Zugegebenermaßen eine Sonntagspredigt
Vielleicht ist es nicht ganz unerheblich, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die Pflanze nicht etwa eine Zukunft hat, sondern unsere Zukunft ist. Weit über 95% der Biomasse auf diesem Planeten ist pflanzlicher Herkunft, ist Pflanze. Und wenn wir dann noch die Weglassprobe machen, wird?s nochmals deutlicher: Das Leben auf dieser Erde kann leicht auf den Menschen und auch ziemlich einfach auf Tiere verzichten, aber ohne Pflanzen geht das Licht aus.
So gesehen – eben nicht durch die alte anthropozentrische Brille – arbeiten wir in der wichtigsten Branche der Welt. Wir Gärtner werden wichtig, wenn wir uns Menschen mal für einen Moment nicht ganz so wichtig nehmen, und objektiv die wahren Verhältnisse betrachten ?
Was hat das mit der Zukunft der gärtnerisch produzierten Pflanze zu tun? Das schreckliche Wort vom In-Wert-setzen der Pflanze reicht nicht aus, ist angestrengte Rhetorik, die gut und gerne auch in einer Beamtenstube entstanden sein könnte. Welcher Wert bitte? Für wen und für was? Vor allem aber verkennt die Formulierung, dass Pflanzen gar nicht in Wert gesetzt werden müssen, weil sie schlicht und einfach das A und O des Lebens auf diesem Planeten darstellen. Wir sollten uns nicht unter Wert verkaufen!
Damit haben wir Gärtner und unsere Pflanzen die nicht ganz unwichtige Aufgabe, die Welt schöner und besser zu machen, ja sie eigentlich (mit) am Leben zu erhalten. Vergessen Sie bitte nie die 95+ der Biomasse! Das trägt, und das darf durchaus auch ein bisschen getragen daherkommen.
So und jetzt versuchen wir mal die Philosophie zum Konkreten hin abzuleiten:
- Pflanzen sind überall, sollten überall sein; und wir tun sehr gut daran, sie überall zuzulassen!
- Sie werden vor allem da verdrängt, wo der Mensch sich breitmacht.
- Also müssen wir – als berufene und berufliche Weltverbesserer – unsere Pflanzen überall da hinbringen, wo Menschen sind, wir könnten nicht davon ausgehen, dass die Menschen zu uns und zu den Pflanzen kommen.
Eben darum freue ich mich über jede Pflanze im Lebensmitteleinzel- handel, im Schnäppchenladen, im Möbelpalast, im online-Shop mit essbaren und winterharten Kakteen, mit Wildpflanzen, mit veganen Nahrungspflanzen, bei Amazon, vor der Tankstelle, beim Gartenfestival, wo auch immer. Wer meint, die Pflanze gehöre nur in die Hand des Spezialisten, der hat die Pflanze nicht begriffen.
Wird die Welt, auch unsere gärtnerische, dadurch schlechter, dass die Pflanzen nicht mehr nur dort anzutreffen sind, wo wir sie gerne schubladisiert sehen: Im Fachgartencenter, allenfalls noch in der Gartencenterkette? Nein! Sie wird – jedenfalls nach den Kriterien, die wir ganz am Anfang gesetzt haben – sogar besser! Wobei ich gar nichts gegen das Gartencenter habe! Ich liebe auch Buchhandlungen über alles! Und trotzdem halte ich es für eine Bereicherung, dass das geschriebene Wort nicht mehr nur in der Buchhandlung stattfindet, sondern auch auf Amazon, als E-Book, als Hörbuch, auch auf ganz neuen Plattformen, und selbstverständlich auch wieder in der Tankstelle.
Verarmt so das Pflanzenangebot, sehen wir nur noch den Einheitsbrei? Auf den ersten Blick ja, da an vielen der neuen Pflanzen-Touchpoints das Sortiment schmal sein muss. Aber es muss nicht flach und überraschungslos bleiben. Da ist halt eben unsere Kreativität gefragt, Sortimente zu entwickeln, die sich für die neuen Pflanzen-Touchpoints eignen, dazu noch konkrete Probleme lösen, Zusatznutzen stiften und spannende Geschichten erzählen. Und überhaupt: Wenn wir genauer hinschauen, ins Netz, aber auch in die Gartenkultur im Kleinen, auf Tauschbörsen und Festivals, dann wird die Breite und Tiefe zunehmen.
Ja, wir brauchen mehr Pflanzen, an mehr Orten. Und das wird auch zu mehr verschiedenen Pflanzen führen, wenn sie eine Geschichte zu erzählen haben, wie sie die Welt besser und schöner machen. Es ist die Aufgabe des Gärtners, diese sprechenden Pflanzen zu finden und ihre Geschichte in die Sprache der Menschen zu übersetzen.
PS: Natürlich habe ich das an einem Sonntag geschrieben. Aber ab und zu können Sonntagspredigten ganz gut tun. Auch wenn man sie sich selber hält.