Naomi Slade ist englische Gartenbuchautorin, Garten-Bloggerin und auf faszinierende Art besessen von Obstbäumen. Sie hat uns vor einiger Zeit um ein paar Lubera-Sorten gebeten und wir sind ihrem Wunsch gerne nachgekommen. Und als Dankeschön hat sie für uns folgenden Blog-Beitrag verfasst.
Die Begeisterung für Baumfrüchte ist eine gänzlich uneinheitliche. Hier gibt es Menschen, die sich lokalen Obstgärten verschrieben haben, dort Städter, die Zwergbäumchen auf kleinsten Raum quetschen. An jenen Orten werden alte, herrschaftliche, verfallende Obstgärten liebevoll rekultiviert, und wiederum an anderen Orten erfreuen sich junge Familien an einem ungepflegten Baum in einem neu erworbenen Garten.
Unter welchen Rahmenbedingungen auch immer: Es gibt eine Art von Erinnerungen und von Ereignissen, die mit Obstbäumen in Verbindung stehen. Im Sinne von Nostalgie vielleicht. Oder ein Baum, der an die Kindheit erinnert. Eine Frucht, deren besonderes Knacken oder deren Duft die Zeit in Sekundenschnelle zurück dreht, die einen hin zu einem Ort bringt, den es zwar schon lange nicht mehr gibt, der aber noch lange nicht in Vergessenheit geraten ist.
Aus einer Grossfamilie von Gärtnern stammend, fand ich mich bereits in Bäumen zum Vogel-Kirschen pflücken wieder, sobald ich gross genug war, um eine Leiter zu erklimmen. Als kleines Kind sah ich im Garten meiner Grossmutter einmal einen Apfel, der so gross wie mein Kopf war. Und als Kinder machten wir uns über die riesigen Kisten mit Victoria-Pflaumen her, die mein Grossvater mitbrachte, wenn er uns besuchte.
Das alles sind Erfahrungen, die meine (Lebens-)Entscheidungen beeinflusst haben und – in vielerlei Hinsicht – dazu geführt haben, dass ich heute bin, wo ich nunmal bin. Oft treffe ich Menschen, die im Grunde ebenso wie ich Obstbäume lieben, denen aber Raum, Knowhow, Selbstvertrauen oder ganz einfach Zeit fehlte. Andere wiederum, die voller Eifer begonnen haben, die es zwischenzeitlich als unproduktiv ansahen und sich wiederum später dann entschieden, mit einer fröhlichen Mischung aus Optimismus und Experimentierfreude weiter zu machen.
Ich glaube, dass der Weg zum Obstparadies ein sehr persönlicher ist. Die Reise des Erwachens von Interesse und Entdeckung ist eine, auf die sich jeder Gärtner, jede ökologisch gesinnte Seele und jeder Feinschmecker begeben kann, ganz unabhängig von der Größe eines Gartens und unabhängig davon, ob man in städtischer oder ländlicher Umgebung lebt.
Einen Baum beispielsweise in einer wilden Hecke zu bemerken und eine Tasche voller Früchte mit nach Hause zu nehmen, um daraus einen Nachtisch zu machen, das ist eine sehr unmittelbare Freude; viel unmittelbarer als einen Obstgarten anzulegen und hungrig beobachten zu müssen, wie alles wächst. Sobald dann aber ein Baum gross genug ist, um Obst zu produzieren, sind Gärtner wiederum unglaublich grosszügig.
Neulich wurde ich beim Fotografieren für mein neues Buch ertappt. Ich entdeckte einen Apfelbaum, der über eine Mauer hing und von dem orange und gold-farbene Früchte zu Boden fielen. Der Himmel war blau und die späte Nachmittags-Sonne weich und warm. Ich nahm meine Kamera aus der Tasche (im Moment trage ich sie die ganze Zeit bei mir, um Bilder wie diese machen zu können) und begann zu fotografieren. Nach wenigen Augenblicken hörte ich eine verwunderte Stimme: “Hallo, darf ich fragen, was Sie da tun?”
Der Herr, der eben noch mit seinem alten Auto auf der anderen Strassenseite beschäftigt war, war der Besitzer des Baumes – und er war verständlicherweise neugierig. Nach einer kurzen Antwort meinerseits begann er, von seinem wundervollen Baum zu schwärmen, von seinem grossen Ertrag und dem exquisiten Geschmack der Früchte, während meine Kinder und ich kauender Weise zuhörten. Der Baum sei vielleich kein echter Bio-Baum, aber in den letzten 35 Jahren hätte er ihn nicht gespritzt, vermutlich würden wir also einige Würmer finden. Er bot uns einen großen Sack seiner namenlosen Äpfel an, um sie mit nach Hause zu nehmen. So gingen wir beschenkt mit Obst und um eine schöne Erfahrung reicher – und mit der Bitte, doch zurück zu kommen, wenn wir weiteres Obst benötigen würden.
Momente wie diese sind Eckpfeiler für die Wertschätzung von Früchten ebenso wie für die von Mitmenschen. Seit fast 10 Jahren laufe ich an diesem Baum vorbei, den Besitzer aber hatte ich nie zuvor getroffen. Gegenüber von meinem neuen Freund, wird vermutlich in ein paar Wochen eine Kiste mit Äpfeln vor dem Haus eines anderen bisher unbekannten Nachbarn stehen. “Bitte bedienen Sie sich” wird dort zu lesen sein. Und sehr wahrscheinlich werden wir es tun.
Mit dem Obst ist es wie mit dem Leben, jedes ist eine Reise für sich selbst. Ob es episch ist oder nicht, ist eine Frage der Wahl, wobei ich das Gefühl habe, dass eine gewisse Art der Erleuchtung unvermeidlich ist.
Naomi Slades in Kürze erscheinendes Buch The Orchard Odyssey wird durch Green Books in Herbst 2016 publiziert, www.naomislade.com