Zugegeben stand mein Besuch auf der Floriade in Almere, der alle 10 Jahre stattfindenden Gartenausstellung, nicht unter dem besten Stern. Schon Tage zuvor hatte unsere Nachbarin Jaqueline meine Frau gewarnt, die Floriade sei wohl etwas sehr didaktisch angelegt… Nun muss man wissen, dass meine Nachbarin Sozialarbeiterin ist – und ich bin Gärtner und Unternehmer. Also wenn Jaqueline eine Ausstellung als zu didaktisch empfindet, dann heisst das schon etwas… Ich war also vorgewarnt und vielleicht auch ein bisschen voreingenommen. Und dann das holländische Nordsee-Wechselwetter, jede Stunde schüttete es aus Kübeln, um dann gleich wieder mit Sonnenschein beste Miene zum bösen Spiel zu machen. Schliesslich besuchte ich die Floriade in den letzten Ausstellungswochen, die naturgemäss nicht zu den besten einer Gartenausstellung gehören. Wenn aber eine Gartenausstellung so erzieherisch und weltverbesserisch daherkommt wie die Floriade 2022, dann muss sie es sich auch gefallen lassen, dass die Besucher sie an ihrem eigenen Anspruch messen…
Inhaltsverzeichnis
Der Plan, das Quadrat und die langen Strassenzüge der Floriade 2022
Muss eine Pflanzen- und Gartenausstellung den Organisationsprinzipien eines Quadrats gehorchen? Quadratisch, praktisch, gut? Oder sind die Holländer auch mit einem Heineken in der Hand einfach so nüchtern, dass sie gar nicht mehr unvernünftig denken können? Jedenfalls hat mich das Quadrat als geheimes Leitmotiv über die ganze Ausstellung verfolgt, über die Wegführung, die einer amerikanischen Westernstadt gut (auf jeden Fall: besser) anstehen würde.
Bild: Das Quadrat als Organisationsprinzip der Ausstellung, die nachher ein Stadtquartier werden soll. Schon klar, dass Städte gar nicht anders als rechtwinklig und am besten natürlich quadratisch organsiert sein können? Ein Häretiker, der anders denkt. Aber was ist mit den Pflanzen und Gärten?
Bilder: Rechte Winkel prägen die Strassenkreuzungen bis ins Detail. Der Vorteil: Man kann nicht verloren gehen, man weiss fast jederzeit, wo man sich befindet (ja, auch ohne Berge). Und natürlich kann die didaktische Ausstellung Punkt für Punkt fein säuberlich abgearbeitet werden, halt so wie ein Lehrbuch gelesen wird…
Bild: Auf dieser Hauptachse der Ausstellung könnte man richtiggehend einsam werden. Zur Not könnten hier auch Paraden und Marschmusikwettbewerbe stattfinden. Auch für Staatsempfänge wäre Almere jetzt gut vorbereitet. Aber für eine Floriade?
Bild: Damit Sie mir Sache mit den mich verfolgenden Quadraten glauben, hier der ultimative Beweis: Selbst die Bäume werden in quadratische Kisten gezwängt. Liest man sich durch die selbstverständlich quadratische Erklärung, so werden hier wichtige Baumarten auf ihren Klimaeffekt, auf Co2-Fixierung, Kühlung und Sauerstoffproduktion getestet. Das ist ja gut und recht. Aber Bäume sollten auch schön sein, wenn sie gepflanzt werden wollen und sollen. Der Baum als Versuchsobjekt und Klimaautomat ist ziemlich unsexy.
Dennoch: schöne Pflanzungen
Auch wenn man vielen Gärten den Herbst schon deutlich ansieht, so gibt es doch einige sehr schöne Bepflanzungen, wie die folgenden Bilder zeigen. Chapeau!
Bilder: Besonders haben mir die diversen Dahlienpflanzungen gefallen, die an den langen Querstrassen angesiedelt sind – und sie gerade noch so erträglich machen. Einfach wunderschöne Kombinationen!
Bilder: Auch einige Konzeptgärten erfüllen ihren Zweck: Sie machen neugierig, sie ziehen die Besucher in sich hinein. Und hier und da zaubern sie ein Lächeln auf die gestressten und mit Wissen vollgestopften Besuchergesichter.
Die Sache mit dem Obst – da geht fast alles schief
Die Ausstellungsmacherinnen und -macher haben richtig erkannt, das Obst gerade eine - hmm - relativ didaktische Ausstellung beleben, sie erlebbar und geniessbar machen könnte. Also pflanzen sie gefühlt überall Obstbäume, wo ihnen gerade nichts anderes in den Sinn kommt. Keine Degustation holländischer Äpfel, dafür wüste Gerippe von alten und hastig umgepflanzten, jetzt schon blattlosen Obstbäumen. Der Obstbaum ist nur passende und stumme Staffage, weil er halt grundsätzlich gut ist. Mehr fällt den Ausstellungsmachern dazu nicht ein. Warum? Weil sie ganz einfach keine Ahnung von Obst und Beeren haben.
Bild: Wie gesagt: Wo ein Plätzchen frei ist und nicht für Plakate und Erklärungen gebraucht wird, da pflanze man einfach einen Obstbaum, der wird’s schon richten.
Bild: Nicht nur einmal, nein immer wieder werden die armen Obstbäume missbraucht
Bild: Obsthochstämme sind so ‚in‘, dass auch die Landschaftsarchitekten nicht um sie herumkommen. Aber anstatt sich eine sinnvolle Verwendung in einer modernen Umgebung zu überlegen, werden die Obsthochstämme stylisch mit hohen Gräsern kombiniert. Sieht wahnsinnig geil aus – und entlarvt die Denkarmut der Gestalter: Ans Ernten und Auflesen des Fallobsts hat selbstverständlich niemand gedacht. Wozu auch?
Bilder: Fällt Ihnen etwas auf, das die Genuss- und Fruchtferne der Floriade auch hier wieder zeigt? Natürlich, die Früchte in der Kiste sind – wie könnte es auch anders sein – aus Plastik. Eigentlich wollte ja in diesem Pavillon ein grosser Obstselbstvermarkter auf seine Produkte aufmerksam machen. Mit Plastikfrüchten geht das aber definitiv nicht! Oder etwa doch?
Bild: Diese kleine Obstpflanzung ist fast schon vom Unkraut überwuchert, aber das ist es nicht, auf das ich hinweisen möchte. Plump werden hier Johannisbeeren und Heidelbeeren nebeneinander gepflanzt, was kaum je funktionieren wird, da Heidelbeeren einen extrem sauren Boden brauchen. Also wenn schon didaktisch, dann bitte richtig! Ja ich weiss, das ist natürlich ein kleinliches Beispiel. Aber bei Obst und Beeren kenne ich halt keinen Spass…
Bild: Irgendwie sind Johannisbeeren bei Landschaftsarchitekten momentan ziemlich ‚in‘. Vor einigen Monaten habe ich eine ähnliche Pflanzung an Flussufer in Bordeaux gesehen. Johannisbeeren werden, aus was für Gründen auch immer, mit anderen Sträuchern und Kräutern, manchmal sogar mit Gemüse gemischt.
Vielleicht will uns der Künstler ja auch zeigen, wie schön Nutz- und Zierpflanzen kombiniert werden können. Aber bittschön, muss denn alles in ‚Reih und Glied‘ stehen, wie hier in Almere, übrigens ebenso wie in Bordeaux. Lustig, dass Landschaftsarchitekten Johannisbeeren (wohl als Statthalter für Beeren überhaupt) nur als Reihen denken können. Für das nächste Mal sei den Planern aber Folgendes ans Herz gelegt: Moderne schwarze Johannisbeeren z.B. von Lubera😉 sind im Sommer und im Herbst sehr viel blattschöner und gesünder als die roten Johannisbeeren. Die Schwarzen Cassis haben unterdessen auch so viel Zucker, dass sie sich mit einer Beerengrösse von 1-2cm viel besser als Naschfrüchte eignen als die roten Ribisel. Aber ans Naschen haben die holländischen Gärtner hier natürlich nicht gedacht – Genuss scheint wirklich nicht ihr Spezialgebiet zu sein.
Architektur auf der Floriade – gemischte Gefühle
Grundsätzlich gibt es auf der Floriade sehr viele interessante und auch schöne Gebäude zu sehen. Das beginnt bei beispielhaften ‚tiny houses‘, dann gibt es sehr viele schöne Holzkonstruktionen (selbstverständlich nicht selten auf der Basis eines quadratischen Rahmens). Manchmal hatte ich den Eindruck, dass ein Architekt auf der Floriade glücklicher wäre als ein Gärtner… Dann aber das – ein architektonischer Faux pas sondergleichen. Raten sie mal, welches der untenstehenden Gebäude für Demenzkranke vorgesehen ist und welches für junge Studenten?
Bild: Nein, das ist eben kein Schulhaus, sondern ein Haus für Demenzkranke. Sie sollten besser in die Gesellschaft integriert werden, mitten in der Stadt leben. Aber irgendwie hat der Architekt in die falsche Schublade gegriffen.
Bilder: Und hoppla, ein wunderschönes Hochschulgebäude mit einer bepflanzten Fassade. Natürlich werden die Pflanzengeister die jungen Köpfe beflügeln. Aber fliegen werden sie ja sowieso! Gebt bitte das Pflanzenhaus den Kranken!
Die Welt in Almere
Natürlich ist bei der Gartenbauausstellung Floriade auch die ganze Welt zu Gast
Bild: Nur bleibt die Frage fast immer offen, warum denn die Gäste da sind. Dabei ergäben sich da wunderschöne Möglichkeiten. Pflanzen wandern, mit und ohne unsere Hilfe. Sie verbinden damit auch weit entfernte Regionen, ja Kontinente. Aber an der Floriade wird diese Verbindung nicht gesucht, viele Länderpavillons bleiben im luftleeren Raum, fast nie (ausser vielleicht beim Japanhaus) korrespondieren Pflanzen und Länderpavillons.
Bild: Ein besonders abschreckende Beispiel: Jemen und die Haselnüsse. Was bitte haben Haselnüsse mit Jemen zu tun??? Da ist irgendjemandem gar nichts mehr eingefallen.
Bilder: Auch Pflanzen und Früchte verweisen in Almere eigentlich nie auf ihre Herkunft, auf ihre reiche und verbindende Geschichte. Holländische Paprika – sorry, das ist eigentlich ein blödes Klischee, aber es wird halt in Almere bestätigt – werden im Gewächshaus produziert und können zur Not auch aus Plastik sein. Ach ja, sie sind natürlich auch gesund. Aber eigentlich kommen sie auch ohne Pflanzen aus.
Informativer Artikel