Mit den Balkongeranien ist es ein bisschen wie mit der Mode, eine Saison lang findet man Röhrlijeans gut, und das Jahr drauf trägt man Schlaghosen. Eine Zeitlang haben ausserhalb der Altersheime alle die Nase gerümpft über Geranien, und ich wurde jeweils etwas komisch angeschaut, weil ich rote Pelargonien auch dann liebe, wenn sie nicht in Mode sind. Aber nun sind sie wieder schwer angesagt, die guten alten Balkongeranien. Und zwar mit Betonung auf Gute, und Alte. Die Sorten, die vor 50 Jahren am Berner Geranium-Märit verkauft wurden, Grossmutters Geraniensorten also, hier kommen sie wieder. Seinerzeit waren sie ja ein Zeichen von Bürgerlichkeit gewesen, und später als Wohlstands-Stirzel verspottet worden. Wie alle exotischen Pflanzen waren die Pelargonien bei den Adligen extrem begehrt gewesen. Einzelne Stecklinge wanderten aus den üppig bestückten Orangerien auf die Balkone des Bürgertums. Wer etwas auf sich hielt, der zog Geranien. Je seltener die Sorte, desto höher das Renommee. Hätte ich im 19. Jahrhunderte gelebt, ich hätte mir eine goldene Nase verdient, da ich inzwischen einiges Geschick habe im Bewurzeln von Stecklingen. Aus dem 280 Wildsorten, die vorwiegend aus Südafrika stammen, wurden in den letzten Jahrhunderten über 10’000 Sorten gezüchtet, eine schier unglaubliche Vielfalt. Im zwanzigsten Jahrhundert setzten sich dann leuchtende, wetterfeste und lange blühende Pelargonien wie die rote "Stadt Bern" durch, und die schönsten Balkone wurden jeden Sommer prämiert. Bei meiner Grossmutter hingen noch die Teller von "Bern in Blumen" in der Küche.
In den letzten Jahren sind viele kleine Züchterbetriebe aufgekauft worden, und die Sortenvielfalt schrumpft dramatisch zugunsten früher blühender, marktgerechter Sorten. Eine Geranie, die zum Muttertag noch nicht blüht, lässt sich eben schlecht verkaufen. "Die alten Sorten blühen zwei, drei Wochen später. Dafür halten sie dann durch bis im November. Und sie lassen sich auch leichter überwintern und selber vermehren," weiss Daniel Hansen von der Stadtgärterei Bern. Ausserdem seien die bewährten alten Sorten punkto Wetterfestigkeit unübertroffen.
Am Interessantesten finde ich nach wie vor die Duftgeranien, wobei ich ja jeweils ein bisschen die Nase rümpfe, wenn ich irgendwo eine Sammlung sehe, und ein tristes "hatteichauchmal" von mir gebe. Nur nützen einem eben auch die seltensten Duftpelargonien in der Vergangenheitsform nicht viel, und so freue ich mich dann jeweils doch ein bisschen, die samtenen Blätter einer P. tomentosum mit ihrem intensiven Minzeduft nicht nur in der Erinnerung zu streicheln. Die Pfefferminzgeranie eignet sich übrigens, wie viele andere Pelargoniensorten auch, hervorragend für die Küche! Und alle Geranienblüten kann man selbstverständlich auch essen.
Nun kann man Geranien für wenige Franken kaufen, und sie sind längst kein Attribut von Bürgerlichzeit oder Wohlstand mehr. Die Sehnsucht nach den guten Alten Geranien ist wohl vielmehr ein weiteres Zeichen für die allgemeine Verunsicherung. Immerhin wird dadurch das Bewusstsein für die Erhaltung der biologischen Vielfalt geweckt. Historische Pflanzensammlungen zugunsten der Gewinnmaximierung aufzugeben ist nämlich kurzsichtig. Sollten die neuen marktgerechten Sorten mit der Zeit zu sehr kränkeln, müssten die Züchter die alten Sorten wieder einkreuzen - so sie dann eben noch vorhanden sind.
P.S.
Warum Pelargonien heute noch fälschlicherweise meistens als Geranien bezeichnet werden, wollte noch jemand wissen? Ganz einfach, weil sie entdeckt wurden, bevor Carl Linné die Pflanzennamen geordnet hat. Als sich der berühmte Botaniker an die Arbeit machte, bezeichnete er fälschlicherweise sowohl die Pelargonien wie die Storchenschnäbel erst einmal als Geranien.