Unser Dr. Rant, Gastautor unseres Newsletters und Magazins hat lange geschwiegen. Viel zu lange. Bis er kürzlich bei IKEA nicht nur Möbel kaufte und es förmlich aus ihm herausbrach. Er konnte nicht anders und es wurde ein Artikel daraus, einer seiner gefürchteten Rundumschläge. Wobei ? wobei wir gar nicht sicher wissen, wie er es jetzt wirklich gemeint hat. Vielleicht kann die IKEA die Idee mit den Ätbara Bär für Tomaten und all das andere Beerenzeugs im Marketing benutzen? Gerne können sie dafür auch Dr. Rant als Werbetexter beschäftigen.
Kennen Sie IKEA? Natürlich klar, jeder hat bei IKEA schon Möbel gekauft. Und kauft wohl immer wieder mal: Die Zeiten, in denen man sich da nur die Studentenwohnung eingerichtet hat, sind wohl endgültig vorbei.
Der Grund vielleicht: Die Marke, das Restaurant, die Boutiquen mit Schick – und Schnickschnack, der Schwedische Stil, vielleicht auch die sympathische Tatsache, dass sich die IKEA Mitarbeiter alle beim Vornamen nennen. Alles in allem – so würde ich mit meiner beschränkten Erfahrung vermuten – ist der Prozess “Möbel zu kaufen” bei IKEA einfach ein bisschen weniger schlimm als bei anderen Anbietern. Gerade habe ich mir bei dem anderen grossen Möbelhändler, der dank der vielen X im Namen fast wie ein Sexshop daherkommt, ein Sofa, nein eine Sofalandschaft für meine Gartenbibliothek genehmigt – und der Prozess war einfach unsäglich. Anzahlung gleich nach Besichtigung, natürlich nichts vorrätig, muss geliefert werden, verlängerte Lieferfrist, vergessene Bestellung, Lieferung nach 4 Monaten und natürlich mit der umgekehrten Ausrichtung als gewünscht und bestellt (rechtsrum anstatt linksrum). Bei IKEA, da bin ich fast sicher, wär?s ein bisschen runder gelaufen, aber auch nicht viel runder. Beim letzten Mal wollten die coolen Schweden partout meine Master Card nicht akzeptieren und das änderte sich erst nach meiner Drohung, das gelbblaue Möbelparadies gleich wieder und unverrichteter Dinge zu verlassen; und natürlich kam der Durchbruch erst nach einem Telefongespräch mit dem Vorgesetzten (du, Heiner) in der übernächsten Beratungsbox; selber entscheiden kann man so weitreichende Dinge natürlich nicht und Ingvar war grad nicht erreichbar.
Warum ich Sie mit meinem Möbeleinkauf langweile? Ah sorry, das habe ich noch gar nicht gesagt. Ja, IKEA verkauft auch Pflanzen. Und eigentlich ganz schön viele Pflanzen. Eher viele Pflanzen als viel verschiedene Pflanzen. Und die Pflanzen haben sie dann vorrätig, die müssen nicht bestellt werden, die einkaufshungrigen Kunden können das gleich mitnehmen. Man muss sich das durchaus folgendermassen vorstellen: Am Möbelkauf scheiternde Kunden greifen aus lauter Verzweiflung nach dem Geschenkartikel, nach dem Dekofrosch, nach der nächsten überflüssigen Ständerlampe und schliesslich und endlich auch nach der Pflanze wie Ertrinkende nach dem Strohhalm. Nein, das Bild ist natürlich schief, so wäre es besser: Wie Verdurstende nach dem letzten und rettenden Glas Wasser (mit oder ohne Strohhalm) greifen, so nehmen IKEA Kunden am Ende auch noch Pflanzen mit nach Hause. Wenigstens etwas möchte man ja nach der langen Fahrt zum Arsch der Welt den lieben Zuhausegebliebenen vorweisen können.
Dabei ist ja IKEA in seinem Marketing durchaus konsequent: Eine reduzierte Abkürzung als Logo, ein reduziertes skandinavisches Design als Markenzeichen, der Verzicht auf die Nachnamen. Ein reduziertes Sortiment ohne all die überflüssigen Designermarken, und natürlich auch reduzierte Preise. (Kurzer Zwischenruf: Gibt es im Möbelhandel überhaupt nicht reduzierte Preise?)
Und diesen Reduktionismus wenden sie auch bei den Pflanzen an. Und wie! Aufgrund eines zentralen Marketingentscheids werden Pflanzen konsequent und ausschliesslich nur mit ihrem botanischen lateinischen Namen benannt. Ja so was dürfen Schweden, dafür haben sie die Lizenz, seit Linnée entscheiden sie autonom und global über die Pflanzennomenklatur. Tomaten gleich welcher Art und Sorte und Farbe gibt’s bei IKEA also nur als Lycopersicon esculentum. Zugegeben nicht gerade der am weitesten verbreitete lateinische Tomatenname, aber konsequent eingesetzt tönt das schon ziemlich eindrücklich. Erdbeeren sind schlicht und einfach und immer Fragaria. Reicht ja. Und für die Kunden, die immer noch nicht an Pflanzen bei IKEA glauben, fügen die neuen Pflanzenmarktführer erklärend und hilfreich hinzu: Fragaria Pflanze. Kundendienst par excellence! Könnte ja auch eine Büchergestell sein …
Wozu braucht es auch Sorten! Niemand braucht Sorten. Tomate ist Tomate, nieder mit der verwirrenden Vielfalt von Tausenden von Varietäten. Ist eh alles fast dasselbe, eigentlich sollte man die Erdbeeren und die Tomaten konsequenterweise auch noch zusammenfassen, da sie beide ja eigentlich und botanisch nichts anders sind als … Beeren. Das weiss doch jeder Schwede! Schliesslich sind ja Möbel auch nur Möbel, ein Kasten ist ein Kasten und ein Bett ist ein Bett. Beim Reduzieren kann man dem Ingvar und seinen starken Männern kaum etwas vormachen. Da kann auch gar nichts schief gehen, dafür haben sie die Kunden viel zu gut erzogen: Jeder IKEA Kunde weiss nämlich ganz genau, wie man ein Regal auch ohne Schrauben zusammenschreinern kann.
Noch ein Beispiel gefällig für die genialische Vereinfachung? Kräuter! Davon gibt?s eigentlich viel zu viele und viel zu viele verschiedene, die zu allem Überfluss auch noch unterschiedliche Namen tragen. Was bitte soll das, fragte man sich in Schweden, wo man seit Wickie auch ganz ohne Kräuter stark wird. Da musste ein eindeutiger Name her, das botanische Latein war viel zu differenziert, herba ging gar nicht weil viel zu wenig botanisch und flugs definierte man – in der Tradition von Linnaeus – einen neuen international gültigen und leicht verständlichen Gattungsbegriff für alle, ja eh fast identischen Kräuter: Örtig. Genauer: Örtig Pflanze. Na ja, damit es keine Verwechslung mit den Original-IKEA-Klobrillen gibt. Nein nein, ich hab das nicht erfunden, hier auf der IKEA Homepage können Sie dies schwarz auf Schwedisch nachlesen. Örtig heisst denn auch auf Schwedisch so viel wie “krautig”. Da muss man erstmal drauf kommen.
Weiter so! So kann Euch niemand aufhalten! Mein letztes Anliegen an Euch: Aber bitte noch etwas konsequenter. Ich hab’s schon angedeutet. Eigentlich und botanisch sind doch “Fragaria Pflanze” und “Lycopersicon Pflanze” und “Rubus Pflanze” undsoweiterundsofort alle das Gleiche: Ätbara bär.
Dann aber bitte auch so anschreiben. Wer soll da sonst noch irgendetwas verstehen.
Dr. Rant