Kürzlich wurde uns, meiner Frau und mir, zu unserem konsequenten Erziehungsstil gratuliert. Gut, dass der Gratulant unser Erröten nicht sehen konnte… Aber halt! Schlechtes Gewissen? Nein, wir können befreit aufatmen! Natürlich sind wir inkonsequent!
Vor Jahrzehnten schon hat der deutscher Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger mit einem gleichnamigen fulminanten Essay alle Inkonsequenten und alle Inkonsequenzen dieser Welt freigesprochen. Freigesprochen von aller Schuld. War er sich bewusst, dass er damit fast päpstlicher war als der Papst?
Wenn ich mich – nun schon zum dritten oder vierten Mal in der heutigen Schreibnacht zum neuen Newsletter – richtig erinnere, dann argumentierte Enzensberger sozusagen von der anderen Seite her: Seht, schaut her, zu was alles Konsequenz führt! Führen muss! Letztlich zur Diktatur, zum Totalitarismus, zum Terrorismus. Denn die glauben ja auch konsequent und ohne nach rechts und links zu schauen, widersprechen sich und anderen nie und handeln konsequenterweise konsequent bis zum bitteren Ende …
Also sei – im Umkehrschluss – fröhliche Inkonsequenz gefragt.
UFF, da bin ich aber froh!
Vor 2 oder 4 Wochen hatte ich noch gegen den grassierenden Liliputanismus gewettert. Urban Gardening will jede Pflanze immer kleiner machen, und puh, wenn die Früchte kleiner Pflanzen noch zu gross sind, die müssen auch klein sein! Und ich hatte mich und andere dran erinnert, dass auch GROSS schön sein kann. Nur um jetzt wieder (siehe oben) auf ironische Distanz zu den englischen Gemüsemonstern mit den fünf Meter langen Wurzeln zu gehen. Das ist nun wirklich nicht konsequ…
Auch in Gartendingen kann man es drehen und wenden, wie man will: Die einzige mögliche Konsequenz ist ganz eindeutig Inkonsequenz.
Und so selektionierte ich gleich am ersten Englandtag in East Malling die kleinste, schönste, herzigste und lustigste Himbeere aller Zeiten, nur so knapp 30 cm hoch. Ganz ohne Schuldgefühle.
Und wie reagierte Robert, unser nüchterner Betriebsleiter, aufs Beweisfoto mit der allerliebsten Himbeere: „Endlich dürfen wir uns auch zu den Himbeeren bücken!“