Warum gibt es eigentlich keine (ich korrigiere: fast keine) samenlosen Äpfel. Wir kennen die Samenlosigkeit von vielen Früchten und Fruchtgemüsen: Wer würde seinem Kind oder Enkel noch Tafeltrauben mit vielen Samen zumuten? Und wie selbstverständlich haben wir uns an viele fast samenlose Feigen, an samenlose Zitrusfrüchte und auch an samenlose Wassermelonen gewöhnt. Beim Apfel gehört irgendwie der letzte Rest, das Samengehäuse, das ‘Bitzgi’ (wie wir im Schweizerischen Dialekt sagen) dazu. Das Samengehäuse bleibt übrig, ‘verschönert’ den Arbeitstisch und verklebt irgendwann den Papierkorb. Ach ja, und natürlich können wir ein ‘Bitzgi’ auch einfach rechts und links in die Büsche entsorgen, das ist akzeptiert. Warum auch immer steht die Samenlosigkeit nicht auf der Prioritätsliste der Apfelzüchter, die lieber den nächsten gleichen Apfel als Weltwunder verkaufen als über wirkliche Innovation nachzudenken. Jedenfalls verfolgen wir bei Lubera seit über 12 Jahren ein Projekt zur Züchtung samenloser Äpfel und zeigen in diesem Artikel den Stand des Projekts auf. Im Lubera Shop können Sie bereits die Sorte 'Faibella' bei den samenlosen Äpfeln kaufen.
Inhaltsverzeichnis
- Warum samenlose Äpfel?
- Der Samenraub – Dürfen wir das?
- Wie entstehen samenlose Äpfel?
- Der wilde Westen als Quelle samenloser Äpfel
- Die wichtige Rolle der Apfelbäume im amerikanischen Wilden Westen
- Auftritt Johnny Appleseed
- Das grösste Züchtungsexperiment der modernen Apfelgeschichte als Crowd Breeding
- Spencer Seedless und Wellington Bloomless als Resultat
- Samenlosigkeit ist eine genetisch versteckte, rezessive Eigenschaft
- Wie kann die Samenlosigkeit sichtbar gemacht werden?
- Das Lubera SL (Seedless) Programm
- 2010 bis 2015 Primärkreuzungen
- Ab 2010 bis heute Selektion der besten Sämlinge
- 2017 Die Probe aufs Exempel
- 2020 bis 2030 Auswahl der besten Eltern für den zweiten Züchtungsgang
- 2022 Proof of Concept - Done
- Die Zukunft
- Markt für samenlose Äpfel
- Genetische Herausforderungen der SL-Züchtung
- Qualität
- Quantität
- Ausblick auf die nächsten 10 Jahre SL-Apfelzüchtung bei Lubera
- Wann wird die erste samenlose Sorte von Lubera auf den Markt kommen?
Warum samenlose Äpfel?
Mit der Forderung und dem Ziel samenloser Äpfel rütteln wir ein bisschen an einer fixen Vorstellung, an einem Bild, wie der Apfel sein muss. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass der Apfel nicht irgendeine Frucht ist, sondern letztlich mindestens in der westlichen Welt der Inbegriff DER Frucht. Und dazu gehören in Gottes Namen halt auch Samen… Jedenfalls höre ich schon die Sprechchöre der Apfelnostalgiker: Wir wollen Samen! Lasst dem Apfel den Samen! Aber umgekehrt ergeben sich doch eine Vielzahl von Vorteilen, wenn man die Samen vom Apfel wegdenken und eines Tages auch wegzüchten würden:
- Der ganze Apfel, vielleicht mit Ausnahme des Stiels, ist nutzbar, es gibt auch bei der wichtigen Apfelverarbeitung keinen Abfall. Foodwaste wird vermieden.
- Der Apfel wird noch vermehrt zum Snack Food, keine Reste verkleben mehr das Pult oder müssen am Ende auf der Toilette entsorgt werden. Da sind vor allem auch kleinere Apfelgrössen ohne Samen sicher interessant.
- Die Samenlosigkeit verhindert wohl weitgehend die Alternanz, also die Tendenz von Apfelsorten, nach einem Vollertragsjahr eine Pause einzulegen und ab dann nur jedes zweite Jahr voll zu tragen. Die Ursache für diesen Effekt sind Hormone, die letztlich in den Apfelsamen entstehen und im Sommer, während der Reifezeit der Äpfel die Bildung von Blütenknospen fürs nächste Jahr hemmen. Dies ist ja auch der Grund, dass die Ausdünnung zu reich tragender Apfelbäume möglichst früh, also gleich nach dem Junifruchtfall zu erfolgen hat.
- Samenlose Äpfel sind nicht mehr auf die Befruchtung durch Insekten und Honigbienen angewiesen. Dies könnte man einerseits kritisch sehen, da damit ja in ferner Zukunft in einem Teil der Apfelkulturen keine Befruchtung mehr notwendig wäre (und wohl auch nicht erwünscht…). In Bezug auf Obstanlagen ist jedoch Entwarnung zu geben: Hier werden mit riesigem logistischen Aufwand Unmengen von Bienenvölkern für die kurze Blüte angesiedelt, um die Befruchtung sicherzustellen. Für den weiteren Jahresverlauf und auch für Wildbienen sind die Obstanlagen aber nicht sehr interessant. Jedenfalls würden samenlose Äpfel der Vielfalt der Insektenwelt kaum schaden, sondern ganz einfach den Produktionsaufwand reduzieren. Immerhin: Man kann die kritischen Nachfragen hier schon verstehen, nachdem jahrzehntelang der Tod der Honigbiene an die Wand gemalt worden ist.
- Samenlose Äpfel tragen auch nach vielen Frostereignissen noch genügend Früchte. Die Entstehung der Frucht ist weitgehend unabhängig vom Wetter. Wenn bei einem Samenapfel der Pollenschlauch durch Frost oder kaltes Wetter zerstört wird und der Ertrag ausfällt, so ist der samenlose Apfel gerade darauf nicht angewiesen. Auch die samenlosen Conference-Birnen, die noch etwas länger gezogen sind als das befruchtete Original, sind ja häufig auf dem Markt zu finden. Sie entstehen nach Frostjahren viel stärker, weil dann zwar die Befruchtung misslingt, aber nur teilweise beschädigte Blüten sich wieder regenerieren können und auch ohne Befruchtung zu vollwertigen, aber samenlosen Birnen heranwachsen. Vielfach wird dies im Birnenanbau mit der Applikation von Pflanzenhormonen unterstützt.
Der Samenraub – Dürfen wir das?
Na ja, zumindest haben wir es schon x-fach gemacht… Zitrusarten, Tafeltrauben, Feigen, die meisten Kaki – ich habe sie weiter oben schon erwähnt – kommen ohne Samen aus. Bei den Äpfeln kommt erleichternd dazu, dass die Samenlosigkeit keine genetische Sackgasse darstellt. Kommt doch einmal zufällig Pollen auf die Narbe der veränderten Blüte (siehe nächsten Abschnitt), so entstehen wieder Samen, die keimen und wieder zu vollentwickelten Apfelsorten führen können. Ist der Pollenspender selber nicht samenlos, so entstehen auch wieder neue Sorten, die normale Blüten ausbilden, von Insekten befruchtet werden können und auch wieder Samen in sich tragen.
Das alles tönt bis jetzt noch etwas unverständlich, kompliziert und rätselhaft. Es ist daher an der Zeit, den Mechanismus der vollständigen Samenlosigkeit bei Äpfeln etwas genauer zu erklären…
Wie entstehen samenlose Äpfel?
Wie genau kommt es denn nun zu samenlosen Äpfeln? Es ist die Kombination von 2 Mechanismen, die aber eventuell von einer einzigen genetischen Mutation gesteuert werden:
1. Die Blüten der samenlosen Äpfel sind petalenlos, sie haben also keine Blütenblätter. Anstelle der Blütenblätter werden zusätzliche Kelchblätter gebildet. Häufig fehlen auch die Staubbeutel. Im Frühling sind denn auch diese grünen Gebilde fast nicht zu erkennen. Und so wie uns geht es auch den Bienen und Befruchterinsekten: Sie können die Blüten nicht mehr anfliegen, weil sie sie nicht mehr sehen – und in der Folge bleiben sie unbefruchtet. Übrigens sind die übrigen Organe der petalenlosen Blüte ganz normal entwickelt: Es gibt auch einen Stempel, der allerdings meist vergeblich auf Befruchterpollen wartet…
Bild: Die Blüten samenloser Äpfel: Anstatt Blütenblätter und Staubgefässe entstehen zusätzliche Kelchblätter.
2. Die samenlosen Äpfel haben die Fähigkeit, auch ohne Befruchtung, also parthenokarp Früchte anzusetzen. Die scheint direkt mit der unter 1. beschriebenen Eigenschaft und auch mit der zugrundeliegenden genetischen Mutation zusammenzuhängen, die der Samenlosigkeit zugrunde liegt. Neuere Studien haben gezeigt, dass diese Mutation (keine Petalen und Staubbeutel, dafür mehr Kelchblätter) in der Natur auch bei der Arabidopsis thaliana, der Acker-Schmalwand, einer häufig zum Vergleich herangezogenen Modellpflanzen vorkommt und überall ähnlich strukturiert ist. Dennoch ist die Mutation insgesamt sehr selten.
Der wilde Westen als Quelle samenloser Äpfel
Jetzt kommen wir aber zum etwas weniger technischen, aber dafür spannenderen Teil der Geschichte, die sich – wie könnte es auch anders sein - im Amerikanischen Wilden Westen abspielte. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es hier eine Spezialökonomie, eine Hochkonjunktur für… Obstbäume, vor allem für Apfelbäume, die die harten klimatischen Bedingungen im kontinentalen Klima am besten aushalten. Sie wurden in grosser Zahl fast überall gepflanzt, sie begleiteten sozusagen die Siedlungsbewegung von den Ostküstenstaaten weiter ins Landesinnere hinein, immer weiter gegen Westen. Go west galt auch für Apfelbäume.
Die wichtige Rolle der Apfelbäume im amerikanischen Wilden Westen
Dafür gab es im Wesentlichen zwei Hauptgründe:
Erstens: Im Wilden Westen, der sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt von den schon lange besiedelten Ostküstenstaaten weiter landeinwärts und westwärts zog, waren Apfelbäume ein natürlicher Vorteil. Sie spendeten Trost und gleichsam nebenbei auch Vitamine. Einmal gepflanzt wuchsen sie ziemlich problemlos, und alle Früchte gleichwelcher Qualität konnten zu Apfelsaft und ganz leicht zu vergorenem Cider, Hard Cider verarbeitet werden. Von daher der Trost. Ein Glück, dass bei dieser natürlichen Vergärung die Vitamine, vor allem das überlebenswichtige Vitamin C, nicht verloren geht…
Und zweitens: Mit der Anpflanzung von mindestens 50 Obstbäumen (meist Apfelbäumen) konnte ein Siedler eine Parzelle für sich reklamieren. Teilweise war dies auch die Voraussetzung, dass sie später grundbuchrechtlich eingetragen werden konnte. Dadurch entstand über Jahrzehnte und wohl insgesamt über 150 Jahre eine Übernachfrage nach Apfelbäumen, die auch im Wilden Westen marktgerecht erfüllt wurden.
Auftritt Johnny Appleseed
Die Samen kamen aus den etablierten Obstpressen der Ostküste, wurden ohne grossen Aufwand westwärts transportiert und an einem günstigen Ort ausgesät. Der sagenhafte Johnny Appleseed zog so von Ort zu Ort, immer der Nachfrage voraus, säte seine Apfelsamen aus, umzäunte die Baumschule und zog weiter, um dann zwei Jahre später wieder nach dem Rechten und dem Ertrag zu sehen. Jetzt waren die Sämlinge verkaufsfertig und würden wieder vielen Siedlern zur eigenen Parzelle verhelfen. So wie Johnny Appleseed (mit bürgerlichem Namen Chapman) muss es noch viele andere geschäftstüchtige Wanderbaumschulisten gegeben haben. Bei Chapman alias Johnny Appleseed kommt hinzu, dass er aufgrund seines religiösen Glaubens den Eingriff in die Vermehrungsnatur strikt ablehnte, vor allem auch die Obstveredlung war verpönt. Es mussten Samen sein und Sämlinge, keine veredelten Obstbäume. Ökonomisch entscheidender als Chapmans Glaube dürfte aber die Ökonomie gewesen sein: Sämlinge sind ganz einfach viel billiger anzuziehen als veredelte Obstbäume…
Das grösste Züchtungsexperiment der modernen Apfelgeschichte als Crowd Breeding
Als Resultat dieser Sonder-Ökonomie wurden im Wilden Westen in einem einzigartigen und unbewussten Züchtungsexperiment Millionen von Apfelbäumen gepflanzt. Aus diesem fast unerschöpflichen Fundus entstanden dann im Verlaufe des 18. und 19. Jahrhunderts Hunderte, wohl historisch Tausende von Apfelsorten, deren wichtigste bis heute die Genetik des modernen Apfels prägen: Jonathan, Macintosh, Golden Delicious und Red Delicious. Von den 7 Apfelsorten, die das moderne Apfelgenom des Tafelapfels prägen und die in den Vorfahren der meisten modernen Äpfel vertreten sind, stammen 4 aus diesen amtlich ‘vorgeschriebenen’ Apfelpflanzungen…
Spencer Seedless und Wellington Bloomless als Resultat
Sie haben es unterdessen längst schon geahnt: Auch die meisten bekannten samenlosen Äpfel stammen aus diesem einzigartigen Züchtungsexperiment, das man modern auch als Crowedbreeding bezeichnen könnte: Spencer Seedless, Wellington Bloomless, diverse andere Sorten, teilweise auch einige wenige züchterisch abgewandelte und weiterentwickelte Sorten. In England versuchte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Ken Tobutt den Säulenwuchs seiner Ballerina-Bäume mit der Samenlosigkeit zusammenzubringen, um so die Alternanz bei Säulenbäumen zu umgehen. Hunderttausende, ja Millionen von Menschen hatten über 150 Jahre mit einer je für sie hergestellten Apfelpopulation zu tun, aus der sie in vielen Fällen und ganz natürlicherweise die besten auslasen und weiter vermehrten (jetzt dann natürlich MIT Veredelung). Und neben den schönsten und besten Äpfeln fielen da natürlich auch die speziellen Äpfel auf, die jedes Jahr ohne sichtbare Blüten Früchte ansetzten. Dass die Bloomless- und Seedless-Äpfel gerade im Wilden Westen auffielen, unter harten klimatischen, kontinentalen Bedingungen, mag noch einen anderen Grund haben: Samenlose Äpfel können ohne Befruchtung Früchte ansetzen, sie können auch aus Blüten regenerieren, die teilweise frostgeschädigt sind. Sie trugen damit auch in solchen Jahren Früchte, in denen die meisten anderen Apfelbäume nichts zu bieten hatten. Spencer Seedless und die Wellington Bloomless und einige vergleichbare Sorten kamen dann wie die amerikanischen Weltsorten Golden Delicious und Red Delicious um die Jahrhundertwende (um 1900) auf den Markt, erregten die Sensationsgier des lesenden Publikums – aber wurden letztlich nie zu einem grossen Erfolg. Offenbar waren Red Delicious und Golden Delicious einfach besser. Vielleicht war auch der Umgang mit Nahrungsmitteln noch nicht so vermitteln und distanziert wie heute, so dass Samen noch weniger als Problem erkannt wurden, als dies heute der Fall sein könnte…
Samenlosigkeit ist eine genetisch versteckte, rezessive Eigenschaft
Nun kann man sich leicht vorstellen, dass die Samenlosigkeit die Überlebensfähigkeit einer entsprechenden Apfelsorte in der Natur (ohne Mithilfe des Menschen) nicht gerade fördert. Ein entsprechender Baum würde mit grosser Wahrscheinlichkeit schnell wieder aussterben, ebenso die genetische Eigenschaft, die dahintersteht. Ohne Samen keine Nachkommen. Solche potentiell letalen, zum Tod und Aussterben führenden Eigenschaften überleben in der genetischen Struktur der Pflanzen allerhöchstens rezessiv, als nicht sichtbar Eigenschaften, die sich nur auf einem Chromosomenstrang befinden und sich nicht ausprägen. Genau dies ist bei der Samenlosigkeit auch der Fall: Die Apfelhochkonjunktur im Wilden Westen führte mit den Millionen von Apfelbäumen und mit den unzähligen möglichen Kombinationen einfach dazu, dass sich mehrfach zwei der seltenen Apfelsorten/Apfelsämlinge mit der entsprechenden rezessiven Mutation kombinieren konnten. 25% der aus einer solchen Kombination entstehenden neuen Apfelsorten werden dann – zumindest nach der Theorie – die Eigenschaft auch zeigen und samenlos sein….
Wie kann die Samenlosigkeit sichtbar gemacht werden?
Dass die Samenlosigkeit rezessiv ist und dazu noch selten vorkommt, hat sicher auch dazu geführt, dass züchterisch nur wenig mit dieser Eigenschaft gearbeitet werden ist. Es braucht immer mindestens 2 grosse und mit langer Hand vorbereitet Zuchtgänge, um hier zu möglichen Resultaten zu gelangen:
A Kreuzung einer samenlosen Sorte wie Wellington Bloomless mit einer konventionellen Sorte
⇒ Resultat: alle Abkömmlinge tragen die Samenlosigkeit rezessiv in sich, diese ist aber nicht sichtbar
B Kreuzung zwischen den rezessiv samenlosen Sorten
⇒ Resultat: 25% der Sämlinge sollten samenlos sein
Gleichzeitig mit der Samenlosigkeit sind bei der Züchtung natürlich unendlich viele andere verbundene und nicht verbundene Eigenschaften zu berücksichtigen:
- Geschmack
- Fruchtqualität
- Fruchtgrösse
- Ertrag (die Parthenokarpie muss regelmässig und gut funktionieren
- Resistenz gegen Pilzkrankheiten und Schädlinge
- möglichst mit Fruchtfleisch gefülltes Kernhaus
- Lagerfähigkeit
- keine physiologischen Probleme (die ja auch von der Abwesenheit der Hormone ausschüttenden Samen herrühren könnten)
Das Lubera SL (Seedless) Programm
Wir starteten das Lubera Seedless Apfelzüchtungsprogramm vor gut 12 Jahren und haben uns bis jetzt schon durch alle diese Stufen durchgearbeitet:
2010 bis 2015 Primärkreuzungen
Kreuzung Samenlose Apfelsorten x resistente Lubera Qualitätssorten in möglichst allen Farben (Schale und Fruchtfleisch), Reifezeiten, Geschmacksrichtungen.
Wir konnten dabei dank eines Züchtungszusammenarbeitsvertrags auf die Genbank von East Malling zurückgreifen (heute NIAB East Malling) und hier die klassischen Amerikanischen Sorten sowie auch einige weitere samenlose Zwischen- und Züchtungsresultate aus der Arbeit der englischen Züchter benutzen. Insgesamt wurden einige Tausend Sämlinge hergestellt.
Ab 2010 bis heute Selektion der besten Sämlinge
Die entstandenen Sämlinge werden alle veredelt und dann in unseren Züchtungsfeldern auf Fruchtqualität getestet, die besten werden ausgelesen, auf schwachwachsende Unterlagen veredelt und wieder auf die Testfelder ausgepflanzt (6-12 pro Selektion).
2017 Die Probe aufs Exempel
In einer Seedless-Population in einer Reihe werden zufällig Äpfel besammelt und deren Samen werden im folgenden Frühling ausgesät – in der Hoffnung, die Bienen seien schön brav in der Reihe geflogen und es sei zu Geschwisterkreuzungen gekommen. Ich kann es einfach nicht länger aushalten, ich möchte wissen, ob die Theorie auch stimmt und ob aus Geschwisterkreuzungen effektiv samenlose, sichtbar samenlose Apfelsorten entstehen…
2020 bis 2030 Auswahl der besten Eltern für den zweiten Züchtungsgang
Die ausgelesenen rezessiven Seedless-Selektionen werden intensiv in der zweiten Züchtungsstufe getestet. Letztlich ist es im Ein-Baum-Stadium, in einer Sämlingspopulation nicht möglich, einen Sortenkandidaten genau und umfassend genug zu testen. Nun in der zweiten Stufe mit 6-12 Bäumen pro Klon trennt sich die Spreu ganz schnell vom Weizen, die Qualitäten und auch die Nachteile der Selektionen treten immer klarer zutage. Beim Seedless-Programm geht es in dieser Stufe ja nicht darum, neue Sorten zu gewinnen (alle Äpfel auf dieser Stufe tragen ja noch Samen in sich), aber es sollen doch sehr sorgfältig die besten Züchtungspartner für die aufwändigen nächsten Kreuzungen rezessiv Seedless x rezessiv Seedless gefunden werden. Immerhin geht es darum, in nur zwei Züchtungsgängen Sorten aus dem 18. und 19. Jahrhundert direkt ins 21. Jahrhundert zu bringen.
Bild: In diesen Reihen stehen rechts und links Seedless-Selektionen mit der rezessiven Eigenschaft ‘samenlos’, also nicht sichtbar. Hier wählen wir sorgfältig die besten Eltern für die nächsten Kreuzungsgänge aus, die dann zu echt samenlosen Sorten führen.
Bild: Bilder aus unseren Zuchtfeldern: Apfelselektionen mit der rezessiven Eigenschaft ‘seedless’. Sie werden die Eltern unserer effektiv samenlosen Zukunftssorten sein.
2022 Proof of Concept - Done
Heureka! In der Population, die aus den 2017 gesammelten Äpfeln entstanden ist, kann ich die ersten samenlosen Sorten selektionieren, teilweise in überraschend guter Qualität. Es zeigt sich auch in der Realität, dass sich Samenlosigkeit in verschieden Qualitätsstufen zeigen kann:
- fast vollständig gefülltes Samengehäuse
Bild: Ganzer Apfel einer Lubera Seedless Selektion der zweiten Stufe.
Bild: Der gleiche Apfel aufgeschnitten, ganz ohne Samen; das Kerngehäuse ist weitgehend mit Fruchtfleisch gefüllt.
- offenes Samengehäuse
- halb offene Samengehäuse mit unentwickelten Minisamen
Bild: Eine der ersten effektiv samenlosen gelbfrüchtigen Selektionen von Lubera, allerdings ist das Kerngehäuse hier weitgehend offen, darin sieht man nicht weiterentwickelte Samenanlagen.
Die Zukunft
Wie geht es mit dem SL-Programm bei Lubera nun weiter. Immerhin ist es ein fast unkalkulierbares Risiko, ein Züchtungsprogramm mit einer mindestens 20 Jahre langen Perspektive (vom Start bis zur ersten Sorte) zu unternehmen – und schliesslich auch durchzuhalten. Es ist schon zu Beginn vorauszusehen, dass sich in diesen 20 Jahren auch die Rahmenbedingungen ändern werden. Wie sehen wir also die nächsten 8-10 Jahre, bis wir die ersten samenlosen Hochqualitätssorten auf den Markt bringen können. Wie werden sich Sorten und Markt
Markt für samenlose Äpfel
Nach 12 Jahren Investitionen in die Züchtung samenloser Äpfel (ein mittelhoher 6-stelliger Betrag) werden wir natürlich weiterfahren, weiterfahren müssen. Die grösste Unsicherheit bleibt der Markt: Wird es ein Interesse an den samenlosen Qualitätssorten geben. Werden die samenlosen Apfelsorten vor allem in der Verarbeitung eingesetzt werden (zero waste) oder können sie auch im Frischmarkt Fuss fassen (Snack Äpfel)? Eigentlich lässt sich voraussagen, dass sie eher im Erwerbsanbau eine Nachfrage finden werden als in unserem Primärmarkt, dem Garten. Warum? Na ja, Apfelbäume ohne Blüten sind im Frühling nicht besonders attraktiv… Andererseits können dies vielleicht samenlose Äpfel auch im Gartenmarkt aufwiegen…
Genetische Herausforderungen der SL-Züchtung
Die Unsicherheit über die Genetik ist nach dem Proof of Concept zumindest teilweise geschwunden. Ja, das gezielte Züchten samenloser Äpfel funktioniert. Ich bin aber weiterhin gespannt, ob es bei den exakten Kreuzungen, die in den vergangenen und zukünftigen Jahren gemacht wurden, dann im Endresultat wirklich zu 25% samenlosen Individuen kommt, oder ob da nicht zusätzliche Nebeneigenschaften eine Rolle spielen, die auch genetisch vorhanden sein müssen… Einer möglichen Inzuchtgefahr haben wir weitgehend vorgebeugt: Auf der Seedless-Seite haben wir 6 verschiedene Sorten benutzt, und auch auf der Qualitätsseite sind wir auf der Basis des Lubera Züchtungsprograms möglichst divers gefahren und haben frühe und späte Sorten, 100% rote Sorte sowie gelbe Sorten, weissfleischige und auch rotfleischige Sorten mit den Seedless Sorten gekreuzt. Noch zu prüfen wird sein, ob alle rezessiv samenlosen Elternsorte untereinander ‘kompatibel’ sind, also dass es sich bei allen verwendeten Seedless-Muttersorten der Primärkreuzungen um genau die gleiche Genetik handelt…
Qualität
Mit diesem SL-Züchtungsprogramm, das gut und gerne 20 und mehr Jahre dauern wird (und dann noch sehr schnell sein wird) versuchen wir ja in zwei Züchtungsgenerationen nachzuvollziehen und wenn möglich zu überholen, was in 150 Jahren Apfelzüchtungsgeschichte passiert ist. Wir versuchen Äpfel aus dem 18. und 19. Jahrhundert in 20 Jahren auf das Niveau der besten Marksorten zu bringen. Das wird nicht einfach sein, ist aber auch nicht unmöglich. Aufgrund der breiten und zahlreichen Kreuzungen auf der ersten Züchtungsstufe haben wir nun viel Material zur Verfügung, in dem wir die besten Eltern (mit der besten Fruchtqualität, dem schönsten Wuchs etc. und der rezessiven Samenlosigkeit) auswählen können. Diese können dann miteinander kombiniert werden, wobei die eine Sorte idealerweise die vorhandenen und erkannten Schwächen der anderen Sorte ergänzen kann…. Es ist auch eine Tatsache, dass wir genetisch beim Apfel noch nicht so weit vom 19. Jahrhundert entfernt sind, vor allem auch wenn neue Eigenschaften gesucht sind. Der wohl einflussreichste Apfel der letzten 30 Jahne ist Honeycrisp oder Honeycrunch. Er hat eine neue, viel leichter zu kauende, zu verarbeitende Textur in den modernen Apfel gebracht. Interessanterweise weisen seine Eltern schon wieder schnell ins 19. Jahrhundert zurück: Auf der einen Elternseite sind Golden Delicious und Gräfin von Oldenburg die Grosseltern. So weit wind wir also gar nicht vom 19. Jahrhundert entfernt.
Quantität
Natürlich wird es jetzt in der ‘letzten’ Züchtungsstufe notwendig ein, relativ grosse Populationen zu produzieren. Wenn wir 100 Sämlinge einer Kombination erhalten, werden allerhöchsten 25 samenlos sein. Es wird also unser Ziel sein, mindestens 500 Samen je Kreuzung zu erhalten, um dann auch genügend Auswahlmöglichkeiten in den 100 samenlosen Sortenkandidaten zu haben. Und natürlich bleibt dann auch noch die Hoffnung auf eine weitere Züchtungsstufe: Wir werden selbstverständlich auch in der Lage sein, die besten effektiv samenlosen Sorten selber zu kreuzen (unter Berücksichtigung der Eltern, um möglichst viel genetische Distanz zu erhalten). Hier ist dann damit zu rechnen, dass alle Sämlinge samenlose Eltern tragen werden.
Ausblick auf die nächsten 10 Jahre SL-Apfelzüchtung bei Lubera
Nachdem ich nun schon einige Jahre fleissig samenlose Äpfel und ihre Vorformen (die die Eigenschaft noch nicht zeigen) gegessen habe, bin ich doch ziemlich überrascht von der Fruchtqualität: Wie immer, wenn man mit alten Sorten kreuzt, ist die gefühlte Diversität grösser als bei modernen Kreuzungen und es ist fast unmöglich, einen perfekten Sortenkandidaten zu finden. Aber dennoch überzeugen teilweise die äusseren Fruchteigenschaften, die Farbe, die Fruchtgrösse und die Textur. Vor allem beim Zucker gibt es allerdings ganz selten Sorten, die auf dem modernen Niveau sind, hier muss wirklich züchterisch noch nachgearbeitet werden.
Wann wird die erste samenlose Sorte von Lubera auf den Markt kommen?
Geben Sie mir bitte nochmals 5-10 Jahre… Bis dahin bieten wir aber die alte samenlose Sorte Faibella im Sortiment an. ;-)
Wer braucht samenlose Äpfel?