Sie und ich - wir hatten riesiges Glück, dass Ute und Martin Studer, die beiden Autoren des Buches, um das es heute gehen soll, vor vielen Jahren zufällig in ein kleines Restaurant in der französischen Provence einkehrten und dort Tomatenscheiben kredenzt bekamen, die sie bisher in dieser fantastisch aromatischen Art und Köstlichkeit nie zuvor verspeist hatten. Daraus ist nicht nur eine innige Liebesbeziehung der beiden Feinschmecker zu den Paradeisern entstanden, die bis heute anhält, sondern auch eins der besten derzeitig erhältlichen Ratgeberbücher über die beliebten, runden und ovalen Früchtchen mit dem verheissungsvollen Titel "Tomatenlust - Die Geheimnisse der Tomatenpioniere - Tipps für den Anbau richtig guter Tomaten". Bei dem 2019 im schweizerischen Haupt Verlag erschienenen Buch handelt es sich nicht schlechthin um einen solchen Ratgeber, der uns schnell mal eine kleine Auswahl der unterschiedlichsten Tomatensorten dieser Welt oberflächlich vorstellt und die vielen, ohnehin längst bekannten Kochrezepte zum tausendsten Mal auflistet. Nein - es geht tatsächlich um bisher gut bewahrte Geheimnisse bei der Tomatenaufzucht im Garten, über die so spannend berichtet wird, dass Sie dieses Buch vom Anfang bis zum Ende begeistert lesen und den Inhalt nutzen werden. Und es steigert von Seite zu Seite die Ansteckungsgefahr einer Tomatenlust immer mehr, sodass aus anfänglicher Leidenschaft und folgender Inspiration zum Nachmachen des gerade Gelesenen, durchaus Tomatensucht entstehen kann.
Wenn Tomatenpioniere ihre Geheimnisse lüften
Nachdem es auf den ersten knapp 40 Seiten um eine kurzweilige Einführung in die Grundsätze der Tomatenkunde geht, kommen im zweiten und umfangreichsten Teil mit insgesamt zwölf mehrseitigen Kapiteln fast 20 Tomatenköniginnen und Paradeiserpäpste zu Wort, die aus dem Nähkästchen der Tomatologie plaudern und tatsächlich so manches ihrer Geheimnisse preisgeben. Und da verspricht der Buchtitel wirklich nicht zu viel, denn jetzt berichten vom Tomatenvirus befallene Gärtner und Züchter aus vielen Ländern ausführlich über ihre jahrelangen Erfahrungen mit den verschiedensten Tomatensorten, gehen auf die unterschiedlichsten Anbaumethoden ein und geben Sortenempfehlungen, die dem Leser helfen werden, selbst in die oberste Liga der Tomatenflüsterer aufzusteigen. Als aufmerksamer Leser dieses Buches stossen Sie dabei auf Kultivierungsmethoden, die grundsätzlich anders sind, als uns viele der traditionellen Gartenbücher immer wieder mit erhobenem Zeigefinger zu empfehlen versuchen.
Wenn wir uns nur mal die kühne These des erfolgreichen österreichischen Biolandwirts Erich Stekovics verinnerlichen, der da meint, dass man seine Paradiesäpfel so wachsen lassen möge, wie Gott sie schuf und Giessen das mit Abstand Schlimmste ist, was man seinen Tomaten überhaupt antun könne. Und er hat Erfolg damit, gibt uns seine eigenen Sortenempfehlungen aus der Region um den Neusiedler See mit auf den Weg, wie auch viele kluge und bewährte Tipps aus seinem Schatzkästlein der Vielfaltslandwirtschaft.
Oder nehmen wir die Saatgutrebellen Irina und Ulrich Zacharias vom Blattenhof im bayerischen Maxhütte-Haidhof. Ich hatte vor drei oder vier Jahren das Vergnügen, mit den beiden zu telefonieren, da ich gerade an einem Artikel über alte Tomatensorten gearbeitet hatte. Irina war bereits damals eine Verfechterin für vielfarbige Nachtschattengewächse, besass und verkaufte Hunderte Samenarten exotischer Tomaten, davon viele aus ihrer ehemaligen russischen Heimat, weil sie die damaligen Sorten des Vaters erhaltenswert fand. Auf ihrer Homepage war zu dieser Zeit ein interessanter Hinweis zu lesen, den ich mir als Screenshot archiviert habe.
Bild: Damals durfte man aufgrund der EU-Gesetzgebung zum Europäischen Sortenkatalog alte Tomatensorten nur für den Eigenbedarf anbauen und an andere Interessenten lediglich als Zierpflanzen deklariert anbieten. Eine kommerzielle Nutzung und Verbreitung war somit untersagt, aber: Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel...!
Ich habe mich gefreut, sie im Buch, quasi als Tomatenzarin wiederzutreffen und über viele ihrer unschätzbar nützlichen Erfahrungen auf 16 interessanten Seiten zu lesen.
Ein Ratgeber für alle, aber kein botanisches Fachbuch
Zu den vielen Geheimnissen, die ich diesem 240 Seiten starken Buch entnehmen konnte, werde ich selbstverständlich hier nicht in die Tiefe gehen, da sie darüber sicherlich lieber in Ruhe und in ihrem eigenen Exemplar lesen möchten. Die meisten dieser Tipps lassen sich - so viel kann ich Ihnen aber nachdem ich die „Tomatenlust“ vollständig gelesen habe aber versprechen - sofort und direkt auf Ihrem Tomatenbeet anwenden und werden bei Ihnen für noch mehr Freude beim Gärtnern sorgen. Beim Berner Haupt Verlag finden Sie zur mentalen Einstimmung schon mal eine 38-seitige Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis Register und einem Ausschnitt aus dem Porträt von Trudi Borsos, der kroatischen Tomatenkönigin, die auch gleich einige Sortenempfehlungen parat hat und verrät, was es mit der ECHTEN Wundererde für Paradeiser tatsächlich auf sich hat.
Eigentlich ist es ein Lesebuch, durchaus vergleichbar mit einer Reisebeschreibung rund um die Welt, das man - genügend Zeit vorausgesetzt - hintereinander schmökern kann. Selbst diejenigen, die sich mit dem Tomatenanbau bisher überhaupt nicht befasst haben, sei es, weil die Sträucher erfahrungsgemäss auf dem eigenen Ackerboden ohnehin nur vor sich hermickern oder der Anbau auf dem kleinen Mini-Balkon ja sowieso nichts wird, könnten beim Lesen dennoch von einem lebenslangen Tomatenvirus befallen werden. Dem oft diskutierten Thema über den Tomatenanbau "In Kisten und Töpfen auf Balkonen und Fensterbrett" widmet sich dieser aussergewöhnlich verständlich geschriebene Ratgeber auf seine letzten gut 30 Seiten übrigens ebenso, wie der Krankheitserkennung und Bekämpfung von allerlei tomatenbedrohenden Schädlingen und Sie dürfen neugierig sein, warum die Autorin ihre Tomatenpflanzen ein wenig schief und mit etwas verrotteten Brennnesseln in die Erde setzt.
Mein Fazit: Dass dieses Buch zu den derzeit besten literarischen Werken auf seinem Gebiet gehört, zeigte sich bei der diesjährigen Verleihung des Gartenbuchpreises auf Schloss Dennenlohe, bei der "Tomatenlust" aus dem Haupt Verlag in der Rubrik "Garten oder Pflanzenporträt" den 2. Platz belegte. Einen mit 3.000 € dotierten Sonderpreis für "Aussergewöhnliche Bücher und Autoren" durfte die sympathische Autorin ebenfalls mit nach Hause nehmen. Bei mir steht dieses hochwertig bebilderte Buch (328 Fotos!) ganz vorn und gut sichtbar im Bücherregal - bereit, um darin zu blättern, wenn es spätestens im nächsten Gartenjahr für die Bestellung von Tomatensamen direkt bei den Geheimnisträgern der Tomatenflüsterer gebraucht wird. Und da es mir bei Büchern nicht nur auf den Inhalt, sondern gleichzeitig auf ihre äusserliche Wertigkeit ankommt: Der Haupt Verlag hat den Buchhändlern und Lesern hier wirklich ein Meisterstück der Drucktechnik in die Regale gestellt - Halbleinen, hochwertiges Papier, tolles Gesamtlayout, leserfreundliches und repräsentatives Grossformat und selbst das kleine Lesebändchen ist nicht dem Sparzwang zum Opfer gefallen. Versandkostenfrei bestellen können Sie direkt beim Verlag, aber Ihr analoger Buchhändler vor Ort (JA, den gibt es wirklich noch in Ihrer Nähe!), wird sich über Ihre neue Tomatenlust sicherlich ebenso freuen.