Die Bewegung gegen invasive Neophyten, sprich gegen erfolgreiche fremde Pflanzen oder auch gebietsfremde Organismen, ist im Wesentlichen vom naiven Nativismus geprägt: Das Eigene ist besser als das Fremde. Dafür gibt es ein weiteres Fremdwort, das viel bekannter ist: Xenophobie. Aber ein menschlich, allzu menschlicher Denkfehler kommt selten alleine, das vorgeschlagene Gesetz zu Pflanzenverboten beruht auf mindestens 6 weiteren, untereinander vielfach verbundenen Grundlagenirrtümern.
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagenirrtum Nr. 1: Fremde Pflanzen sind schlechter als einheimische.
- Grundlagenirrtum Nr. 2: Erfolgreiche fremde Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten bedrängen und verdrängen einheimische Pflanzen.
- Grundlagenirrtum Nr. 3: Einwandernde erfolgreiche Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten sind dafür verantwortlich, dass einheimische Pflanzen aussterben.
- Grundlagenirrtum Nr. 4: Erfolgreiche fremde Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten führen zu einer Verarmung der Flora, zu einer abnehmenden Vielfalt.
- Grundlagenirrtum Nr. 5: Die Klimaerwärmung führt dazu, dass es mehr einwandernde Pflanzen aus dem Süden gibt; man muss die erfolgreichsten fremden Pflanzen fernhalten, um die Diversität zu erhalten.
- Grundlagenirrtum Nr. 6: Die Natur ist ein festes System, eine Art Museum, das man nur bewahren muss, dann funktioniert es schon.
- Grundlagenirrtum Nr. 7: Die Natur ist eine Entität ausserhalb des Menschen. ER besucht sie und geniesst sie. Allenfalls muss man ihm den Zutritt verwehren, um sie zu schützen.
Jetzt werden Sie zu Recht fragen: Kann das sein, wie können so viele so intelligente und auch so integre Menschen irren? Ich weiss es auch nicht. Oder halt, ich kann mir zumindest 2 Gründe für die gehäuften Irrtümer vorstellen: Der erste Grund ist – nochmals – letztlich die psychosozial seit ewigen Zeiten eingeübte und ziemlich verheerende Verhaltensweise des Menschen, die das Eigene und Bekannte höher schätzt als das Fremde. Und dann gibt es mächtige systemimmanente Gründe: Pflanzenbekämpfung und Pflanzenverbote sind Teil einer Umweltindustrie, die sich natürlich erhalten und ausbreiten will, wie alle Bürokratien…
Schliesslich möchte ich den Grundlagenirrtümern noch eine Bemerkung vorausschicken: Natürlich ist Jäten weiterhin erlaubt. Wenn wir gegen die Pflanzenverbote sind, sind wir nicht gleichzeitig gegen jede Bekämpfung von Pflanzen in diesem oder jenem Falle. Jäten wird aus der je individuellen oder gesellschaftlichen Teilinteressenslage heraus begründet – und ist natürlich weiterhin möglich. Dafür braucht es aber keine Pflanzenverbote. Wer in irgendeinem Zusammenhang mit mehr oder weniger guten Begründungen und gesellschaftlich-sozial abgestützt invasive Neophyten bekämpft, der kann das weiterhin tun. Er rettet aber beileibe nicht die Welt, und die Natur schon gar nicht. Er macht nur das, was Gärtner und Bauern seit Jahrtausenden machen: Jäten!
Aber nun zu den sieben Grundlagenirrtümern.
Grundlagenirrtum Nr. 1: Fremde Pflanzen sind schlechter als einheimische.
Warum soll das so sein? Was gibt es für sachliche Gründe für diese Unterstellung, die sowohl dem Pflanzenverbotsgesetz als auch dem Gerede über einheimische Pflanzen zugrunde liegt? Der grundsätzliche Vorteil für das Einheimische könnte nur zutreffen, wenn die Natur ein stabiles, unbewegliches System im perfekten Gleichgewicht wäre; das ist sie aber eben nicht, und dank dem Menschen schon gar nicht mehr. Der Mensch bringt mehr Veränderung und mehr Dynamik und mehr Geschwindigkeit in die "natürlichen" Systeme, als es in Millionen von Jahren der Fall war. – In Tat und Wahrheit reproduziert und weckt dieser Grundlagenirrtum Nr. 1 (einheimische Pflanzen sind besser als Fremde) das schon einleitend erwähnte psychosoziale Vorurteil des Menschen, das tief verwurzelt ist: Xenophobie, Angst vor dem Fremden. Es ist eminent wichtig, dass wir uns dieses Vorurteils bewusst sind; nur so können wir es kulturell unter Kontrolle halten. Sabine Reber zeigt in ihrem Artikel zu den braunen Wurzeln der Verunglimpfung fremder Pflanzen, wohin die Xenophobie in der Biologie führen kann. Wir wissen nur zu gut, wohin sie im sozialen und politischen Leben historisch schon geführt hat.
Grundlagenirrtum Nr. 2: Erfolgreiche fremde Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten bedrängen und verdrängen einheimische Pflanzen.
Dieser Grundlagenirrtum ist natürlich eng mit dem ersten verwandt. Wer muss da nicht an "Volk ohne Raum" denken, wenn er solche Sätze hört? Biologisch ist der Satz ("fremde Pflanzen verdrängen einheimische Pflanzen") schlichtweg unzutreffend. In fast allen Fällen und letztlich naturbedingt gehen eindringende fremde Pflanzen den Weg des geringsten Widerstands: Sie besetzen Nischen, die meist leer oder halbleer sind und in der Regel vom Menschen geschaffen worden sind: Brachen, Industrieruinen und Kies- und Betonwüsten, Monokulturen, manchmal auch einfach unwirtliche offene Flächen. Und natürlich gelingt es ihnen leicht, diese Plätze auch zu besetzen – weil sie weitgehend leer sind. Pflanzen kommen, und Pflanzen gehen auch, das ist ein ganz natürlicher Vorgang. Die Treiber dafür – zumindest im heutigen Zeitalter des Anthropozäns – sind nicht die frechen und bösen Eindringlinge, sondern die sich verändernden Rahmenbedingungen (Monokulturen in der Landwirtschaft und in der sogenannten "Natur", Versiegelung, Brachflächen etc.)
Grundlagenirrtum Nr. 3: Einwandernde erfolgreiche Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten sind dafür verantwortlich, dass einheimische Pflanzen aussterben.
Natürlich sind wir bei diesem Grundlagenirrtum wieder ganz nahe bei Grundlagenirrtum Nr. 2, nur dass hier klar und deutlich eine Kausalität hergestellt wird. Wegen A stirbt B aus. Diese Kausalität kann man in jedem Zeitungsartikel lesen, sie ist sozusagen zu einem kaum mehr hinterfragbaren Gemeinplatz geworden.
Das einzige Problem: Die Behauptung, dass invasive Neophyten dafür verantwortlich sind, dass einheimische Pflanzen aussterben, stimmt nicht. Zwar wollen wir nicht ausschliessen, dass es einmal einen solchen Einzelfall mit klarer Kausalität geben könnte, er ist aber ziemlich schwer zu finden. Der englische Evolutionsbiologe und Präsident der Königlichen entomologischen Gesellschaft, Chris D. Thomas, also beileibe kein wissenschaftlicher Querschläger, stützt sich mit der folgenden Aussage auf eine breite historisch-geographische ökologische Studie: "Some 1875 foreign spezies of plants and animals have established wild populations in Britain in the last two thousand years, and mostly in the last two hundred; yet, as far as we know, no nativ species has died out as a consequence." Punkt. Allerdings sind natürlich in dieser Zeit auch einheimische Arten ausgestorben, wenn auch viel weniger als dazugekommen sind. Die eigentlichen Gründe für das Aussterben von Arten: Fast immer sind es der Mensch und die vom Menschen verursachten Veränderungen.
Grundlagenirrtum Nr. 4: Erfolgreiche fremde Pflanzen, sogenannte invasive Neophyten führen zu einer Verarmung der Flora, zu einer abnehmenden Vielfalt.
Auch hier muss man ganz pauschal und fast schon unhöflich antworten: Stimmt nicht, das Gegenteil ist der Fall. Chris D. Thomas, den wir vorhin schon zitiert haben, stellt in seinem bahnbrechenden Buch "Inheritors of the Earth" nach der Auswertung von diversen Studien zur Entwicklung von Fauna und Flora in Inselsituationen apodiktisch fest: "The arrival of foreign plants has not only approximately doubled the diversitiy of New Zealands Flora, it has also done so in the Hawaiian Islands and elsewhere in the Pacific." Das biologische Leben in abgeschlossenen geographischen Situation ist zwar häufig speziell und anders, aber eigentlich auch immer weniger divers, weniger vielfältig als in offenen Situationen, wo Verkehr und Wanderung möglich sind.
Grundlagenirrtum Nr. 5: Die Klimaerwärmung führt dazu, dass es mehr einwandernde Pflanzen aus dem Süden gibt; man muss die erfolgreichsten fremden Pflanzen fernhalten, um die Diversität zu erhalten.
Diese Behauptung lässt sich mit Grundlagenirrtum Nr. 3 (einwandernde Pflanzen führen zu weniger Vielfalt) leicht wiederlegen. Noch schlimmer: Hier wird als eine Gefahr und als ein nur mit Gesetzeshilfe zu lösendes Problem beschrieben, was eigentlich die Lösung ist. Wenn sich unsere "Natur" und Umwelt so schnell ändern, wie sie sich ändern, braucht es unbedingt auch neue Pflanzen, die hier erfolgreich sein können und mittelfristig (relativ schnell) auch neue Ökosysteme bilden. Hier versteckt sich denn auch ein weiterer Grundlagenirrtum: Die einheimische Natur kann sich schon anpassen, wenn man sie nur lässt. Das ist leider nicht zutreffend, weil einzelne Spezies selber für grundsätzliche Anpassungen (in Menschenzeit gerechnet) viel zu lange brauchen, viel zu lange jedenfalls, um mit dem zerstörerischen Tempo des Menschen Schritt zu halten. Ökosysteme mit alten und neuen Pflanzen und alten und neuen Eigenschaften können – das haben viele Versuche auch in der Permakulturbewegung gezeigt, viel schneller erfolgreich sein.
Grundlagenirrtum Nr. 6: Die Natur ist ein festes System, eine Art Museum, das man nur bewahren muss, dann funktioniert es schon.
Das ist – ebenfalls leider – nicht der Fall. Die Natur ist ein dynamisches System, aktuell getrieben vom superdynamischen Menschen. Und eigentlich haben wir ja alle auch die Schule besucht: Wenn wir etwas über die darwinistische Evolutionsbiologie gelernt haben, dann sicher die Tatsache, dass sie dynamisch verläuft, dass Gleichgewichte immer auch produktiv zerstört werden (müssen). Die Fittesten überleben – und werden irgendwann selber gefressen. Der entscheidende Unterschied zu den letzten paar Millionen Jahren besteht im aktuellen Zeitalter des Menschen, im Anthropozän darin, dass alles noch viel schneller und dynamischer verläuft. Also muss, wenn immer möglich, auch die Evolution an Geschwindigkeit gewinnen. Pflanzenverbote sind da grundsätzlich zumindest falsche Signale.
Grundlagenirrtum Nr. 7: Die Natur ist eine Entität ausserhalb des Menschen. ER besucht sie und geniesst sie. Allenfalls muss man ihm den Zutritt verwehren, um sie zu schützen.
Nein, so funktioniert das nicht. Naturreservate und Museen sind nicht imstande, die Welt zu retten. Der Mensch ist ein Tier und Teil der Natur. Man kann die aktuellen Vorgänge, das Anthropozän nur richtig beurteilen und auch pragmatisch einigermassen richtig handeln, wenn man den Menschen als Teil der Natur sieht.
Aus der künstlichen und falschen Dichotomie (hier Mensch, da Natur) erklärt sich auch der kompensatorische Diskurs, der die Hysterie über Fremde erfolgreiche Pflanzen (invasive Neophyten) prägt: Ja gerade weil sich Gesellschaft und Umwelt wegen uns Menschen so schnell verändern, soll bitteschön die Natur bleiben, wie sie – vermeintlich – immer schon war, eine Art Freilichtmuseum zur Ergötzung und Erfreuung des Menschen.
Wer so denkt, wird die eigentlichen menschengemachten Probleme (dazu gehören notabene die Klimaerwärmung und die daraus folgernden Veränderungen) nicht angehen können, weil er zumindest halb blind agiert. Die einwandernden Pflanzen sind ja schuld an der Veränderung, nicht der Mensch, der die Klimaerwärmung verursacht.
Der Sündenbock ist gefunden. Dies erklärt auch den fast schon gläubigen Eifer, den Neophytenbekämpfer häufig an den Tag legen.
Und was bringt die Einsicht ins Anthropozän, ins Zeitalter des Menschen: Keine falschen Schuldzuweisungen mehr und produktive Lösungen!
Wir brauchen auf jeden Fall mehr und auch andere Pflanzen, um das Anthropozän zu überleben.
Gesetze für den Rückwärtsgang
In anderen Dingen sind wir nicht zimperlich, täglich werden zig Neuerungen eingeführt. Und Pflanzen sollen von dieser Entwicklung ausgeschlossen werden? Na toll, Rückentwicklung nennt man das!
Und die, die sich stark vermehren? Pflanzen vernichten unsere Welt nicht, das übernehmen die, die den Sinn des Lebens nicht verstanden haben. Ulrike Kreis
Heute mogen an der Kaffeebar konnte ich aber feststellen, dass die Meinung, dass erfolgreiche Pflanzen/invasive Neophyten verboten werden müssten, einfach sehr stark verbreitet ist. sie stand direkt und indirekt auch 3 x in unserer Lokalzeitung in der letzten Woche... Da muss dagegengehalten werden. Auch an der Kaffeebar,-)
Markus Kobelt