Lorraine Gardner und Jim Gilbert habe ich in ihrer Northwoods Baumschule, etwas südlich von Portland, im fruchtbaren Willamette Valley, 2010 zum ersten Mal und seitdem fast jährlich besucht...
Ein "gesegneter" Ort. Zunächst einmal das Willamette Valley, flach, mit genügend Wasser und fruchtbaren Böden, dennoch der Mount Hood immer in Sichtweite. Das Klima leicht milder als bei uns in der Schweiz oder in Süddeutschland, nasse Winter, trockene Sommer. Dieses Willamette Valley hatten die Siedler im 19. Jahrhundert vor Augen, das "gelobte Land", als sie in ihren Planwagen unter mühseligen Strapazen gegen Westen zogen. Ein Land, wo Milch und Honig fliessen und wo die Früchte von den Bäumen direkt in den Mund fallen!
Beim ersten Besuch – wir kannten uns noch nicht und ich war auch nicht angemeldet - fand bei der Northwoods Baumschule gleich ein Tag der offenen Türe inklusive einer Fruchtausstellung statt... direkt von Baum in den Mund, das Schlaraffenland Oregons fand also wirklich statt! Und wurde dann noch viel konkreter, als wir 2010 und in den Jahren seither Northwoods Versuchsfelder, Plastiktunnels und Züchtungsanlagen besuchten und auch essend und geniessend erfahren konnten. Viele der nicht von Lubera gezüchteten Neueinführungen der letzten Jahre in unserem Sortiment stammen denn auch von hier, haben ihren Ursprung bei Northwoods Nursery, bei Jim und Lorraine. Und früher noch irgendwo in der Welt, in Südkorea, Japan oder Sibirien.
Bild: Fruithunter Jim Gilbert in Kyrgyzstan
Gleich beim ersten Besuch schon fielen mir die Gemeinsamkeiten auf: Jim, der die Baumschule gründete, ist konzentriert, ja eigentlich regelrecht fixiert auf fruchttragende Pflanzen, auf Edibles, wie die Pflanzenkategorie etwas allgemeiner und zutreffender im Englischen genannt wird. Aber dann haben es ihm speziell die BESONDEREN Früchte, die Anderen, Vergessenen, manchmal auch Abseitigen und Unangepassten angetan. Und auffällig oft sind das ja auch die besonders gesunden Früchtchen. Jim und Lorraine reisen unglaublich viel, letztes Jahr waren sie in Russland, in Südkorea, zweimal in Europa und dann noch auf dem eigenen Kontinent unterwegs.
Auch zuhause kommen sie dem Besucher manchmal vor wie Reisende: Das geht bis zur Kleidung, die auffällig an die Tropenuniform der Pflanzenjäger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Es geht ihnen aber nicht ums Reisen, es geht ums Probieren, Erfahren, Lernen und Finden. Vielleicht auch nicht mal so ums Finden. Mehr ums Suchen! Und ist eine Reise zu Ende, wird gleich die nächste geplant, wenn nicht gerade Freunde, in der Regel Fruchtfreunde aus Asien oder Russland, zu Besuch sind. Jim und Lorraine sind Fruchtjäger, FruitHunters. Und eben auch Frucht-Freunde.
Bild: FruitHunter Lorraine Gardner bei ihrer Arbeit
Natürlich gibt es da eine Seelenverwandtschaft zwischen mir und Jim und Lorraine. Aber es gibt auch Unterschiede. Ich habe in den letzten 25 Jahren versucht, zunächst einmal die grossen Obstarten, Apfel, Birne, Himbeere, Erdbeere für den Garten neu zu entdecken, sie so zu züchten, dass sie für den aktuellen Garten geeignet sind. Genau DAS unterscheidet uns denn auch von allen anderen Fruchtpflanzenanbietern in Europa: Die eigenen Züchtungen und die Konzentration auf den Hausgarten.
Lorraine und Jim dagegen fokussieren aufs ganz Neue, Unentdeckte oder Vernachlässigte und versuchen dann die richtigen Sorten zu finden. Ihr erstes Ziel ist nicht Züchten und Kreieren, sondern suchen, besser noch: versuchen. So bringen sie vielfach auch Sorten von anderen Züchtern aus Japan, Korea oder Russland nach Hause, testen sie und vermehren sie dann weiter. Und wenn sie einmal auch Sämlinge auspflanzen und dann irgendwann die besten Sorten für den Garten selektionieren, so vergessen sie manchmal sogar zu erwähnen, dass sie die Sorten gezüchtet haben.
Bild: Fruithunters Jim Gilbert und Lorraine Gardner
Nein, "nur ausgelesen", meint dann Jim. Es war, es ist alles halt eigentlich schon da, man muss es nur sehen. Die Unterschiede auf eine Formulierung eingekürzt: Mich interessiert die Kreation, die Schaffung einer neuen Sorte, Jim und Lorraine das Suchen, Finden und Testen von neuen und besonderen Obstarten. Eine fast perfekte Ergänzung. Denn neben den Unterschieden verbindet uns doch ein wesentliches Element: Die Liebe zu den Pflanzen, und im Speziellen die Liebe zu den fruchttragenden Pflanzen. Wenn wir mal von Zierpflanzen reden, entfährt es Jim manchmal fast abschätzig: "Was soll ich mich um etwas kümmern, was nicht einmal essbare Früchte trägt. Dafür ist das Leben zu kurz."
Noch etwas: Auch schon beim ersten Besuch entdeckte ich hinter einer Scheune einige grosse Plakate mit Jim und mit dem grossen blauen Elefanten, der in den USA das Zeichen der Demokratischen Partei ist. Ja, Jim kandidierte zweimal für den Senat in Oregon, seinem Bundesstaat. Zum guten Glück für die Baumschule, Lorraine und uns wurde er nicht gewählt. Aber das Engagement ist typisch für ihn: Ja, da ist die Leidenschaft für die Früchte, aber sie steht in einem grösseren Zusammenhang der Menschenliebe und der Vorsorge und Obacht für diesen Planeten.
Bild: Fruithunter Jim Gilbert in China
Der Onlineshop, den Northwoods während 10 Jahren betrieb (und vor 2 Jahren verkaufte) heisst denn auch: One Green World. Pflanzen, Früchte, der Planet und die Menschen: Das gehört zusammen! Und vielleicht wäre es auch zutreffend, diese Zusammenschau, die bei Jim immer präsent ist und mitschwingt, als etwas naiv zu bezeichnen. Hoffnung IST vielleicht auch naiv. Es ist im Kern die gleiche Freude und Zuversicht, wie wenn man einer wachsenden Pflanze zusieht, oder wenn man eine neue, noch nie gegessene Frucht geniessen kann. Man freut sich, konzentriert sich darauf und blendet, für einen Moment, alles Komplizierte, alles Wenn und Aber aus. In Molalla, Oregon. Mitten im Willamette Valley. Ich sage Danke für diese Erfahrung. Und freue mich auf unsere neuen Früchte.