diesem eigentlich zu dunkel geratenen Foto kommt genau diese Bedrohlichkeit zum Ausdruck. Kein Wunder muss der Staudengarten dann im Sommer leicht und leichtfüssig einen Kontrapunkt setzen.
Hecken-Kubismus
An mindestens 5 Krücken kommt der alte Maulbeerbaum auf der hinteren Seite des Hauses entgegen - ein wahrlich eindrücklicher Greis. Es gibt Fotos aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo der Maulbeerbaum noch ganz jung ist, nur ca. 3m hoch und breit. Schönheit im Garten hat auch mit dem Alter zu tun. Und es gibt nur wenige Orte, wo Alter so schön wirken kann.
Lang vor den Obstbäumen erwachen die Wiesen im unteren Teil des Gartens.
Die Wiese lebt, der Baum stirbt - aber ganz langsam.
Wann kommt der Frühling? - Wirklich!
Ausblick in die Landschaft von Kent
Das alt-neue grosse Hause von Great Dixter, im Vordergrund das lange Mixed Border, wovon jetzt nur die Strukturpflanzen sichtbar sind; Das Staudenleben wird erst in einigen Monaten wieder das Zepter übernehmen.
Die toten Pflanzenteile der Stauden und Einjährigen bringen leben in den Wintergarten. Dahinter die bedrohlich brutalen Hecken.
Stauden, Hecken, Haus; Natur und Architektur
Nochmals: Natur und Architektur
Staudenbeet in Vorbereitung. Was wird in diesen mit Bambus abgegrenzten Räumen wohl wachsen? Die Antwort weiss nur der Gärtner.
Warum besucht man einen Staudengarten im Winter? Darum! Weil man Strukturen sieht, weil man noch nicht weiss, was kommen wird, aber es doch ahnt.
Der tropische Garten von Great Dixter im Winterkleid, mit Winterschutz.
Tropischer Dschungel im Winter
Ob sich die Blumenzwiebeln und Stauden gegen die Hecken durchsetzen können?
In England ist alles mehrfach geschützt. Nun, zunächst ist da mal die Insellage, dann gibt es Walled Gardens, in unserem Falle mindestens einen von gigantischen Hecken umgebenen Garten, und dann gibt es schlussendlich noch die Fruit Cages, die die wertvollsten Obstbäume und Beerenfrüchte einschliessen. Ob die englischen Vögel wirklich so viel hungriger sind als die kontinentalen?
Der Gemüsegarten mit vielen überwinternden oder sogar ewigen, perpetual oder eben perennial vegetables.
Neben dieser Hecke wird es auch Stauden-mässig ziemlich geordnet, reihenweise zu- und hergehen
Ansammlung von Figuren; was sie wohl zu besprechen haben?
Die haben sich wohl nichts mehr zu sagen.
Der Kompost, der da ausgebracht wird und jetzt so schön mit den alten Gräsern kontrastiert, wird über 8 Jahre gelagert, Schichten von Kompostmaterial und Landerde, dann von Hand geschaufelt und gesiebt, schliesslich in die Gärten ausgebracht. Zeit macht nicht nur Gärten, auch die Erde braucht Zeit.
Der Himmel über Great Dixter
Kontinuität...
...und Beständigkeit.