Cui bono, zu was und warum soll das gut sein? Warum Stachelbeeren (Ribes uva-crispa) züchten, wozu so viel Zeit und Geduld und Geld für eine fast vergessene Frucht aufwenden? Die kurze epikuräische, vielleicht auch hedonistische Antwort wäre: Es ist gut, weil die Stachelbeeren so gut sein können. Das müsste eigentlich schon reichen. Wenn ich etwas länger ausholen will, erzähle ich gerne eine meiner Lieblingsgeschichten. Wer direkt im eigenen Garten loslegen möchte, der kann auch im Gartensop Stachelbeeren kaufen und sich von den Pflanzen selber überzeugen lassen.
Anfang der 90er Jahre besuchte ich die Ukraine, verschiedene Züchtungsanstalten, für Äpfel und auch Stachelbeeren Pflanzen. Dabei wurden wir permanent von einem Chauffeur herumgefahren. Auf meine Frage am ersten Tag, warum dies denn notwendig sei, meinte mein Gastgeber kurz angebunden: Damit wir trinken können. Zum Abschied im Büro des Direktors in Kiew gab es neben den Gläsern auf dem Tisch genau 3 weitere Dinge: eine Schale voll von grünen, unreif oder knapp reif gepflückten Stachelbeeren, eine Zuckerdose und eine Flasche Wodka.
Es war unbeschreiblich gut. Ein Schluck Wodka, die Stachelbeeren in Zucker getunkt und dann zugebissen. Und nochmals, und wieder. Dazwischen die Trinksprüche auf die völkerverbindende Wirkung des Gartenbaus. Nie sass ich – weder vorher noch nachher – so betrunken in einem Flugzeug. Danach aber nahm ich mir definitiv vor, noch bessere Stachelbeeren zu züchten. Stachelbeeren, die reif gepflückt werden können und auch ohne Zucker süss sind. Und die Wodka nur fakultativ benötigen. Das zweitletzte Worte wollen wir – wie könnte es bei Stachelbeeren auch anders sein – einem Engländer überlassen. Der Baumschuler, Rosenliebhaber, Pomologe und Schriftsteller Edward Bunyard (1878 – 1939) schrieb 1934 in «The Anatomy of Dessert»: «The gooseberry is of course the fruit par excellence for ambulant consumption.» Unmittelbarer Genuss im Vorbeigehen. Yes indeed! Das letzte Wort aber haben Sie. Dank an Martin Weber: In den letzten 10 Jahren wäre unsere Stachelbeerzüchtung nicht möglich gewesen ohne die vielen Kreuzungen, die Martin Weber bei sich zu Hause durchführte. Manchmal fluchten wir auch leise über seine vielen Samen und die grossen Buchser Felder voll stachliger Sämlinge. Und wer die Felder jäten musste, fluchte nicht selten auch nicht mehr ganz leise. Aber jetzt, wo wir seine Populationen langsam zu Ende selektioniert haben und auf der Basis der neuen Sorten schon wieder neue Kreuzungen machen, sind wir ihm vor allem unendlich dankbar.
Inspiration: Maurer’s Stachelbeerbuch von 1913:
Unsere Stachelbeerzüchtung wäre nicht denkbar ohne Maurer’s Stachelbeerbuch von 1913. Es war mir immer ein Ansporn, die von ihm sozusagen zum Ende der grossen Stachelbeerepoche gezeigte Vielfalt wiederherzustellen. Bücher und Pflanzenzüchtung gehören für mich zusammen. Seinem wunderschönen Buch, 1913 im Verlag Ulmer erschienen, sind auch die Abbildungen in diesem Magazinteil entnommen