Der Garten und das Feld. Das Hobby und die Landwirtschaft. Viele von uns allen sind nur eine bis drei Generationen von der Landwirtschaft entfernt. Gerade in Mitteleuropa und auf dem Land wird man lange suchen müssen, um jemanden zu finden, der unter seinen Grosseltern nicht mindestens einen Bauern, eine Bäuerin finden würde. Kein Wunder, dass wir es immer noch sympathisch, ja naheliegend finden, den Garten als kleinen Bruder der Landwirtschaft zu denken, natürlich vor allem, wenn es um den Nutzgarten geht.
Letztlich ist es aber die Grundidee der Lubera-Züchtung und -Sortentestung, dass die Garten- und Landwirtschaftswelt auseinandergefallen sind. Sorten für den Erwerbsanbau müssen zunächst einmal Ertrag bringen, dann müssen sie kosteneffizient produziert werden können und unbeschadet im Supermarkt und beim Kunden, im Kühlschrank und auf dem Teller ankommen. Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, den food waste: Lange nicht alles, was gekauft wird, wird auch gegessen bei uns… Im Hausgarten zählen – wir können es nicht oft genug wiederholen – die Einfachheit der Kultur, der Geschmack, die Resistenz und die Diversität und Andersheit.
Mit diesem Konzept habe ich vor 25 Jahren begonnen, Äpfel zu züchten, später kamen fast alle Beerenobstarten hinzu und seit 3 Jahren auch Kartoffeln, Süsskartoffeln und Freilandtomaten. (Noch ist es leider zu früh, dass Sie die Gemüse-Resultate sehen und bei sich anbauen können. Ich bitte nochmals um 2-3 Jahre Geduld…)
Aber eigentlich wollte ich auf etwas ganz Anderes hinaus: Landwirtschaft und Garten werden sich zumindest bei den Spezialkulturen, Obst, Gemüse, Gartenbau in den nächsten 20 Jahren nochmals ganz anders entwickeln, als es die Romantiker erhoffen. Ich bekenne mich da auch gerne schuldig. Ich habe lange (eigentlich bis gestern) heimlich immer gedacht, dass der langfristige Trend die Landwirtschaft (vielleicht bis zum Gartenbau?) extensivieren würde: Weniger Pflanzenschutzmittel, mehr angepasste Produktion, vielleicht auch weniger Produktion, Bio und normale Produktion wachsen zusammen…
Gestern habe ich aus einem ganz anderen Anlass mit meiner Züchterkollegin in England, Feli Fernandez diskutiert: Es ging um die Frage, wie die Himbeerproduktion im Erwerbsanbau in 20 Jahren aussehen würde und ob es vielleicht sogar wieder eine Konvergenz der Hausgarten- und der Erwerbsobstbauzüchtung geben könnte.
Nun ist Feli=Felicidad alles andere als eine temperamentlose Agronomin, sie ist hochpolitisch erzogen worden, in einem sozialistischen spanischen Elternhaus und politisch könnte man sie als 'links' plus ein bisschen 'grün' beschreiben. Aber neben und vor ihrer gesellschaftlichen und politischen Leidenschaft (die gerne meine Streitlust weckt) züchtet sie Himbeeren und Brombeeren, ein bisschen für unser Hausgartenprogramm (Lubera ist an ihrem Züchtungsprogramm beteiligt), aber vor allem für den Erwerbsanbau. Und sie ist eine exzellente Agronomin und Wissenschaftlerin – Romantik liegt ihr jedenfalls gar nicht. Originalton Feli: "Der Himbeeranbau im Norden Europas wird im Erwerbsanbau in 20 Jahren fast nur noch im Gewächshaus stattfinden, dazu müssen wir Sorten züchten, die möglichst wenig Arbeit verursachen, dornenlos sind, auf der ganzen Rutenhöhe produzieren, die insbesondere für jede gewünschte Ernteperiode zu manipulieren sind und allenfalls auch die Möglichkeit von Pflückrobotern (weniger Laub, genug offen, grosse Früchte, feste Haut…) zulassen. Anders können Himbeeren nicht mehr produziert werden." Als ich versuche, meine Träume zu retten und vorsichtig auf die Möglichkeit der Extensivierung hinweise, antwortet Feli klar und deutlich: "Auf dem Acker können wir die Rahmenbedingungen nicht kontrollieren (Schädlinge, Krankheiten, Luftfeuchtigkeit, Wetter), im Gewächshaus wohl. Der Erwerbsanbau ist von zwei Seiten unter Druck: Die Arbeit wird zu teuer (und eine demokratisierte, für alle verfügbare Himbeere wird nicht unendlich teurer werden können) – und wir verlieren immer mehr Möglichkeiten, die Umweltbedingungen über Pflanzenschutzmittel zu kontrollieren. Dieses Defizit wird die Züchtung nicht ausgleichen können, vor allem nicht bei Beerenarten. Da gibt es keinen anderen Ausweg, als in einem kontrollierbaren Umfeld zu produzieren – oder aber die Produktion dem Süden zu überlassen, wo sie aber bei ausgelaugten Böden und zu viel Sonnenschein ebenfalls im Glashaus (oder Plastikhaus) landen wird."
Jetzt sehen Sie sich vielleicht vorsichtig in Ihrem Garten um, um zu schauen, ob wohl die Notwendigkeit eines Hightechgewächhauses bald schon vor der Tür steht. Ich kann Sie beruhigen: Dies ist nicht der Fall. Der Garten bleibt eine Welt für sich. Die Ökonomie des Gartens hat zwar auch mit den Produkten des Gartens zu tun, aber dazu gehören neben Kilogramm auch Ruhe, Sicherheit, Geborgenheit, Schönheit und Genuss. Und noch ein entscheidender Unterschied: Wahrscheinlich gehört Gartenarbeit nicht wie in der entfremdeten Restwelt auf die Kostenseite, sondern auch auf die Ertragsseite. Eine entsprechende Gartenbuchhaltung müsste erst noch entwickelt werden…
Das lassen wir aber jetzt mal…
Dass sich Gärtnern in jeder erdenklichen Art und Weise lohnt, haben Sie ja gerade gelesen.
Mit gartenbuchhalterischen Grüssen
Markus Kobelt
Durchwuchskartoffeln, ein neues Problem