Sie kennen die Frage: Was würden Sie mitnehmen auf die einsame Insel?
Aber erstens war sie nicht einsam und ich hatte doch zwei Gartenbücher von Vladimir Kaminer dabei. Alle hatten diese Bücher beim letzten Gartenfestival auf Schloss Ippenburg gekannt, nur ich nicht (und das geht gar nicht.)
Damit wäre die Frage vorerst beantwortet.
Ich war also, dem Sommer geschuldet, mit meiner Familie 4 Tage auf Sylt. Und das war – der Vergleich sei gestattet – ein ähnlicher Kulturschock, wie ihn der Russische Jude Vladimir Kaminer im deutschen Schrebergarten erlebt haben mag. Ein Schweizer auf Sylt. Wobei wir Schweizer die einzige Nation neben den Deutschen sind, die auf der Insel statistisch und autonummerntechnisch wahrnehmbar ist. Ach ja, Hunde gibt es doch noch etwas mehr als Schweizer. Viel mehr. Einer, gross und schwarz, streckte in der Fussgängerzone alle fünf Meter alle Viere von sich und nichts ging mehr. Der Besitzer zog und zerrte und meinte entschuldigend, nein, das sei nicht hündische Arbeitsverweigerung, das sei ein Begrüssungsritual, das sein Hund jedem entgegenkommenden Hund schenke. Damit ziemlich vielen Hunden. Auch wenn sie 20 mal kleiner waren als er.
Sylt.
Ich habe Langeoog begriffen, ich habe Wangerooge geliebt, aber Weiss Gott, ich verstehe Sylt gar nicht! Im Gegensatz zu den meisten Festlandregionen Mitteleuropas kann man hier nicht nur von Autos (meistens Sportwagen, in der Mehrheit Porsches, immerhin) überfahren werden, sondern auch von Fahrrädern. Schneller ist es hier, nicht langsamer wie auf Langeoog. Gross, nicht klein wie auf Wangerooge Die Sonne muss hier schon sehr scheinen und das Bier in Strömen fliessen, damit man sich Sylt schönsehen kann. Die Temperatur bleibt auch meistens brav diesseits der 20 Grad. Da kann man sich ja nicht einmal echauffieren!
Ja, ich weiss, Sylt wird auch heiss geliebt. Oder doch eher kalt? Ein Kunde hat mir geschrieben, seine Frau sei schon 22mal auf Sylt gewesen. Erst später habe ich es verstanden, vielleicht auch missverstanden: Seine Frau war 22 mal auf Sylt, nicht er.
Und meine Mitarbeiter in Bad Zwischenahn haben schon beim Namen S Y L T die Augen verdreht und schnurrstracks die hohen Preise erwähnt. Inhaltlich hat sich nur Daniel positiv und einigermassen sachdienlich geäussert (die Luft, die Luft!), aber auf Nachfrage handelte es sich wohl um schöngeträumte Jugenderinnerungen.
Strandhafer, Hundsrosen, Klinkerbauten, Beton und Asphalt. Und natürlich Reetdächer. Aber der Strohdach-Effekt schmilzt doch sehr schnell dahin, wenn man die Tarnung erkennt: Reetdachhäuser stehen auf Sylt grundsätzlich mindestens in 20facher identischer Ausführung. Alles geklont. Und in jedem dritten Haus gibt?s entweder einen Fischabriss oder eine Teemanufaktur. Zur Abwechslung ein Dekoparadies.
Aber da bin ich jetzt natürlich sehr ungerecht! Genau so ungerecht wie Kaminer im deutschen Schrebergarten. Wie er den unschuldigen Rhabarber und seine Liebhaber niedermacht, wie er den Ordnungssinn verhöhnt! Und überhaupt wie er die kurzen Episoden aus dem Schrebergartenleben nur zum Anlass nimmt, allerhand absonderliche Geschichten zu erzählen. Als ginge es nicht um den Schrebergarten, sondern um … ja um was denn?
Mein Sohn zum Beispiel, der war von Sylt hellauf begeistert. Der Fernseher im Hotel funktionierte und die Tage verbrachte er vornehmlich im Neoprenanzug. Beim Surfen soll er auch sehr begabt sein. Sein lockiger Lehrer meinte denn auch abschliessend, diese Begabung dürfe auf keinen Fall ungenutzt verkümmern, mindestens wäre es unsere Pflicht und Schuldigkeit als Eltern, im nächsten Winter mal schnell nach Südfrankreich … von wegen Wellen, nicht Weihnachten!
Winter in Südfankreich? Hatte ich das nicht gerade auf Sylt erlebt?
Die beiden erwähnten Bücher:
Mein Leben im Schrebergarten
Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten
Anmerkung der – noch nie auf Sylt gewesenen – Redaktion:
Die Liebhaber von Sylt werden vermutlich entsetzt sein und wir stellen uns die Frage: Kann Markus überhaupt wirklich Urlaub machen? Vielleicht wurde er ein Zufallsopfer des schlechten Wetters. Oder war ganz einfach selber schuld, denn vermutlich hat das Mobiltelefon mal wieder viel zu häufig geläutet.