Das mit der Trennung von Geschäftlichem und Privatem ist bekanntermassen nicht gerade meine Spezialität. Manchmal schreiben mir Leser, ich solle doch den Newsletter nicht für private Dinge missbrauchen, und meine Mitarbeiter wünschen sich nicht selten händeringend, ich möge doch bitte Geschäftliches aussen vor lassen, denn die Konkurrenz lese mit.
Natürlich lasse ich mich nicht beirren und mische weiter frischfröhlich alles wild durcheinander: Privates, Berufliches und manchmal auch Geschäftliches. Bei letzterem höre ich dann doch auf den einen oder anderen Ratschlag ;-)
Gerade auf Reisen verschmelzen die verschiedenen Erfahrungswelten fast unentwirrbar. Der Anlass und die Termine sind beruflich und geschäftlich, aber deswegen brauche ich ja das Sensorium für andere Geschichten und Gedanken nicht auszuschalten.
Mit Boskoop, einem kleinen Ort in den Niederlanden, gleich neben Gouda, verbindet sich für mich ein Gefühl des Zuhauseseins, der Ruhe, ja fast der Idylle. Natürlich hängt das mit den Pflanzen zusammen, Boskoop ist europaweit das grösste Baumschulzentrum. Bäume, Sträucher und überhaupt Pflanzen sind ubiquitär. In der Landschaft gleich präsent wie die Pflanzen ist nur noch das Wasser: Alle paar Meter teilt ein Entwässerungskanal die unendlich langen Baumschulfelder. Wer auch immer im Mittelalter diesen damals unwirtlichen und sumpfigen Ort an wen verkaufte (daher die zweite Silbe des Wortes Bos-koop), er konnte auf jeden Fall nicht ahnen, was an Pflanzenkultur hier entstehen sollte.
So ganz habe ich bis heute nicht verstanden, wie und warum dieses Gewimmel an Kleinstbaumschulen, an modernen Glashaus-Grossbetrieben und an alten und neuen Handelshäusern funktioniert. Aber es funktioniert ganz offensichtlich. Der Cluster aus Betrieben der gleichen Branche auf kleinstem Raum bietet viele Vorteile: Transportmöglichkeiten, ausgebildetes Personal, Einkaufsmöglichkeiten an einem Ort, kurze Transportwege. Nicht zu vergessen die älteste Form des Lernens: die Nachahmung. Denn das zu kopierende Vorbild findet sich ja gleich auf der anderen Seite des Kanals.
Dennoch überrascht mich die grosse Menge an gut organsierten Kleinstbetrieben immer wieder, Kultivateure, die sich nicht vom Wachstum haben auffressen lassen, sondern die ihre Kulturen auf ihr Leben eingestellt haben. Nicht zu viel Arbeit und auch nicht zu wenig. Oder etwa doch? Vor einigen Jahren besuchten wir einen Hortensienzüchter. In der Nachbarparzelle, jenseits des unvermeidlichen Kanals, beobachteten wir eine lange Figur, leicht vornübergebeugt, die Hände hinter dem Rücken zusammenhaltend; der Gärtnerriese ging, ja schlich fast durch seine Kulturen. Und von Zeit zu Zeit bückte er sich blitzartig, mit einer Behendigkeit, die man seiner Länge nie zugetraut hätte. Wir fragten unseren Gastgeber, was denn der Nachbar da treibe. Die Antwort war: Jäten, ihm sei wohl langweilig, er habe sonst nichts mehr zu tun …
Solche Geschichten gäbe es noch mehr. Zum Beispiel ein Betrieb mit einem so sprechenden Namen, dass ich ihn hier besser nicht publiziere. Er vermehrt für uns neue, schwer vermehrbare Pflanzen. Habe ich Betrieb gesagt? Es ist eigentlich ?nur? ein Gärtner, besser: eine Gärtner-Koryphäe. Er arbeitet alleine, denn die Andern können das nicht so wie er (was wir bestätigen können). Und er arbeitet eine bestimmte Zeit, in der er eine bestimmte Menge schafft. Mehr geht nicht. Und er vermehrt und veredelt, was bei uns auch bei wiederholten Versuchen nie geklappt hat, bei ihm aber mit einer 90prozentigen Erfolgsquote funktioniert. Was macht den Unterschied aus? Die Konzentration, die Spezialisierung, die Hingabe, und dann noch ein Rest, den wir uns nicht erklären können. Vielleicht liegt es daran: Er vermehrt nur, was ihn interessiert, und er vermehrt nur für Kunden, die ihm sympathisch sind.
Aber natürlich gibt es auch die typische holländische Geschäftstüchtigkeit: Betriebe, in denen Menschen und Gärtner eher Störfaktoren und die Etiketten grösser als die Pflanzen sind. Begrüssung im aufgeräumten Büro. Einige Musterpflanzen, Schnellzugsbesichtigung durch die Betriebe. Schlussbesprechung, wie geht es weiter, vorzugsweise schon auf dem Parkplatz. Auch und gerade, wenn es eigentlich Mittagszeit wäre. Joou, bedankt, tot ziens. Bis bald.
Diese holländische Effizienz verschafft mir dieses Mal gerade noch die Zeit, vor der Heimfahrt in die Schweiz Plantentuin Esveld zu besuchen. Ein Unikum von einer Baumschule. Gleichzeitig ein Museum botanischer Raritäten und doch auch ein Gartencenter, Eine Produktionsbaumschule und ein Verkaufsgeschäft mit ausgezeichneter Bedienung und Beratung. Dazu eine Buchabteilung, die ich nie mit leeren Händen verlasse. Vielfach sind die Bücher alte Bekannte, die ich schon das letzte Mal evaluiert habe. Und da ich mich früher oder später immer für alle Bücher entscheide, frage ich mich, wie lange es dauern wird, bis ich die ersten Doubletten mit nach Hause bringe …
Neuerdings gibt?s bei Esveld ein Café, gleich gegenüber dem Betriebsgebäude, am lauschigen Kanal gelegen, ganz eingerahmt von Pflanzen. Oder hab ich?s die letzten Jahre einfach übersehen, ganz besessen vom Pflanzenjägerinstinkt?
Im Café dann die Boskoop?sche Ruhe genossen. Bequeme Holzfauteuils im Freien. Auf den Tischen Gartenzeitschriften, von der Sonne gebleicht. Als ich gegenüber der Kellnerin das immer schöne Boskoop-Wetter (sonnig, hohe Luftfeuchtigkeit, 22-25 °C) lobe, quittiert sie das ironisch bis leicht entnerft, mit der Bemerkung, ich sei offenbar immer im ?falschen? Moment hier. Die unvermeidliche Zigarre trägt das ihre zu meiner Festlaune bei. Dann Robert telefoniert, ob er noch Pflanzenwünsche für seine Züchtungsprojekte habe, darauf nochmals einen Karren mit Pflanzen gefüllt, der Kofferraum muss ja voll sein. Gepriesen sei die Pflanzenfreizügigkeit!
Zu einem Besuch in Boskoop gehört übrigens unbedingt ein Abstecher nach Gouda. Nein, nicht der Käsespezialitäten wegen (das käme ja einem Landesverrat gleich). Einmal pro Jahr esse ich hier Mosselen – Miesmuscheln, in einem der Restaurants am wunderschönen Marktplatz zu Gouda. Da gilt die vielzitierte Regel, dass nur die Monate mit einem ?r? für Miesmuscheln geeignet seien … Dazu von mir nur so viel: Meinem bescheidenen Urteil nach sind die Miesmuscheln Ende Juli leicht besser als Ende August, September bis März komme ich leider so gut wie nie an Miesmuscheln ran. Es bietet sich übrigens an, die Muscheln mit einem belgischen Tripel-Bier zu geniessen. Oder waren es gar zwei?