Winterharte Freilandorchideen aus gärtnerischer Vermehrung erobern immer mehr Gärten, und mit ihren atemberaubenden Blüten verzaubern sie auch den Schattenbalkon. Damit sie langfristig überleben, muss man aber schon einiges richtig machen.
Eigentlich hatte ich meinem Partner versprochen, dass nun keine weiteren Töpfe mehr auf den Balkon kommen. Zugegeben, er hat ja recht, es ist schon ziemlich voll jetzt, und wir sollten auch noch irgendwo sitzen können und so, das verstehe ich schon. Nun sind mir aber drei wunderschöne grosse Freilandorchideen mit vielen Trieben geschickt worden, in voller Blüte. Ich schälte sie sorgfältig aus der Verpackung und kniete dann eine ganze Weile ergriffen vor ihren Frauenschuhblüten. So etwas urtümlich Schönes habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Da war erst einmal Cypripedium pubescens, mit grossen gelben Blüten, an deren Seiten neckische Löckchen herunterhängen.
Auch Cypripedium calceoleus trägt Löckchen an ihren Blüten, sie sind kleiner, dafür trägt diese Staude über ein Dutzend Blüten. Und dann war da noch die altrosarot blühende Cypripedium ventricosum, die Schönste von allen, jede einzelne Blüte eine Persönlichkeit, ein Wesen mit einer Seele, da bin ich mir sicher. Es ist die Art von Blumen, mit denen man einfach reden muss, und einen Moment lang überlegte ich mir, ob die aus dem Jenseits kommen, vielleicht sind es Feen, die sich uns in dieser Form zeigen? Jedenfalls kniete ich mit grösstem Respekt davor und bewunderte sie.
Als nächstes kamen mir die drei breiten, nicht zu tiefen Kübel aus alten Lastwagenreifen in den Sinn, die ich neulich ohne weitere Absichten gekauft hatte, einfach weil sie mir gefallen haben. Darin würden die Frauenschuhblühten wunderbar zur Geltung kommen!
Aber erst einmal galt es, das richtige Substrat zu finden. Ich holte ein paar Fachbücher über Orchideen hervor, aber je mehr ich las, desto verwirrender wurde es, die Autoren beschrieben ausführlich ihre diversen Verluste und Missgeschicke und hielten fest, was alles nicht funktioniert habe. Du meine Güte, war ausserirdische Schönheit nur zu haben um den Preis des schier Unmöglichen?
Ich rief dann den Absender an und fragte schlicht, in welches Substrat ich die Kostbarkeiten pflanzen sollte. "Kübelpflanzenerde," lautete die simple Antwort, "du kannst noch etwas Sand druntermischen, aber gut durchlässige Kübelpflanzenerde reicht eigentlich."
Cypripedien dürfen niemals Staunässe haben, jedoch sollte die Erde stets feucht sein. Im Topf lässt sich das recht einfach steuern, aber im Garten muss man schon etwas mehr Mühe auf sich nehmen. Falls der Boden sehr sandig ist, wird Lehm untergegraben, damit das Wasser besser gehalten wird. Falls der Boden aber lehmig ist, muss Kies und Sand und organisches Material beigemischt werden, um eine gute Durchlässigkeit zu erreichen. Das wichtigste aber ist der Standort. Freilandorchideen vertragen Hitze schlecht, und sie sollten möglichst nicht an der direkten Sonne stehen. Ideal ist eine kühle, aber doch helle Ecke. Je kühler es ist, desto länger blühen sie, und wenn auch das Wetter mitspielt, können ihre Blüten mitunter bis zu sechs Wochen halten. Sobald es aber zu heiss wird, ist die Pracht schnell verwelkt. Gut, dann bin ich wieder einmal froh, dass wir einen schattigen Balkon haben.
"Der Standort kann gar nicht schattig genug sein," sagt Patrik Schlüssel von Green Pflanzenhandel, der die Orchideen in der Schweiz vertreibt. Und dann erklärt er mir, warum das inzwischen recht gut klappt mit den als so heikel geltenden Frauenschuh-Orchideen im Topf: Die Pflanzen, die nun im gut sortierten Fachhandel angeboten werden, stammen ausschliesslich aus gärtnerischem Kulturmaterial und können auch ohne die komplizierte Symbiose mit Pilzen langfristig gesund bleiben. Tatsächlich werden diese Orchideen in Deutschland vom Züchterehepaar Christian und Sabine Schreiner von HardyOrchid im Labor unter sterilen Bedingungen vermehrt, und alles, was sie nebst dem richtigen Substrat und dem richtigen Standort brauchen, ist regelmässige Nahrung. In der Fachliteratur heisst es oft, man dürfe Freilandorchideen nicht düngen. Die neuen Orchideen aber werden sehr wohl und vor allem regelmässig gedüngt. "Einfach immer nur die Hälfte der angegebenen Menge Flüssigdünger beimischen!" rät Patrik Schlüssel. Wenn sie zu wenig Nahrung haben, werden die Blätter mit der Zeit hellgrün. Die Pflanzen gehen darob nicht ein, aber sie blühen dann im folgenden Jahr kaum.
So, jetzt weiss ich also Bescheid, und mache mich an die Arbeit. Ich hoffe nur, mein Partner hat dann etwas Verständnis für diese drei so ausserordentlichen Neuzuzüger. Die drei Cypripedien sollen nämlich einen Ehrenplatz bekommen neben meinem blauen Scheinmohn (Meconopsis grandis), der ähnliche Anforderungen stellt. Und ich will jetzt nichts verschreien, aber rein orchideen- und meconopsistechnisch gesehen würde ich mir fast einen weiteren feucht-kühlen Sommer wünschen wollen. Oder sagen wir es so, falls das Wetter auch diesen Sommer nicht sehr sommerlich zu werden gedenkt, dann habe ich zumindest einen triftigen Grund, um mich darüber zu freuen. Sollte es jedoch heiss werden, dann werde ich die Orchideen in die allerschattigste Ecke stellen und sie regelmässig mit Wasser besprühen, um die Luft etwas abzukühlen. Dann könnte es auch klappen. Oh wie sehr ich mir wünsche, dass sie nächstes Jahr wieder blühen mögen!