Es ist ja doch auffällig, wie schnell Plastik und Klima aus der öffentlichen Diskussion verschwunden sind. Was nicht heisst, dass die Probleme nicht noch da wären. Insofern habe ich mich gefreut, dass die Plastikfrage von deinem Kunden auch in Zeiten von Corona mal wieder angesprochen wurde. Und zwar so vehement, dass die Fragen und Vorwürfe auch eine Antwort verdienen ;-). Plastik bleibt auch bei uns im Fokus, aber im grösseren Zusammenhang einer nachhaltigen Züchtungs- und Produktionsstrategie. Und vor allem: Nicht jede topflose Produktion oder Topf-Herumschick-Lösung ist wirklich sinnvoll. Eines aber ist auch klar: Gerade im produzierenden Gartenbau (bei uns!) zerstört die aktuelle Corona-Krise unglaubliche Werte, weil wir unsere Produktions- und Arbeitskosten nicht einfach runterfahren können, wenn keine oder weniger Pflanzen verkauft werden. Und das muss dann irgendwann einmal zuerst wieder verdient werden, bevor investiert werden kann. Und ein letzter Punkt, bevor wir uns mitten ins Thema begeben: Jeder online-Kunde, der jetzt bestellt, hilft uns, möglichst schnell wieder zur 'Normalität' zurückzukehren und auch Themen wie Plastik & Töpfe etc. weiterentwickeln zu können.
Sehr geehrter Herr Kobelt,
trotz Coronakrise habe ich als langjähriger treuer Kunde zunehmend Probleme mit Ihrem Versandhandel!!! Generell ist der Anfall von Plastik im Gartenbereich extrem. Angefangen von den in Plastik gepackten Erden, über Kunstofftöpfe nochmals in Plastik eingehüllt und anderes wird bei Ihnen überhaupt nicht auf Plastikvermeidung geachtet und man folgt dem normalen Konsum!!!!! Um mal einen Anfang zu finden könnte man bei Pflanzenlieferungen schon die Plastiktöpfe einsparen!! Allein die Wurzelballen, sofern kompakt, wären allein in der schon mitgelieferten Plastikhülle ausreichend geschützt! Inzwischen habe ich Kontakt zu Gärtnereien die die Plastiktöpfe wieder zurücknehmen. Es würde einer innovativen Firma Lubera gut anstehen Ideen zur Plastikmüllvermeidung zu entwickeln!!! Wie kann ich dicke Plastiverpackungen für Erden umgehen etc.!!!!
Natürlich wird alles nicht einfach sein, aber ein Anfang wäre ganz gut!
Viele Grüße
(Name der Red. bekannt)
Sehr geehrte(r)...
Besten Dank für Ihr Plastik-Brandmail, auch wenn es aktuell so ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Ich werde dieses wie letztes Wochenende durcharbeiten, um Finanz- und Notfallpläne für die bei uns betroffenen Firmen und Firmenteile auszuarbeiten. Als produzierende Baumschulen und Gärtnereien haben wir ein doppeltes Problem: Der Umsatz im Grosshandel (bei uns vor allem in der Schweiz) bricht zusammen oder stoppt ganz, aber wir haben immer noch fast gleich viel Arbeit, weil wir die Pflanzen pflegen müssen und auch weiter produzieren, um nach der Corona-Krise wieder lieferfähig zu sein. Der Onlinehandel ist unser Plus: Hier gehen die Verkaufszahlen steil nach oben: Hier geht es umgekehrt darum, die entsprechenden Kapazitäten zu schaffen – bei grösstmöglicher Sicherheit für die Mitarbeiter. Aber dennoch ist ihr Mail – und die Antwort darauf – eine schöne Abwechslung.
Als Unternehmer und Gärtner habe ich zwar gelernt, dass es gut ist, immer nur ein Problem (und eins nach dem anderen) zu lösen. Dennoch nehme ich mir etwas Samstagszeit und nehme zu Corona noch den Plastik dazu.
In Ihrem Mail führen Sie im Wesentlichen 3 Argumente auf:
- Der Anfall von Plastik im Gartenbereich ist extrem
- Töpfe einsparen, Töpfe zurücknehmen, das Problem ist der Topf
- Lubera macht nichts.
1. Der Anfall von Plastik im Gartenbereich ist extrem
Ist das wirklich so? Ich gehe mit Ihnen einig, dass viel Plastik gebraucht wird. aber ist es mehr als in anderen Branchen? Und sollte man das nicht etwas ganzheitlicher anschauen: Wir produzierend ein Produkt, das lebt, das Sauerstoff produziert, das in sich nachhaltig ist, und nicht nur einfach 'Waste'. Auch die Pflanze, die zum Abfall wird, ist immerhin noch Grünkompost, aber erst nachdem sie über eine kürzere oder längere Zeit Früchte, Blumen, Sauerstoff produziert hat. Schauen Sie sich die Plastikverwendung im Autobereich an, hier wird interessanterweise nur über Elektro geredet, nicht über Plastik. Oder den Lebensmittelhandel. Ich habe so ein bisschen den Verdacht, dass man Zivilisationsfolgen immer am liebsten dort kritisiert, wo man eigentlich die heile Welt verorten will. Das heisst Plastik ist überall im Leben ok und weiterhin weitgehen unhinterfragt, von der Toilette bis zum Auto und zum Haus – aber bitte in der Landwirtschaft und im Gartenbau nicht. Noch etwas: Ich halte es für keinen Fortschritt, wenn ein unsinniges und unnötiges Kosmetik- oder Livestyle-Produkt nicht mehr in Plastik verpackt wird. Es ist selber grundsätzlich fragwürdig. Und halten Sie die Pflanze dagegen: Ist sie auch grundsätzlich fragwürdig? – Wohl nicht.
Ich gebe gerne zu, dass meine Argumentation das Plastikproblem nicht löst, aber es stellt es in einen grösseren Zusammenhang und entlarvt einige Lebenslügen unserer modernen Gesellschaft.
Fazit: Nein, der Anfall von Plastik im Gartenbereich ist nicht extrem, er entspricht dem Plastikverbrauch und manchmal auch Plastikwahnsinn in allen Lebensbereichen. Nur sieht man den Wahnsinn beim anderen besser als bei sich selber. Vielleicht schauen Sie sich mal in Ihrer Arztpraxis um: Da ist ja jede hinterste Pille verblistert...
2. Töpfe sind des Teufels
Der überregionale Pflanzenhandel wie auch die ganzjährige Verfügbarkeit von Pflanzen beruht auf dem Topf. Ansonsten können viele Pflanzen nur im Herbst und Winter verkauft und gehandelt werden. Dass hier viel Plastik anfällt, gebe ich gerne zu. Aber was könnte die Lösung sein?
Sie erwähnen eine Gärtnerei, die die Töpfe zurücknimmt? Schön und gut: Aber was macht Ihr Gärtner damit? ER wird die Töpfe früher oder später ebenfalls entsorgen müssen oder dem Recycling zuführen… Die Abgabe der Töpfe beim Produzenten ist im Kern eine Kostenverlagerung. Sie macht die Pflanze noch billiger. Und Preis und Margen beeinflussen wesentlich die Innovationskraft einer Branche. Aber ich greife jetzt zu schnell zu weit aus.
Zurück zum Topf: Wir brauchen ca. 20-30% der Töpfe ein zweites, ganz selten auch ein drittes Mal. Letztlich sind das die Töpfe der Pflanzen, die wir nicht verkaufen oder die nicht verkäuflich sind. Damit haben wir die oberste Grenze erreicht, denn alte Töpfe führen zu viel mehr Unkrautbesatz (das heisst auch viel mehr Jäten) und sie verbreiten Pflanzenkrankheiten. Würden wir noch mehr Secondhand-Töpfe brauchen, müssten wir sie systematisch kochen, abdampfen und desinfizieren. Hier wäre dann der Energie- und Chemikalienverbrauch abzuschätzen. Ach ja, und der Plastik wird nach 2 Jahren spröde, bricht, was dann eben zu Mikroplastik führt. Das heisst, das Entsorgen zu einem eher früheren Zeitpunkt ist da wohl besser. Das Hin- und herschieben von Töpfen (Ihr Vorschlag) macht im Gross- und Distanzhandel nur wenig Sinn, es zerstört mehr Ressourcen als es gewinnt.
Wir haben diverse Topf-Ersatzmaterialien getestet und auch die Folgen ihres Einsatzes abgeschätzt: sie scheitern entweder an der zu kurzen Haltbarkeit, am schlechten Kulturverhalten und zusätzlich in den meisten Fällen zusätzlich an der Ökobilanz: Töpfe z.B. aus nachwachsenden Rohstoffen erfordern sehr viel Energie, Und nachwachsende Rohstoffe sind selber ein Problem, weil sie zu mehr und grösseren Monokulturen und immensen ökologischen Schäden führen (Mais).
Die einzige nachhaltige Ersatzlösung für den Topf ist... kein Topf. Hier testen wir Strumpfsysteme, bei denen die Pflanze weiter im Substrat wächst, das in eine Art Strumpf oder Wurst gefasst ist. Allerding braucht es für die Kultur spezielle Plastiktrays, die ca. 10 Jahre halten werden. Der grosse Vorteil dieser Systeme: Sie ergeben einen ganz kompakten Wurzelballen, der auch sehr gut zusammenhält; die Wurzelstruktur ist besser.
Wo liegt (noch) ein Problem: Kosten und Akzeptanz der Kunden. Wir haben das Konzept bei einem Grosskunden vorgestellt, den wir gerne mit im Boot hätten, um alle Töpfe unter 13cm in unseren Betrieben umzustellen (wir brauchen auch Volumen, um so etwas zu refinanzieren). Antwort: Zu wenig schön und zu wenig sauber... Dennoch bleiben wir bei den Strumpfsystemen dran. Sobald wir online so grosse Volumen bewegen, dass es sich lohnt, werden wir vor allem bei kleineren Töpfen umstellen
3. Lubera macht nichts
Das stimmt nicht. Aber wir fokussieren ganz sicher nicht auf Plastik, sondern allgemein auf Nachhaltigkeit. Bezüglich Töpfe laufen unsere Tests mit Strumpfsystemen. Unser grösstes Plus ist die Züchtungsabteilung. Hier investieren wir zum Verdruss unserer Buchhalter und Steuerberater jährlich über 500 000 sFr./Euro. Unser Ziel: bessere und resistentere Sorten zu züchten, die mit weniger Dünger und ohne Pflanzenschutzeinsatz angebaut werden können. Es gibt bei uns kein Züchtungsprogramm, das nicht auch solche Resistenzziele verfolgt. Aktuell bauen wir vor allem beim Gemüse stark aus: Phytophthora-resistente Tomaten und Kartoffeln. Und Perennial Vegetables, Ewiges Gemüse, das nicht in der Plastikschale gekauft und nur eine Saison kultiviert wird, sondern das über mindestens 5 Jahre kultiviert und geerntet werden kann. Nachhaltigkeit ist bei uns ganz konkret und praktisch.
Auch unsere Verpackungslösungen passen wir laufend an: Wir denken, dass das Stopfen mit Heu und Stroh gar nicht nachhaltig ist, weil da riesige Mengen möglichst bio-zertifizierter Füllstoffe durch ganz Deutschland gekarrt werden, nachher mit dem Paket mitgehen und irgendwo entsorgt werden. Im Gegensatz dazu arbeiten wir mit einem Inkarton, der die Pflanze stabilisiert, die ansonsten frei "in der Luft" hängen würde. Wir arbeiten daran, die Blister für Stauden mit einem reinen Kartonsystem zu ersetzen. Um den Karton nicht durchnässen zu lassen, brauchen wir noch eine ultradünne Plastikfolie, wie sie auch für Gemüsebeete angeboten wird. Diese können beim Kunden nochmals im eigenen Garten benutz – und dann entsorgt werden. Bioplastik haben wir auch im Test, war aber jetzt in dünner Ausführung zu wenig sicher. Ebenso haben wir da Bedenken wegen der Maisstärke. Wir halten Mais für ein invasives Unkraut.
4. Der Elefant im Raum
So das wär’s. Wenn da nicht auch noch Corona wäre. Diese Seuche wird uns einige Jahre zurückwerfen; an zusätzliche Investitionen werden wir denken können, wenn wir die Liquiditätsdarlehen zurückgezahlt haben, die wir noch gar nicht bekommen haben... Zu hoffen ist, dass Gärtnern wieder vermehrt die Kreuzfahrten ersetzt. Und dass die Käufer und Kunden eine stärkere Wertschätzung (und Zahlungsbereitschaft) entwickeln für das Leben, das wir herstellen: die Pflanze.
Herzliche Grüsse aus dem Glashaus, aus dem man nicht mit Steinen werfen sollte...
Markus Kobelt
Plastik