Die universale und ultimative Medizin gegen nicht tragende Obstbäume hat der arabisch-maurische Agronom Ibn al Awam schon vor 900 Jahren in seinem Buch der Landwirtschaft beschrieben. Ich erlaube mir, die Geschichte frei nachzuerzählen, denn eine korrekte Übersetzung ist kaum möglich, wenn ich auf ein englisches Zitat zurückgehe, das eine französische Übersetzung (aus dem 19. Jahrhundert) des arabischen Originals aus dem 12. Jahrhundert wiedergibt ;-). Der grosse arabische Landwirt und Gelehrte wird mir die Ungenauigkeit nach 900 Jahren sicher verzeihen. Aber so wenig ich den genauen Wortlaut der Geschichte kenne, so bekannt kommt mir der Inhalt vor, den ich selber schon dutzende Male erlebt habe.
Inhaltsverzeichnis
Die Geschichte:
Ein Zitrusbaum, der längst schon hätte fruchten sollen, trägt immer noch keine Früchte. Alles agronomische Wissen, alle bekannten Kunstgriffe waren ohne Erfolg. Was ist jetzt zu tun?
Ibn al Awam schlägt folgende Vorgehensweise vor:
Zwei Männer tragen eine Axt zum fruchtlosen Baum hin. Dort, in Hörweite des unbotmässigen Baums, soll der eine zum anderen sagen: “So, jetzt schlage ich diesen Baum um!”
Der andere Mann ergreift die Partei des armen Baums und mimt den Unwissenden: “Das kannst du doch nicht machen, was hat der Baum verbrochen?”
Darauf der erste wieder: “Aber er trägt doch gar keine Früchte, hat nie Früchte getragen, ich habe die Geduld verloren.”
Der Anwalt des Baums macht noch einen – den letzten – Versuch zur Baumrettung: “Ok, aber im nächsten Jahr wird er ganz sicher Früchte tragen, und wenn er’s dann noch immer nicht tut, dann bist du frei, ihn zu fällen.”
Und so geschieht es, im folgenden Jahr wird der Baum aufs Schönste blühen und fruchten.
Nach Ibn al Awam nützt diese Droh-Kur in den allermeisten Fällen. Und der gelehrte maurische Landwirt hat Recht: Die Drohung und das Einräumen einer Gnadenfrist bringen fast immer den gewünschten Effekt, auch nach meiner Erfahrung.
Es gibt – mindestens – 4 Gründe, warum das so ist:
- Der Verdrängungseffekt: Das ist natürlich die modernste Erklärung. Sie erklärt das alte und ewige Wunder mit Psychologie. Natürlich – so wird da argumentiert – gibt es auch viele Fälle, in denen die Lösung mit der Axt nicht funktioniert. Eigentlich könnte es gut sein, dass sie fast nie funktioniert. Aber wir sind darauf konditioniert, negative Erlebnisse zu verdrängen, und positive zu erinnern und weiterzuerzählen. So wird der Zufall zum Wunder, und schliesslich zur fast naturwissenschaftlichen Wahrheit. Und wenn ich Ibn al Awam so klar und deutlich zustimme, bedeutet das nur, dass bei mir die gleichen Verdrängungsmechanismen greifen wie beim alten arabischen Autor?
- Die metaphorische Lesart: Wenn eine Geschichte nicht stimmen kann, oder wenn sie zumindest uns kleinen Menschengeistern nicht erklärbar scheint, dann greifen wir zur metaphorischen, übertragenen Bedeutung. Das ist wie in der Theologie: Damit wird dann vernünftig, was, im eigentlichen Wortlaut und in der ursprünglichen Bedeutung, eigentlich nicht sein kann. Natürlich versteht der Baum uns Menschen nicht und er kann auch die Drohung der Axt nicht sehen, aber im übertragenen Sinne ist es halt bei allen Pflanzen so, dass die Todesdrohung zur Fruchtbarkeit führt. Der Baum, der Strauch, der vor sich hinkümmert und bald das Zeitliche segnen wird, versucht nochmals Früchte zu tragen, sich fortzupflanzen.
- Die naturwissenschaftlich-historische Erklärung: Al Awam hat – für einen so alten Autor entschuldbar – nicht die ganze Geschichte aufgeschrieben. Da war ja eine Axt. Und natürlich wurde sie, zumindest mit einem ersten Hieb, auch eingesetzt, der Baum wurde geritzt. Und diese Wunde schwächte das Triebwachstum und zwang den Baum dazu, so schnell wie möglich Blütenknospen auszubilden und zu fruchten. Denn diese Drohung war wirklich, der nächste Axthieb, im nächsten Jahr, könnte dann auch der letzte gewesen sein.
- Die Wahrheit der menschlichen Erwartungshaltung: Wann werden wir dem unbotmässigen Fruchtbaum mit dem Tod drohen? Vernünftigerweise erst dann, wenn nach menschlichem Ermessen, die Zeit, in der er zum Fruchten kommen sollte, abgelaufen ist. Eigentlich: Mehr als abgelaufen ist. Unsere Geduld und unsere Ungeduld sind beide erfahrungsgesichert. Und wenn wir dann – aus Mitleid mit dem Baum oder erweicht vom Bitten des Gärtnerkollegen – dem Baum in so einer Situation noch ein Jahr mehr einräumen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er dann wirklich zu fruchten beginnt, schon sehr gross.
Ich bleibe dabei. So oder so, die Axt wirkt.
Die Überlieferung dürfte noch älter sein