Wahrscheinlich bin ich schon wieder viel zu spät. Und die ganze Hitze und Trockenheit ist schon vorbei, wenn diese Zeilen erscheinen. Denn ausnahmsweise schreibe ich nicht in der Nacht vor dem Erscheinungsdatum, sondern fast zwei Wochen früher. Eine geplante Reise wird mich von der kurzfristigen Schreibarbeit abhalten – und mich hoffentlich auch in dieser Hinsicht langfristiges Denken lehren.
Aber genau überlegt ist es auch nicht so schlimm, mit dem Thema zu spät zu kommen. Als die Briten in Südengland vor einigen Jahren den Trockenheitsnotstand ausriefen und einen Housepipe-Ban verkündeten, da war die Trockenzeit … just vorbei. Und wenn Sie es bis jetzt ohne Wässern ausgehalten und wenn Ihre Pflanzen überlebt haben, dann dürfen Sie diesen Artikel gerne überlesen und zu Wichtigerem übergehen. Das Beste am Giessen ist, wenn man es nicht macht oder wenn man es nicht zu machen braucht. Und je weniger man es macht, desto weniger ist es auch notwendig. Das gilt leider Gottes auch im umgekehrten Falle: Je mehr man giesst, umso häufiger muss man giessen.
Warum? Ja weil sich vor allem mehrjährige Pflanzen ans regelmässige Giessen gewöhnen, bequem werden, keine tiefe Wurzeln ausbilden. Und weil umgekehrt ‘vernachlässigte’ Pflanzen oft unglaubliche Strategien der Überlebenskunst entwickeln.
Aber natürlich gibt es Pflanzen, Zeiten und Jahre, wo Giessen Sinn macht. Nur wird es meistens so praktiziert, dass es eigentlich sinnlos ist, nichts bewirkt, es sei dann das Gegenteil des gewünschten Effekts. Unser Betriebsleiter Robert ist der felsenfesten Überzeugung, dass selbst Gartenbauingenieuren in den meisten Fällen das richtige Giessen erst mal noch beigebracht werden muss. Und die ganz hohe Schule im Garten wäre dann: das Nicht-Giessen. Wobei es dazu in einem Jahr wie diesem doch ziemlich Nerven braucht.
Hier also die ultimativen 10 Regeln fürs richtige Giessen, wobei die ersten 3 Regeln die wichtigsten sind:
- Es ist nicht das eigentliche Ziel des Giessens, den Giessenden zu erfrischen und leicht nass zu machen. Wenn ich das aktuelle Giessverhalten meiner Mitbürger als Massstab nehme, scheint hier ein kleines aber systematisches Missverständnis vorzuliegen.
- Es ist das eigentliche Ziel des Giessens, das Wasser in die Wurzelzone der jeweiligen Pflanze zu bringen. Das kurze Giessen über Blatt und Blüten fördert nicht nur Entwicklung von Krankheiten, sondern täuscht der Pflanze eine nicht zutreffende Wetterrealität vor (auf die sie sich dann wiederum falsch einstellt).
- Wenn Sie ohne Giessen auskommen oder bis Anfang August nie ans Giessen gedacht haben (und wenn Ihr Garten immer noch akzeptabel aussieht), dann haben Sie grundsätzlich, ohne es zu wollen, alles richtig gemacht. Nicht-Giesen ohne allzu offensichtliche Trockenheitsschäden ist in jedem Falle viel besser als Giessen ohne sichtbare Effekte (was bei weitem der häufigste Fall beim Giessen ist).
- Richtiges Geissen braucht Geduld und dauert nach modernen Zeitmassstäben gerechnet richtig lange. Wer 10 Minuten giesst, liegt sicher falsch; wer 2 Stunden giesst, ist eher auf der richtigen Seite. Aber natürlich kann der Gärtner selber schon nach 10 Minuten genügend nass und erfrischt sein. Wenn dies das eigentliche Ziel ist, ist das natürlich auch ok.
- Der gut ausgebildete Giesser giesst unter dem Blattwerk, direkt auf die Erde, den Topfboden, mit einem möglichst weichen Strahl. Denn wie schon gesagt sind das Ziel nicht nasse Blätter, sondern feuchte Wurzeln. Braune Sturzbäche, die den Hang herunterfliessen, sind ebenfalls nicht zielführend.
- Am besten giesst man eine Gartenpartie, eine Topfgruppe in mehreren Durchgängen immer wieder, bis sichergestellt ist, dass das Wasser in die Wurzelzone vorgedrungen ist. Hier reicht es, mal nach dem dritten Durchgang mit dem Spaten ein 20-30cm tiefes Stück Boden auszuheben. Wenn das Wasser nur 2-5 cm vorgedrungen ist, dann zeigen Sie immer noch viel zu wenig Geduld beim Giessen.
- Für die Pflanzen (wenn auch nicht für das Gewohnheitstier Gärtner) ist es viel besser, wenn sie 2 x pro Woche als 1 x pro Tag gegossen werden. So bekommen sie Wasser, und müssen sich doch noch anstrengen.
- Die richtige Giesszeit ist heiss umstritten. Wir plädieren für die frühen Morgenstunden oder für den späten Abend. Würden wir selber nicht so gerne ausschlafen, gäbe es noch etwas bessere Argumente für den frühen Morgen …
- Junge, frisch gepflanzte Pflanzen sind früher und häufiger zu giessen, als 5jährige etablierte Gewächse. Eine Johannisbeere, die im Juni oder Juli ihre Ernte abgeliefert hat, und das schon seit Jahren, muss nach der Ernte ganz sicher nicht mehr gegossen werden.
- Gibt es eine Pflanze, die wir ganz sicher nie giessen würden? Ja: Die Rebe! Sie ist ja eigentlich ein Unkraut, wächst fast überall, hasst allerding Bodenverdichtungen. Und sie holt sich mit den Wurzeln, was auch immer zu holen ist. Nicht von ungefähr ist in vielen klassischen Weinbaugebieten die künstliche Bewässerung nicht gestattet: Sie würde ganz einfach die Trauben aufblasen und die Inhaltsstoffe verwässern. Wollen Sie das?