Eine der ersten Apfelkreuzungen, die wir im grösseren Massstab durchführten, war Resi x Delbard Jubilée. Zu meinem Erstaunen traten in dieser Population relativ viele kleine, ganz kompakt wachsende Sämlinge auf, die in ihren Saatplatten und später im Topf fast stehen blieben: Auch nach einem Jahr waren sie nur 10-20cm hoch. Ihr Anteil lag aussergewöhnlich hoch, bei 5-10%. Meine Züchterkollegen in Wädenswil und Dresden erzählen mir, dass es sich da wohl um sogenannte Genetic dwarfs handle. Die seien eigentlich fast letal, da werde nie was draus, ich solle sie einfach wegschmeissen …
Ich warf sie nicht fort, pflanzte sie auf eigener Wurzel in unser Züchtungsfeld und selektionierte 10 Jahre später aus dieser Population unsere beiden Maloni-Sorten: Maloni Sally und Maloni Lilly.
So genau weiss ich bis heute nicht, wie diese Genetic dwarfs, diese Wuchszwerge entstanden sind, wie sie überhaupt entstehen können. Aber ganz offensichtlich kommt hier eine rezessive, sonst nicht sichtbare Eigenschaft plötzlich zum Vorschein! Es könnte also sein, dass es ein kompaktes Gen gibt, das rezessiv in bestimmten Sorten vorhanden ist, und dann in der Kombination wieder sichtbar wird.
Bei den Himbeeren benutzen wir aktuell eine ähnliche genetische Spezialität: In einigen Sorten sind rezessive Gene vorhanden, die wir über Selbstbefruchtung kombinieren und sichtbar machen. So werden wir in den nächsten Jahren Herbsthimbeeren auf den Markt bringen, die nur ca. 70-90cm hoch werden. Und in der Pipeline warten Sorten, die gerade einmal 30-40cm hoch werden … Die züchterische Schulmeinung geht hier davon aus, dass sich diese kompakte Genetik nicht weiterzüchten lässt, also dass Kombinationen von kompakt x normal wieder zu 100% ganz normal wachsende Sorten ergeben. Ich bin da, gewitzt von meinen Apfelerfahrungen, nicht ganz so sicher …
Aber überlegen wir uns nochmals die Herkunft und Entstehungsweise der kompakt wachsenden Maloni. Könnte bei den Äpfeln, bei Sally und Lilly ein ähnlicher Prozess vorliegen? Nun eigentlich wird den Äpfeln nur eine sehr geringe Selbstfruchtbarkeit zugeschrieben. Das ist eine so allgemein anerkannte Weisheit, dass sie eigentlich nie überprüft wird (und vielleicht deshalb in Einzelfällen nicht stimmt?)
Waren vielleicht die kompakten Sorten aus der Kreuzung Resi x Delbard Jubileé gar nicht Resultat dieser Kreuzung, sondern ‚nur‘ Selbstungen, Selbstbefruchtungsresultate von Resi. Form, Geschmack und Grösse der Früchte von Sally und Lilly könnten darauf hinweisen, schliessen diese Hypothese zumindest nicht aus.
Einige Jahr nach dieser Kreuzung säten wir frei abgeblühtes, frei befruchtetes Saatgut von Sally aus. Es ging mir darum, mit möglichst wenig Aufwand rauszufinden, ob die Eigenschaft des kompakten Wuchses sich weiterzüchten lassen. Das Resultat? Ca 30% kompakte Sämlinge, auf die unterschiedlichste Art und Weise kompakt. Wieder eine hohe Fruchtqualität, aber wieder relativ nahe bei Resi, Sally und Lilly … Waren es wieder Selbstungen? Oder waren die kompakten allesamt Kreuzungen von Sally x Lilly? Hatte sich da also fast unerkannt das kleine Schwesterchen Lilly eingeschlichen?
In den letzten Jahren kreuzten wir Sally und Lilly systematisch über kontrollierte Kreuzungen mit anderen Sorten. Teilweise ist es dabei möglich, ganz genau nachzuprüfen, ob es sich wirklich um Kreuzungen handelt. Kreuzen wir z.B. Sally mit einer rotfleischigen Sorte, dann sind kompakte rotfleischige Sämlinge der Beweis, dass es Kreuzungen sind und dass die Eigenschaft "kompakt" irgendwie auch auf aussenstehende Sorten vererbt werden kann. Und wirklich: Es gibt diese klar kompakten Nachkommen, die Eigenschaften von beiden Eltern aufweisen, also sehr kompakt sind und auch die rote Fruchtfarbe, das rote Blatt zeigen. Allerdings ist dabei die Vererbungsquote extrem klein, meist bleiben bei solchen Kreuzungen nur einige wenige Pflanzen übrig, die beide Eigenschaften zeigen.
Und genau deshalb werden wir in Zukunft sicher ausprobieren, ob wir die kompakten Himbeeren nicht wieder mit normalen, aber grösserfrüchtigen Sorten kreuzen können – und ob wir dann trotz der schlechten Voraussage der Züchtungsexperten doch wieder einige kompakte Individuen finden.
Denn eigentlich ist aufgrund meiner Erfahrungen nur eins sicher: Es geht meist nicht so einfach und ist meist auch nicht so einfach zu erklären, wie ich es gerne möchte. Aber es sind immer Überraschungen möglich.
Nach diesem Exkurs ins züchterische Unwissen noch ein Wort zu Maloni Sally, einer der beiden Ur-Mütter unseres kompakten Apfelzüchtungsprogamms. Sally ist qualitativ sehr nahe bei Resi, meiner Meinung nach aber etwas besser. Sie hat die Süsse der Muttersorte, aber dahinter akzentuiert eine stärkere Säure den Gesamteindruck. Im Gegensatz zur Schwester Lilly zeigt sie deutlich weniger Bereifung, Lilly ist manchmal im Herbst fast blau und wird dann erst im Lager rosarot. Sally wächst auch etwas stärker, buschiger als Lilly, erreicht eine Höhe, die etwa der Hälfte eines normalen Apfelbaumes auf M9 entspricht.
Und warum ich jetzt gerade auf Sally zu sprechen komme? Weil ich jetzt im Dezember in unserem Betrieb in Bad Zwischenahn an einem ganzen Feld von jungen 2 jährigen Sallybäumchen vorbeikam. Und die waren immer noch, noch jetzt im Dezember, voller Äpfel, über die der Frost schon zwei- bis dreimal gegangen war. Und dennoch behielt Sally ihre Äpfelchen immer noch bei sich, auch lange nachdem die Blätter schon abgefallen waren, ganz so, als wollte sie sie nie mehr hergeben. Und der Geschmack! Jetzt sehr süss, obwohl nicht mehr ganz fest, so doch noch immer sehr saftig, breit aromatisch, ein Genuss. Und immer wenn ich jetzt in diesen Dezembertagen einen Mitarbeiter in Bad Zwischenahn einen Apfel essen sah, war ich sicher, dass es eine Sally war, der das Apfelmuster entrissen worden war. Und mein angekränkeltes Unternehmerhirn rechnete auch schon mal aus, wieviele Umwege das eigenwillige Äpfelchen in den letzten Wochen wohl provoziert hatte: „Sorry, ich komme gleich, ich hol mir gleich noch einen kleinen Sallyapfel …“ Aber was sind schon die Ängste eines Chefs gegen die Freuden eines Apfels …
Hier gibt es ein paar Bilder zu den Dezember-Sallys