Vielfalt, Diversität ist «in». So «in», dass es bereits zum politisch guten Ton gehört, sie vorzuschreiben. Und was bleibt am Ende auf der Strecke? Genau! Die Freiheit und letztlich wieder die Vielfalt. Das tönt jetzt so vielleicht ein bisschen abstrakt, aber letztlich habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass keinem zu trauen ist, der Freiheit und Vielfalt predigt, und dann gleich wieder Regeln zum «richtigen» Umgang mit der Vielfalt aufstellen will. Wahrscheinlich kann man Vielfalt und Freiheit nur ganz haben und nicht im «ja aber»-Modus.
Wir beschränken uns nicht auf einheimische Pflanzen
«Vielfalt der Pflanzen ja, aber bitteschön nur Einheimische! Und eigentlich sind sowieso die meisten fremdländischen Pflanzen letztlich invasive Neophyten, die hier kein Umfeld finden, das ihnen Einhalt gebietet. Deshalb gehören sie verboten!» – So ungefähr tönen die Argumentationsketten vieler, die zwar politisch grün und korrekt für die Vielfalt werben, aber gleichzeitig zu wissen meinen, was denn die richtige Vielfalt sei. Abgesehen davon, dass diese Überschätzung der einheimischen Pflanzenwelt im braunen Sumpf der 30er Jahre aufkam, ist das für mich eine Selbstbeschränkung, die einfach nur «dumm» ist. Warum auf Gutes und Besseres verzichten, nur weil es nicht von hier ist? Warum nicht dankbar die ganze Vielfalt der Natur annehmen? Und wie einheimisch bitteschön sind die Douglasien in unseren Wäldern, und sollen wir nun die Tafeläpfel aus den Fruchtschalen verbannen, nur weil sie ursprünglich aus dem Kaukasus stammen? Wir bei Lubera wollen Vielfalt ohne Einschränkungen, jedenfalls ohne vorgeschaltete Filter. Ganz bewusst haben wir in den letzten Jahren unseren Fokus auf Essbare Pflanzen – sogenannte Edibles – ausgeweitet und wir testen jedes Jahr ein Dutzend mehr oder weniger unbekannte Arten oder Sortenkandidaten. Dann aber entscheiden wir nicht um der blossen Vielfalt willen, sondern um Ergänzungen einzuführen, die gut sind, die einfach zu kultivieren sind, die uns nützen und uns erfreuen. Wir sind keine Sammler, sondern Jäger, Jäger nach dem Guten und Besseren. Wir sind offen für alles, dann aber entscheiden wir nach unseren Kriterien. Einige Resultate dieser Arbeit sind im aktuellen Gartenbuch 2016 bereits im Abschnitt über Erdfrüchte zu sehen (Deli-Dahlien, Süßkartoffeln, Oca, Chufa), früher schon haben wir aus dieser Arbeit heraus zum Beispiel die ‘Pointilla’ eingeführt.
Die neue Vielfalt der Lubera®-Apfelsorten
In der aktuellen Diskussion zur Diversität wird zum Beispiel beim Apfel häufig darauf hingewiesen, dass bei fast allen neueren Apfelsorten und auch bei den meisten bekannten Marktsorten ‘Golden Delicious’, ‘Cox Orange’ und manchmal auch ‘Jonathan’ im Hintergrund stehen. Als positives Gegenbeispiel wird dann auf die Diversität der alten Sorten verwiesen. Aber ist das wirklich so? - Viele alten Sorten sind nämlich das Resultat eines Ausleseprozesses, der eben auch ziemlich einfältig (und eben nicht vielfältig) war: nämlich ganz und gar ausgerichtet auf die Konsumverhältnisse früherer Jahrhunderte. Wie fest durfte ein Apfel sein, dem ein historischer Zahnapparat des 17. Jahrhunderts gewachsen sein konnte? Und wie gross war der Markt für Frischfrüchte und für den Frischgenuss, wenn die einfachste und billigste Art der Obstkonservierung die Gärung des Apfelmosts war? Da wurden ganz einfach vor allem Sorten selektioniert, die für Apfelmost geeignet waren! Die Diversitätsdiskussion zum Beispiel beim Apfel unterschätzt nicht nur den vereinheitlichenden Einfluss dieser historisch-sozialen Faktoren, sondern auch die Breite, die Diversität des Apfelgenoms selber. In vielen Apfelkreuzungen ist es für mich auch nach mehr als 20 Jahren immer wieder überraschend, was uns da die Natur an Diversität offeriert, was an Breite vorhanden ist. Die Auswahl ist da, man muss sie nur sehen! Wir sind bei Lubera überzeugt davon, dass wir mit unserem Züchtungsansatz, der sich am Garten orientiert und nicht am Erwerbsanbau, diese Vielfalt der Natur besser abgreifen und dann als Sorten für unsere Kunden erlebbar machen können. Die Einführung der ‘Redloves’ ist unser bekanntestes Beispiel, wo wir als erste eine ganz andere Vielfalt, nämlich die Vielfalt der Fruchtfleischfarben, in die bekannte Apfelgenetik eingebracht und – zugegebenermassen mit der Hilfe von Eltern, die auf die Qualitätsspender ‘Golden Delicious’ und ‘Cox Orange’ zurückgehen – zu Tafelapfelqualität weiterentwickelt haben. Wir arbeiten aktuell mit speziellen Apfelformen alter Sorten, wir züchten Zieräpfel/ Wildäpfel ein (ein erstes Resultat ist die Sorte ‘Redlove Lollipop’ in diesem Jahr) und wir benutzen alte amerikanische Sorten des 18. und 19. Jahrhunderts, um ganz neue Fruchteigenschaften zu erreichen.
Denn die Pflanzen retten die Welt
In der Einleitung zu Stefano Mancuso’s und Alessandra Viola’s Buch über die Intelligenz der Pflanzen*) hat mich ganz besonders die Weglassprobe beeindruckt. Gemeinhin wird die lebende Welt in einer Art Hierarchie gesehen, über der toten Materie die Pflanzen, dann die Tiere und schliesslich, als Krone der Schöpfung, der Mensch. Natürlich ist dieses Denken ziemlich altertümlich, aber wenn wir ehrlich sind, denken wir noch immer genau so. Aber wenn wir die Weglassprobe machen, so sehen wir schnell, dass die Pflanzen sehr gut ohne Tiere und Menschen überleben könnten. Natürlich müsste der eine oder andere Befruchtungsmechanismus abgeändert werden, aber Möglichkeiten dazu bietet die Natur zur Genüge. – Die Tiere und Menschen dagegen, so die andere Schlussfolgerung, hätten ohne Pflanzen nicht den Hauch einer Chance! Für mich jedenfalls ist dies Grund genug, mit nochmals mehr Respekt, aber auch mit mehr Entdeckerfreude an die Vielfalt der Pflanzen heranzugehen, sie immer wieder neu und unvoreingenommen für uns und für unsere Kunden zu entdecken. Wem’s noch nicht aufgefallen ist: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als unsere Welt zu retten. Und viele der Lösungen dazu sind in der Pflanzenwelt zu entdecken. Wenn wir bei Lubera dabei zunächst immer an den Pflanzenbenutzer zuhause denken, so mag der pathetisch grosse Anspruch zu hoch gegriffen erscheinen. Natürlich ist es ziemlich lächerlich, im Garten die Welt retten zu wollen! Aber es wäre definitiv ein Fehler, dort nicht wenigstens damit anzufangen.
*) Wer sich für die Intelligenz der Pflanzen interessiert, der lese Stefano Mancuso, Alessandra Viola: die Intelligenz der Pflanzen, Verlag Anje Kunstmann, München 2015