Interview mit Markus Kobelt, geführt von Francijn Suermondt
Ich falle gerade mit der Tür ins Haus: Lohnt es sich, neue Sorten zu züchten?
MK: (lacht) Da müssten Sie mal meinen Buchhalter fragen! Er würde die diesbezüglichen Aktivitäten sicher stark einschränken. Denn Investitionen in die Züchtung, die letztlich gar nicht aktivierbar sind und sich erst über einen Zeitraum von 15 bis 30 Jahren bezahlt machen (oder auch nicht), sind buchhalterisch kaum zu erfassen. Aber machen wir doch mal die Weglassprobe: Wo würde Lubera® stehen ohne Züchtung, ohne die kontinuierliche Sortenentwicklung, ohne jährliche exklusive Neuheiten? Ich gebe Ihnen die Antwort: Nirgends! Uns gäbe es nicht oder nicht in dieser Form. Rückblickend gesehen lohnt es sich ganz offensichtlich, eigene Züchtung zu betreiben. Diese Tendenz ist ja im Beet- & Balkonpflanzenbereich schon seit längerem zu beobachten, sie ist aber relativ neu für holzige Pflanzen. (Pause) Aber habe ich noch Zeit für eine einigermassen elaborierte betriebswirtschaftliche Antwort?
Ja, gerne.
Züchtung kann als Wachstumstreiber, ja als Motor einer Pflanzenfirma funktionieren, wenn man bereit ist, den Grossteil des Cashflows (und ganz sicher den gesamten mit Züchtung erarbeiteten Cashflow) in die Züchtung zu reinvestieren.
Ich bin selber alles andere als eine Buchhalterin, aber so viel verstehe ich: Offenbar züchten Sie nicht, um schnell grosse Reichtümer anzuhäufen ;-) Warum züchten Sie, Herr Kobelt?
Nach dem kräftezehrenden Ausflug in die Buchhaltung überfordern Sie mich fast ein bisschen mit dieser Frage. Warum ich züchte? Erstens, weil ich es gerne tue, weil es mir Freude und Lebensinhalt schenkt. Und Lubera züchtet, weil es mir gelungen ist und immer wieder gelingt, diese Leidenschaft auf meine Firma und Mitarbeiter zu übertragen … (Pause) Aber mehr fällt mir aktuell dazu nicht ein: Stellen sie die Fragen doch nochmals am Ende des Interviews!
Wie gross sind die Züchtungsprogramme bei Lubera?
Für unsere Verhältnisse sehr gross. Die gesamte Freilandfläche, die wir mit Züchtungsfeldern belegen (also ohne Tunnels und Gewächshäuser, die wir teilweise mitbenutzen), beträgt 6 ha. Der grösste Teil der Züchtung befindet sich in Buchs, an unserem Stammsitz in der Schweiz, neuerdings gibt es auch Züchtungsprojekte in Bad Zwischenahn und in England. Auf den Züchtungsflächen kultivieren wir zwischen 40 000 und 60 000 Pflanzen, die sich in ca. 15 Züchtungsprojekten gruppieren. Aktuell wären zu erwähnen: Himbeeren, Brombeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren, Vierbeeren, Apfel, Birne, Kirsche, Pflaumen-Prunus Hybriden, Forsythien, Hibiscus, Hydrangea paniculata, Pointilla-Eleagnus, Mönchspfeffer … Jedes Jahr werden zwischen 200 und 300 Pflanzen aus dieser Vielzahl neu selektioniert, vermehrt und für die weitere Prüfung wieder aufgepflanzt, die Sortenpipeline an fortgeschrittenen Selektionen beträgt ca. 150 Sorten und jährlich kommen dann 5-10 neue Sorten aus der eigenen Züchtung auf den Markt.
Warum so viele einzelne Züchtungsprogramme, warum nicht die Konzentration z.B. auf Äpfel?
Natürlich gibt es Schwerpunkte, und einer davon ist sicher Apfel. Für die Apfelzüchtung produzieren wir jährlich ca. 15 000-20 000 Samen. Aber letztlich teilt sich dann auch dieses Programm wieder auf in Unterprogramme, z.B. für die Redloves, für Säulenäpfel, für Miniäpfel, und weitere noch streng-geheime Zuchtziele (schmunzelt). Als kommerzielle Züchter, die nicht vom Schnorren um Staatsgelder leben, haben wir gelernt, dass wir in der Züchtung Breite der Tiefe vorziehen. Wenn wir kommerziell wenigstens im gerade besprochenen Rahmen erfolgreich sein wollen (Wachstumstreiber und Cashflowgenerator), dann brauchen wir möglichst viele und breite Züchtungsprogramme, wo die Chance gross ist, bei möglichst vielen Pflanzenarten regelmässig relevante Neueinführungen vorweisen zu können.
Führt das nicht zur Oberflächlichkeit
Nein, das führt zur züchterischen Disziplin, sich bei aller Freude an der Sache immer wieder zu fragen, was in einem relevanten Zeitraum bei einem Züchtungsprogramm rauskommen kann und für unsere Kunden, die Hobbygärtner – relevante Vorteile bieten kann: einfacher, resistenter, besser, anders & unterschiedlich sein kann. Genau das ist nämlich der innere Kompass, der unsere Züchtung leitet, der verhindert, dass wir uns wie viele staatliche Programme in l’art pour l’art-Forschung und Bürokratie verlieren. Aber ebenso klar ist es, dass wir nicht Grundlagenwissenschaft betreiben können, dafür fehlen nicht nur die Mittel, da würden wir auch unsere Ziele (den Hobbygärtner und seine Bedürfnisse bei Obst, Beeren und Blütensträuchern) aus den Augen verlieren.
Wie ist es möglich, so viele einzelne Projekte unter einem Hut zu halten, den Überblick zu wahren
Eine gute Frage! Aber eigentlich ist das alles organisch gewachsen, was ja beim Überblick hilft. Und weiter sind die Programme auch verteilt auf unseren Standort in Buchs, dann auf Bad Zwischenahn und immer mehr auch auf Kooperationspartner, wie z.B. das führende englische Forschungsinstitut für Gartenbau, die East Malling Research Station in Kent. Und Jahr für Jahr, je nach dem Stadium der einzelnen Projekte, legen wir auch bestimmte Schwerpunkte fest, was in diesem Jahr besonders intensiv bearbeitet werden soll. Denn in den meisten Programmen ausser beim Apfel, bei Himbeeren, Erdbeeren und Prunus werden nicht jährlich neue Kreuzungen gemacht, so dass sich von Jahr zu Jahr neue Schwerpunkte ergeben. Und überhaupt: Ein bisschen Chaos muss beim Züchten wohl sein, sonst kommt das Überraschungselement, der Blick des Züchters, der etwas Unerwartetes sieht oder die Pflanze, die uns mit ihren unerwarteten Eigenschaften überrumpelt zu kurz.
Wenn Sie nun diese Kooperations-Züchtungsprojekte z.B. mit East Malling erwähnen, was ist denn da der Unterscheid zum alten Modell, bei dem einfach Sorten fremder Züchter eingekauft werden?
East Malling ist für uns das Paradebeispiel einer erfolgreichen Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen: Ein Erwerbsanbaupartner von uns unterhält da eine 3 ha grosse Versuchsanlage, wir kaufen für diverse eigene Züchtungsprogramme Dienstleistungen (Virustests, das Einkreuzen ganz bestimmter Elternlinien) ein und schliesslich betreiben wir gemeinsam mit East Malling ein sehr grosses Himbeeren- und Brombeeren-Züchtungsprogamm für den Hausgartenmarkt. Der Unterschied besteht genau darin: Wir bringen selber unser Knowhow und unsere Ideen ein, wir selektionieren gemeinsam mit den englischen Kollegen, aber mit spezifischem Augenmerk auf Gartenvorteile und schliesslich kann Lubera die Resultate exklusiv und weltweit auf dem Gartenmarkt bringen.
Wie lange dauert die Züchtung einer neuen Sorte?
Au, da sprechen sie einen schwierigen Punkt an: Züchtung ist sehr sehr langwierig. Allgemein dauert ein Züchtungszyklus zwischen 5 und 20 Jahren, beim Apfel dauert er zwischen 12 und 20 Jahren. Wenn man versucht, rezessive Eigenschaften neu in die Sorten reinzuzüchten, kann sich dieser Zeitrahmen nochmals verdoppeln. Züchtung braucht Geduld und nochmals Geduld.
Aber dann muss man ja ewig auf Resultate warten!
Wenn man ‚früh‘ genug angefangen hat und immer dabei geblieben ist, dann nicht. Geduld UND Kontinuität sind das Wichtigste. Und irgendwann dann sprudelt die Innovationsquelle und alle fragen sich, wie es möglich ist, jedes Jahr so viele neue Sorten auf den Markt zu bringen. Es ist genau deshalb möglich: Weil wir früh angefangen haben, eigentlich schon vor der Gründung meiner Firma, und weil wir drangeblieben sind.
Wie stehen Sie zur Gentechnik und wie zu gentechnisch veränderten Pflanzen?
Wir verwenden keine Methoden, die aktiv und über die ‚normale‘ Kreuzungszüchtung hinaus ins Genom eingreifen und es verändern, anreichern oder was auch immer.
Ist das jetzt eine Glaubensantwort oder eine vom Markt getriebenen Antwort, in dem es keine Akzeptanz für Gentechnik gibt?
Beides. Es gibt in der Tat in Mitteleuropa und darüber hinaus keine Akzeptanz dafür und schon gar nicht bei essbaren Pflanzen. Dann ist es aber auch eine ’Glaubens‘-Antwort, aber weniger ideologisch geprägt, als Sie vielleicht glauben: Eigenschaften, die so künstlich eingebracht werden könnten, sind meist relativ einfach strukturiert und dadurch wenig stabil. So eingebrachte Resistenzeigenschaften werden sehr schnell durchbrochen, sind dadurch wenn nicht nichts, so doch nur wenig wert. Vor allem aber: UNSER Ziel sind neue Pflanzen, die anders sind, die anders und besser schmecken, die Überraschungen bieten, die resistenter und einfacher zu kultivieren sind. Gentechnologie bietet nur Varianten des ewig Gleichen. Und DAS interessiert uns und unsere Kunden gleichermassen wenig.
Ich stelle jetzt die eingangs gestellte Frage nochmals: Warum züchten Sie neue Sorten, warum machen sie sich diese riesengrosse Mühe.
So jetzt bin ich gut aufgewärmt, jetzt fällt die Antwort leichter: Erstens nochmals: Weil es mir und meinen Mitarbeitern Spass und Freude macht. Zweitens: Weil es auch unseren Kunden ganz offensichtlich Freude macht, wir spüren das glücklicherweise durch unseren Internetverkaufskanal auch ganz direkt! Drittens: Weil wir uns dabei mit einer eigenen Pflanzenpalette unvergleichlich machen. Und viertens: Weil wir früh damit angefangen haben und immer dabei geblieben sind. Kollege Zeit ist der wichtigste Mitarbeiter eines Züchtungsprogramms.